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Zartes Pflänzchen Widerstand

Wie umgehen mit dem Rechtsdrift der Gesellschaft? Das Berliner Ringtheater wirbt für die Notwendigkeit antifaschistischen Theaters

Schauspielerin und Aktivistin Aylin Esener, Dramatiker Lars Werner, Schauspielerin Mariann Yar und Charlotte Maaß vom Kollektiv des Ringtheaters Foto: Toni Petraschk

Von Tom Mustroph

Eingeklemmt zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft liegt das Berliner Ringtheater. Auf dem schmalen Streifen zwischen Brandmauern und S-Bahntrasse am Eingang zur Halbinsel Stralau bewahrt das Areal der Neuen Zukunft, zu dem das Ringtheater gehört, den glorreichen Geist der Berliner Alternativkultur der 1970er bis 1990er Jahre. Die Neue Zukunft muss aber auch das Kommende fürchten. Denn erreicht das Asphaltband der Stadtautobahn, dieses Monumentalbauwerk einer vergangenheitsbesoffenen Verkehrspolitik, auch dieses Gebiet, dann muss mal wieder ein neuer Standort gesucht werden. „Noch sind wir aber da“, sagt Charlotte Maaß vom künstlerischen Leitungskollektiv des Ringtheaters der taz. Weiter anwesend – auch trotz all der bekannten und der kommenden Kürzungen im Kulturetat. Unsicherheit schaffe, so Maaß, dass wegen des noch immer nicht beschlossenen Doppelhaushalts des Senats die Höhe der in Aussicht gestellten zweijährigen Spielstättenförderung nicht klar sei. „Wir können nicht richtig planen“, beschreibt sie die Misere.

Der noch größeren Misere, die ideologisch damit allerdings verbunden ist, dem Rechtsdrift der Gesellschaft, wollte das Theater mit der 10. Ausgabe der Programmreihe Macht Kritisches Theater (MKT) begegnen. Unter dem Motto „love theatre, hate facism“ lud Maaß die Schauspielerin und Aktivistin Aylin Esener, den Dramatiker Lars Werner und die Schauspielerin Mariann Yar auf die Bühne. Esener wirkt unter anderem in den „NSU-Monologen“ mit. Werner skizziert in seinem 2024 geschriebenen und für den Heidelberger Stückemarkt nominierten Werk „Die ersten Hundert Tage“ die Reaktionen auf den Beginn eines faschistischen Regimes in Berlin. In der Göttinger Uraufführung des Stücks schließlich spielt Yar. Sie hat zudem den Verein Stabiler Rücken ins Leben gerufen, der sich für eine diversere und gerechtere Theater- und Filmproduktionslandschaft einsetzt.

Eine Videosession über rechte Übergriffe und antifaschistischen Widerstand leitete den Abend ein. Danach folgte die Lesung einer Szene aus Werners „Hundert Tagen“. Darin geht es um vier einst befreundete Menschen, die durch den Wahlsieg einer rechten Bewegung vollends auseinandergetrieben wurden. Drei von ihnen verlassen schließlich Deutschland. Die eine, weil sie auf Feindeslisten der Rechten steht. Eine andere, weil ihr queeres Lebensmodell unter den neuen Verhältnissen bestenfalls eine klandestine Zukunft haben dürfte. Der dritte aus einer Art heroischen Mitläufertums, im Bestreben, auch ohne eigene Bedrohung auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.

Vielleicht ist dieser Marin, den Werner als eher schwächliche Figur zeichnet, aber auch die klügste Figur. Jedenfalls hat sie ihre eigene Schlussfolgerung aus dem berühmt gewordenen Spruch Martin Niemöllers gezogen. Der räumte ein, gegenüber den ersten Opfern des Nationalsozialismusgleichgültig gewesen zu sein: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Nichtbetroffensein und Nichtbetroffenfühlen waren schon damals fördernde Begleitumstände des Erstarkens faschistischer und nationalistischer Bewegungen. Die vierte Figur schließlich passt sich der neuen Macht an und macht Karriere in deren Presse- und Propagandaapparat. Sie will die früheren Freunde zum Schweigen über die gemeinsame, eher linke Vergangenheit verpflichten und lädt daher zu einem Showdown an einer Tanke im Exilland der drei anderen ein.

Werner zeichnet in seinem Stück den schleichenden Prozess der Anpassung an sich verändernde Bedingungen nach. Die einen springen auf den Zug auf, die anderen sind bestenfalls zu Ausweichbewegungen gegenüber der auf sie zurasenden Massenmobilisierungsmaschine fähig.

Wie gut mit dieser erduldenden Form der Anpassung die Gegenwart abgebildet ist, zeigte leider auch die folgende Podiumsdiskussion. Denn die dort angedachten Rezepte für eine antifaschistische Theaterpraxis blieben recht schwachbrüstig. Sie begnügten sich in der Vorstellung eines prekären Überlebens in Form von Banden Gleichgesinnter.

Was an dem Abend völlig fehlte, war eine Analyse dessen, was rechte Bewegungen gegenwärtig so stark macht. Resignation überwog. Der institutionelle Siegeszug von AfD und Co scheint unaufhaltbar. Man fühlte sich auch in der Diskussion der nichtfiktionalen Gestalten mittendrin in Werners „Hundert Tagen“. Das spricht für die Beobachtungs- und Beschreibungskunst des Dramatikers. Für Gegenwart und Zukunft erschreckt es aber.

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