Zehn Jahre Holocaust-Mahnmal: Erinnerung und Eventkultur
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist zum festen Bestandteil des Berlin-Tourismus geworden. So war das nicht gedacht.
B ERLIN taz Was denken sich nur all die jungen Touristinnen und Touristen, die auf den Stelen des Holocaust-Mahnmals posieren, Selfies schießen und die dann mit Hashtags wie „happy“, „jump“, „cool“ oder „good times“ in die Welt setzen?
Wahrscheinlich genauso wenig wie die Kids, die über die Stelen hüpfen und sich nach ihren Eltern umschauen – die natürlich klatschen. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist zum festen Bestandteil des Berlin-Tourismus geworden. Am 10. Mai jährt sich zum zehnten Mal seine Öffnung.
Bevor der Bundestag 1999 den Bau des Mahnmals beschlossen hatte, war jahrelang kontrovers debattiert worden. Einen ersten Entwurf – eine schiefe Ebene aus Beton mit den Namen der Opfer – kassierte Helmut Kohl persönlich. Dass sich in einem zweiten Anlauf alle auf den Entwurf von Peter Eisenman einigen konnten, hat auch mit dessen gewollter Unschärfe zu tun.
Weil die Monstrosität des Massenmords an den Juden ohnehin nicht darstellbar ist, wurde ein Stelenfeld in die Mitte Berlins gesetzt. Wie das zu interpretieren sei, ist die Sache jedes Einzelnen. Das war so inhaltsfrei wie konsensfähig.
Zehn Jahre nach der Eröffnung des Holocaust-Mahnmals hat die Träger-Stiftung eine zufriedene Bilanz gezogen. 4,5 Millionen Besucher hätten den unter dem Stelenfeld liegenden Ort der Information besucht, sagte der Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Uwe Neumärker, am Dienstag. Im frei zugänglichen Stelenfeld selbst waren vermutlich noch viel mehr Besucher unterwegs. Das Mahnmal sei zu einer Touristenattraktion geworden, sagte Neumärker. Dies stellt die Träger aber vor weitere Herausforderungen: Der Umgang mit dem Denkmal und die jetzt schon fällige Sanierung der teilweise stark von Rissen durchzogenen Betonquader sorgen weiter für Diskussionen um das Mahnmal.
Am Sonntag jährt sich die Eröffnung des Denkmals vom 10. Mai 2005 zum zehnten Mal. In direkter Nähe des Brandenburger Tores erinnert das Monument an die Ermordung von sechs Millionen Juden zur Zeit des Nationalsozialismus. Das Denkmal hat eine Fläche von 19.000 Quadratmetern. 2.710 Betonstelen in verschiedenen Höhen sind darauf angeordnet.(epd)
Meistens, so steht zu befürchten, wird ohnehin nicht interpretiert. Zehn Jahre nach seiner Fertigstellung kann man deshalb bilanzieren, dass das Mahnmal zwar akzeptiert ist, gleichzeitig aber auch zu einer Sehenswürdigkeit Berlins geworden ist.
Zwischen Erinnerung und Eventkultur verläuft am Mahnmal also nur ein schmaler Grat. Fehlt bloß, dass demnächst einer postet. „Seht her, wie eindrucksvoll wir Deutschen unsere Geschichte aufarbeiten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind