Zaunpläne im Görlitzer Park: „Der Park gehört allen“
Die Probleme des Parks lassen sich nicht durch eine Umzäunung lösen, sagt der Kriminologe Thomas Feltes. Man müsse lernen mit Angsträumen zu leben.
taz: Herr Feltes, zur Kriminalitätsbekämpfung will der schwarz-rote Senat den Görlitzer Park einzäunen und nachts abschließen lassen. Was halten Sie davon?
Thomas Feltes: Der Görlitzer Park ist sicherlich nachts kein angenehmer Ort. Er ist aber ein wichtiger Treffpunkt von Menschen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Und tagsüber wird er von Menschen durchquert, weil er auf ihrem Weg liegt. Generell haben Menschen nachts dort Angst, wo es dunkel ist und wo sie auf fremde Menschen treffen. Dieses Grundproblem löst man nicht durch eine Schließung des Parks.
Warum nicht?
Das verlagert die Probleme bekanntlich nur räumlich, und in den meisten Fällen werden sie dadurch eher noch schlimmer. Und: Der Park ist ein öffentlicher Raum, er gehört allen. „Gated Communities“, also abgeschossene gesellschaftliche Bereiche, kennen wir seit Jahrzehnten aus den USA. Sie haben auch dort keine Probleme gelöst, sondern nur neue geschaffen. Ausgrenzung nützt mittelfristig niemandem, nicht den Ausgrenzenden und schon gar nicht den Ausgegrenzten, die Bestandteil unserer Gesellschaft bleiben, es sei denn, man geht mit der AfD deren Remigrationsweg und weitet ihn auf diese Gruppen aus. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ funktioniert nicht, sondern vermittelt eine Illusion.
73, ist Professor für Kriminologie und Polizeiwissenschaft an der Ruhr Universität Bochum.
Welche Alternativen zu einem Zaun sehen Sie?
Solange das Grundproblem – Drogenabhängigkeit – nicht gelöst ist, kann man auch nicht die daraus entstehenden Probleme – Kauf und Konsum – lösen. Letztlich müssen wir lernen, mit solchen Angsträumen in unseren Städten zu leben. Und die allermeisten Bürger*innen wissen auch, wie sie sich verhalten müssen. Wer glaubt, ein Problem dadurch lösen zu können, indem er nur seine negativen Folgen und nicht die Ursachen bekämpft, der irrt nicht nur, sondern der täuscht auch Bürger*innen und profiliert sich zulasten von sozial Benachteiligten. Das ist schlicht schäbig.
Seit Jahren gibt es bereits im und um den Görlitzer Park eine hohe Polizeipräsenz. Zudem wurden Park und der angrenzende Wrangelkiez als kriminalitätsbelasteter Ort (kbO) eingestuft, wodurch die Polizei besondere Befugnisse erhält. Was hat das gebracht?
Generell gibt die Einstufung als „kriminalitätsbelasteter Ort“ der Polizei mehr Kontroll- und Eingriffsbefugnisse, ohne dass dadurch nur ein einziges Problem wirklich gelöst wird. Im Gegenteil: Durch – auch rassistische – Kontrollen wird das Vertrauen in die rechtsstaatliche Tätigkeit der Polizei gefährdet. Und: Mehr Polizei bedeutet erst einmal mehr registrierte Kriminalität, weil das im Bereich der Drogenkriminalität besonders große Dunkelfeld dadurch aufgehellt wird. Das ist eine kriminologische Grunderkenntnis. Dadurch wird aber kein Problem gelöst, sondern es werden nur neue geschaffen.
Im ersten Halbjahr 2022 hat die Polizei im kbO Görlitzer Park/Wrangelkiez 3.243 Delikte registriert. Über ein Drittel davon machen Drogendelikte und Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht aus. Wäre eine Entkriminalisierung dieser Deliktgruppen also eine Lösung?
Auch eine Entkriminalisierung löst nicht alle Probleme, denn Kriminalität hat immer soziale Ursachen, und das gilt besonders für diese Formen von Straßenkriminalität. Allerdings würde die stigmatisierende Kriminalisierung von vielen ohnehin sozial benachteiligten Menschen verringert, was ein erheblicher Fortschritt wäre. Und die Frustration von Polizeibeamt*innen, die sich darüber beklagen, dass sie „immer dieselben“ verhaften müssen, würde gemindert. Aber Entkriminalisierung ohne gleichzeitige Stärkung sozialer Hilfsangebote ist dysfunktional. Wer dies nicht berücksichtigt, läuft, politisch gesprochen, in ein offenes Messer, weil sich die Probleme nicht in Luft auflösen können.
Während die eigentlichen Hintermänner des Drogenhandels unbekannt sind, scheinen die kleinen Straßenverkäufer im und um den Park hauptsächlich aus Nord- und Westafrika zu kommen. Damit sind Schwarze im Görli ständigen Kontrollen ausgesetzt, sogar der Kultursenator musste sich dort kürzlich bei einem Besuch ausweisen. Ist das noch Polizeiroutine oder schon Racial Profiling?
Wer als Schwarzer Mensch durch den Park geht, muss damit rechnen, kontrolliert zu werden. Das sind ganz klar rassistische Kontrollen, weil sie dazu führen, dass Schwarze Menschen diesen Bereich meiden müssen, wenn sie keinen Polizeikontakt wollen. Während Angehörige der Mittel- oder Oberschicht ihr Drogentaxi bestellen, müssen sozial Benachteiligte ihren Stoff auf der Straße kaufen – und laufen damit Gefahr, kontrolliert und verhaftet zu werden.
Die CDU hat die vergangenen Wahlen auch mit ihrem teilweise diskriminierenden Sicherheitsdiskurs gewonnen. Stichwort Silvester- und Freibadkrawalle. Sorgen Zäune und mehr Polizei für mehr Sicherheit oder ist das Symbolpolitik?
Mehr vom selben hat noch nie geholfen, wie schon der Psychoanalytiker Paul Watzlawick wusste. Und mehr Polizei hilft zumindest in diesem Bereich auch nicht – man sollte das Geld lieber in die Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskriminalität stecken. Leider leben wir in, objektiv wie subjektiv, unsicheren Zeiten, und in solchen Zeiten haben Demagogie, Populismus und Symbolpolitik Hochkonjunktur. Wenn diese Unsicherheit weiter um sich greift – und es spricht vieles dafür, dass dies passiert –, dann gefährden solche Unsicherheitsdiskurse den demokratischen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Wer glaubt, mit Vornamen Politik machen zu können, hat als Politiker versagt. Letztlich geht es darum, in welcher Gesellschaft wir leben wollen: In einer begrenzten mit Zäunen und Mauern oder in einer offenen, bunten, diskursiven. Wie konfliktfähig eine Gesellschaft ist, zeigt sich an ihrem Umgang mit Ausgrenzung. Mehr Zäune bedeuten mehr Ausgrenzung, mehr Ausgrenzung bedeutet mehr Konflikte.
Für den Senat ist der Zaun Teil einer „gesamtstädtischen Strategie zur Stärkung der Sicherheit und Sauberkeit in Parks sowie an öffentlichen Orten und zur Verhinderung von Sucht und Obdachlosigkeit“. Was wären für Sie die wichtigsten Punkte einer solchen Strategie?
Sucht und Obdachlosigkeit bekämpfe ich nicht dadurch, dass ich Sucht- und Drogenbeschaffungsräume schließe. Obdachlosigkeit bekämpfe ich – wie Modelle erfolgreich zeigen – durch Projekte wie „Housing First“, und dafür muss ich in intensive sozialpädagogische Hilfen und entsprechende Infrastruktur investieren. Das ist politisch im Moment schwer zu verkaufen, daher setzt man – wie immer in solchen Situationen – auf im wahrsten Sinn des Wortes „billige“ Lösungen. Das ist besonders problematisch in Zeiten, in denen es immer weniger Menschen gibt, die für diejenigen eintreten und ihnen eine Stimme geben, die keine haben.
Für viele Anwohner*innen ist weniger der Drogenhandel das Problem, sondern der gestiegene Konsum harter Drogen und die damit einhergehende soziale Verelendung. Was bräuchte es hier?
Das Problem ist ja nun nicht neu, und die Alternativen liegen auf dem Tisch. Es ist eine Frage des politischen und moralischen Willens, sich gegen soziale Verelendung, für die es verschiedene Ursachen gibt, zu stellen. In diesen Zeiten, in denen das Geld angeblich knapp ist, gibt es keine Lobby für sozial benachteiligte Menschen. Zumal die gesellschaftliche Aufmerksamkeit derzeit auf andere Probleme fokussiert ist, Krieg, Klimakrise und anderes. Wir müssen aufpassen, dass wir unseren gesellschaftlichen und moralischen Kompass nicht verlieren, der uns zeigt, was gut, was böse ist und welche Verantwortung wir in einer demokratischen Gesellschaft für Schwache und Benachteiligte haben. Bei einigen Politikern hat man leider das Gefühl, dass sie diesen Kompass schon weggeworfen haben. Sie legen damit die Axt an die Grundfesten unserer Demokratie.
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