ZDFneo-Serie „Wir“: Pilcher für Hipster

“Wir“ erzählt von einem hippen Freundeskreis in Brandenburg. Hauptrolle in der ZDFneo-Serie spielt in erster Linie die Instagram-Ästhetik.

Zwei Frauen umarmen sich

Helena (Katharina Nesytowa, l.) und Annika (Eva Maria Jost, r.) im Baumhaus – geht da was? Foto: Oliver Feist/ZDF

Auf Tiktok und anderen Sozia­len Medien trendet seit einer Weile die Modebewegung Cottagecore. Dabei feiern junge Menschen eine verkitschte Idee des Landlebens: Sie zeigen sich in wallenden Kleidern, zugewachsenen Gärten, beim Tee in urigen Hexenhäuschen oder in holzvertäfelten Küchen beim Brotbacken. Es ist der Hipster-Gegenentwurf zum hektischen Karriereleben.

Die ZDFneo-Serie „Wir“ ist der Inbegriff dieses Wunsches nach dem Instagram-tauglichen Frieden. Dass früher oder später Brandenburg vor die Cottagecore-Linse gerät, war auch nur eine Frage der Zeit, bei all den Berliner:innen, die sich dort ihren Traum von Idylle und Natur zu erfüllen versuchen.

Über zwölf Folgen wird ein Freundeskreis Anfang Dreißig begleitet: Da sind Helena und Tayo, die sich zusammen ein Haus in Teltow bei Berlin gekauft haben, oder Maik und Linh, die schon zwei Kinder haben und die alte Familiengärtnerei neu aufbauen wollen. Zu sehen sind die Freun­d:in­nen bei Geburtstagen im Garten oder beim Renovieren von Bauernhäusern. Ästhetisch erinnert die Serie mit ihren Retrofarbpaletten und ultrasymmetrischen Kameraeistellungen an Wes Anderson, inhaltlich eher an Rosamunde Pilcher.

Genügsamkeit statt ­Abenteuer

Die gemütliche Stimmung dieses Märchenwelt-Brandenburgs steckt an. Der alte Freun­des­kreis sitzt in einem lampionbehangenen Pavillon, trinkt und öffnet gelbe Ü-Eier. Die sind Zeitkapseln und darin Zettel, auf die sie alle mit Anfang Zwanzig ihre Hoffnungen und Träume geschrieben haben. Eine wollte Künstlerin werden, der andere Lamborghini in New York fahren, eine andere hat sich nur gewünscht, mit ihrem Jugendfreund zusammenzubleiben. Es scheint: Hier geht es nicht um Aufbruch, Abenteuer, oder was alles noch möglich ist, wie in Com­ing-of-Age-Filmen. Sondern um Genügsamkeit und Akzeptanz, also das wirkliche Erwachsenwerden.

Inhaltlich schafft es „Wir“, gleichzeitig eine relativ traditionelle Story zu erzählen, sie aber um Progressives zu ergänzen. Der Cast ist einigermaßen divers, die Beziehungen sind in einer modernen Millennialwelt verortet: Die Hauptstory erzählt von einer verflossenen Liebe zwischen zwei Frauen.

„Wir“, ab Fr., 15.10., 20.15 Uhr, ZDFneo, alle 12 Episoden stehen schon zum Streaming in der ZDF-Mediathek bereit

Doch wie verflossen das Ganze ist, wird infrage gestellt, als Annika auftaucht. Sie ist die eine aus dem Freundeskreis, die die Welt gesehen und Karriere als Architektin in Hamburg gemacht hat. Dass sie sich einfach so verabschiedet hat, nimmt man ihr zu Hause übel. Nach über zehn Jahren kommt sie in ihre Heimatstadt Teltow zurück. Besonders für Helena, die jetzt Schulleiterin im Ort ist und eine Zukunft mit ihrem Verlobten Tayo plant, ist das ein Schock. Denn Annika war ihre Jugendliebe. Ihr plötzliches Auftauchen bringt die geordneten Verhältnisse durcheinander und weckt alte Gefühle.

Liebelei statt Freundeskreis

Dann kommt eines zum anderen: Annikas Nichte wird bei Helena eingeschult, Annika braucht für ein Bauprojekt eine Polnisch-Übersetzerin. Immer wieder laufen die beiden sich über den Weg – so wie es der Zufall nun einmal in öffentlich-rechtlichen Romanzen will.

Und das ist „Wir“ auch vornehmlich. Die Liebesgeschichte spielt klar die Hauptrolle, der hippe Freundeskreis und dessen mögliche Sorgen und Nöte bleiben weitgehend Kulisse dafür. Wird hier zugegeben, dass das Leben ab dreißig doch zu langweilig ist, um es zu erzählen, zumindest wenn darin keine erschütternden Umbrüche stattfinden?

Aber auch, wenn „Wir“ nicht so sehr die Studie eines Lebensabschnittes ist, wie die Serie vielleicht vorgibt, ist die Story mitreißend erzählt. Wenn Annika und Helena in ihrem alten Baumhaus im Wald sitzen und es zu regnen beginnt, kann man quasi mitfühlen, wie sie plötzlich wieder Anfang Zwanzig sind, überwältigt und verliebt. Die Jahre und Erfahrungen, die sie getrennt haben: verschwunden.

Aber vielleicht will „Wir“ auch genau das erzählen: Dass man als abgeklärter Cottagecore-Hipster in seinen Dreißigern nicht davor sicher ist, jederzeit wieder zum verpeilten Twen zu werden.

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