Zahlen zu Berliner Schulgewalt: Hauen und Stechen
Laut Polizei sind die Zahlen von Gewalttaten an Schulen erneut gestiegen. Dabei gibt es große Schwankungen zwischen den Bezirken. Ganz vorne: Mitte.
Die Diskussion über Gewalt an Berliner Schulen reißt nicht ab: Laut einer Statistik der Berliner Polizei, die am Montag veröffentlicht wurde, ist die Zahl der gemeldeten Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr erneut um rund 110 Fälle auf insgesamt 5.341 erfasste Straftaten gestiegen. Auffällig dabei: Mitte meldet seit Jahren fast doppelt so viele Vorfälle wie die meisten anderen Bezirke. Und in Friedrichshain-Kreuzberg verringerten sich die gemeldeten Gewalttaten im vergangenen Jahr von einem stadtweiten Spitzenwert von 619 Fällen 2014/15 drastisch– auf nur 395 gezählte Vorfälle im Vorjahr.
Erst vergangene Woche hatte ein Bericht der Landeskommission Berlin gegen Gewalt festgestellt, dass die Jugendgewalt in der Stadt ganz allgemein und besonders an Schulen gestiegen ist: Nach jahrelang rückläufigen Zahlen stiegen laut dem vierten „Berliner Monitoring Jugendgewaltdelinquenz“ 2016 die polizeilich erfassten Rohheitsdelikte an Schulen wieder „deutlich“ auf rund 1.800 Fälle an, insgesamt 17 Prozent aller Taten fanden damit an Schulen statt. Die ebenfalls gestiegenen SchülerInnenzahlen seien dabei nicht der Grund, betont der Bericht – denn auch pro 100.000 SchülerInnen gerechnet werde häufiger Meldung gemacht.
Bleibt die Frage: Werden die Schulen meldefreudiger, weil die zahlreichen Maßnahmen zur Gewaltprävention in den zunehmend sensibilisierten Kollegien ankommen – oder sinkt tatsächlich die „Hemmschwelle“, wie Innenstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) bei der Vorstellung des Monitorings vermutete?
„Dunkelziffer wird kleiner“
In fünf Bezirken haben die gemeldeten Gewaltvorfälle an Schulen laut Polizeistatistik im letzten Jahr zugenommen: Friedrichshain-Kreuzberg, Reinickendorf, Neukölln, Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf. Die meisten Vorfälle wurden in den Bezirken Mitte (657), Marzahn-Hellersdorf (573) und Reinickendorf (525) registriert, die wenigsten in Treptow-Köpenick (290). Überraschend weit vorne: Steglitz-Zehlendorf (472 Fälle).
Bei den Rohheitsdelikten (z. B. Körperverletzung) liegt Mitte mit 300 Vorfällen vor Marzahn-Hellersdorf (280) an Platz eins. In diesen Bezirken ist der Anteil der Rohheitsdelikte an den insgesamt gemeldeten Vorfällen zudem besonders hoch. Der vierte Bericht zu „Jugendgewaltdelinquenz“ (s. Text) sieht einen direkten Zusammenhang zwischen „sozialer Lage“ und Jugendgewalt. (taz)
„Es ist beides“, glaubt Jan Wolter, Schulpsychologe in Tempelhof-Schöneberg und Vertreter der Sektion Schulpsychologie im Berufsverband deutscher Psychologen. Gaebler habe mit seiner Einschätzung wohl recht. Gleichzeitig merke man aber auch, dass die Sensibilität in den Schulen für dieses Thema stark gestiegen sei: „Die Kollegien sind hellhöriger geworden, also wird die Dunkelziffer kleiner.“ So erklärt Wolter sich auch die bis 2015 sehr hohen Zahlen in Friedrichshain-Kreuberg: „Ich weiß, dass die Kollegen dort extrem viel an den Schulen unterwegs waren – ich denke, das schlägt sich sicher auch in der Statistik nieder.“
Inzwischen gibt es laut Schulpsychologe Wolter an fast allen Berliner Schulen sogenannte Krisenteams: ein fester „Krisenstab“ aus Schulleitung, Schulsozialarbeit und ErzieherInnen, die sich regelmäßig austauschen. „Die Dringlichkeit für solche Strukturen wird glücklicherweise auch in der Bildungsverwaltung gesehen“, sagt er.
Dort führt man zudem eine eigene Gewaltstatistik, die nach anderen Kriterien funktioniert als die der Polizei: Letztere berücksichtigt etwa auch Vorfälle auf dem Schulweg, die die Bildungsverwaltung nicht interessieren. Zudem zählt die Polizei auch Vorfälle mit, die nicht zwingend etwas mit Jugendgewalt zu tun haben, wie etwa Einbrüche an Schulen. Und sie differenziert nicht, wie viele der angezeigten Fälle nach weiteren Ermittlungen wieder eingestellt werden. Dafür zählt die Bildungsverwaltung auch solche Fälle mit, die nicht zur Anzeige bei der Polizei gebracht werden – etwa Mobbing oder Beleidigung.
Jan Wolter, Schulpsychologe
Auch diese „leichteren“ Vorfälle, zu denen die Bildungsverwaltung allerdings auch „Tätlichkeiten“ zählt, wurden zuletzt häufiger registriert: Insgesamt 2.300 Fälle im vorvergangenen Schuljahr. Zahlen für das vergangene Schuljahr gibt es noch nicht. Die Halbjahreszahlen der Bildungsverwaltung deuten aber an, dass sich der Trend fortsetzt. Insbesondere bei „schwerer körperlicher Gewalt“ zeigt die Tendenz nach oben – was wiederum die Polizeistatistik und das Monitoring zur Berliner Jugendgewalt widerspiegelt.
Schulpsychologe Wolter wünscht sich, dass die Schulen künftig verpflichtet werden, auch leichtere Vorfälle des sogenannten Gefährdungsgrads I an die Schulverwaltung melden zu müssen: „Auch diese Fälle müssen in die Statistik eingehen – Mobbing kann heftig sein.“ Zudem würde bei jeder Meldung an die Schulaufsicht auch die Schulpsychologie mit eingeschaltet: „Und ich glaube, es ist wichtig, dass wir als Experten da miteinbezogen werden.“
Mehr Schulsozialarbeit
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte bereits Anfang des Jahres angekündigt, das Meldeverhalten der Schulen analysieren zu wollen – bislang wird allerdings noch immer „geprüft“. Derweil ist im kommenden Doppelhaushalt, der im Dezember verabschiedet werden soll, bereits mehr Geld für die Schulsozialarbeit vorgesehen: Knapp 250 Schulen sollen profitieren.
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