ZDF-Doku „Wahnsinnig schön“: Das bisschen Botox
Eine neue Doku über den Schönheitswahn zeigt, dass der Filter-Trend nicht in den sozialen Medien endet. Sie verpasst, über das Bekannte hinauszugehen.
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Mit der längst nicht mehr nur aus dem Märchen bekannten Frage beginnt die ZDF-Doku „Wahnsinnig schön – Der Kult ums Aussehen“ von Bregtje van der Haak. Der wenig einfallsreiche Einstieg zieht sich durch die in den Niederlanden produzierte Doku, die an vielen Stellen verpasst, über das Bekannte hinauszugehen.
„Du weißt, dass du eine schöne Frau bist?“, fragt der plastische Chirurg Tom Decats seine Patientin, bevor er ihr die „Krähenfüße“, das sind die kleinen Fältchen um die Augenpartie, wegspritzt. Früher habe er vor den Eingriffen gewarnt. Heute versucht er nur noch, bestmöglich zu beraten. Von den Eingriffen abzuraten, würde nur dazu führen, dass sie woanders unter schlechteren Bedingungen gemacht werden. Denn der Schönheitshype hat einen neuen Höhepunkt erreicht.
ZDF-Mediathek und Fr., 16.9., 20.15 Uhr, auf ZDFinfo
Die zwei Zauberwörter lauten: Botox und Filler. Botox zum Straffen. Filler zum Aufpolstern. Gleich zu Beginn gelingt eine Bestandsaufnahme. Es wird gezeigt, wie weit verbreitet die Nutzung von Filtern in sozialen Netzwerken wie Instagram ist. Und dass der Filter-Trend längst nicht mehr nach dem Hochladen der Bilder endet. Immer mehr Menschen wollen aussehen wie auf den bearbeiteten Fotos.
Doch auch die besten Chirurg*innen können keine Filter in die reale Welt übertragen. Und das zum Leidwesen vieler, wie in den knapp 40 Minuten gezeigt wird. Denn aus der emotionalen Abhängigkeit – das eigene Ich gefiltert sehen zu wollen – ist auch eine finanzielle geworden: Influencer*innen, die Follower:innen verlieren und Stars, die in Musikvideos ihre Kurven nur an den richtigen Stellen gebrauchen können.
Doku schneidet wichtige Aspekte oft nur an
„Wahnsinnig schön“ verspricht Einblicke in die Welt des Schönheitswahns in Zeiten sozialer Netzwerke. Sie wird diesem Versprechen zwar gerecht, streift wichtige Aspekte wie die Gefahren und Folgen des ständigen Strebens nach Schönheit jedoch oft nur. Und verharrt zu lange an Stellen, wo es schon andere Dokus vor ihr getan haben: bei Influencer*innen, Models und der Modeindustrie.
Keine Frage, dass sie es sind, die eine entscheidende Rolle in dem gesellschaftlichen Verständnis von Schönheit einnehmen. Dennoch bleiben die Erkenntnisse vorhersehbar: Die Norm in der Modelwelt ist schlank. Die Modelwelt ist zu wenig divers. Was fehlt: ein stärkerer Fokus darauf, dass die Problematik nicht nur auf den Laufstegen und in den OP-Sälen, sondern auch im Alltag stattfindet.
Auch Diskriminierung aufgrund des Aussehens wird nur vage genannt. Dabei hat sie einen Namen: Lookismus. In einer aktuellen Dokumentation über das Thema Aussehen müsste dies klarer benannt werden. Expertin und Soziologin Sylvia Holla verpasst nicht nur, Lookismus zu benennen, sondern auch, die Abwertung aufgrund des Aussehens intersektionell zu betrachten. Denn sie tritt zusammen mit anderen Diskriminierungsformen auf.
Sexismus und Rassismus sind nur einige Beispiele. Holla lässt diese Aspekte außen vor. Und merkt stattdessen an, dass das neue Schönheitsideal schlank und kurvig „für die weiße Frau“ schwerer zu erreichen sei. Von Schönheitsidealen zu sprechen, ohne Weißsein als europäisches Schönheitsideal zu benennen, wirft viele Fragen auf und wird erst wieder von einer Schwarzen Aktivistin aufgefangen. Diese weist zwar auf die Diskriminierung von People of Color hin, beschränkt sich aber leider größtenteils auf Modemagazine, die diverser werden müssen.
Die Doku suggeriert zudem in Gestalt von Soziologin Holla, das Schönheitsideal „schlank und dünn“ sei früher einfacher zu erreichen gewesen. Nämlich, indem man einfach auf das Essen verzichtete. Heute sei das aufgrund der Kurven schwerer. Den Leidensdruck und die Krankheitsbilder zu verkennen, die aufgrund von „einfach weniger essen“ entstehen, ist fatal. Die Dokumentation will dem Schönheitswahn den Spiegel vorhalten, entpuppt sich aber als Ansammlung von teils bedenklichen Plattitüden. Sie verpasst damit die Chance, einen wirklichen Mehrwert zu liefern.
Leser*innenkommentare
04405 (Profil gelöscht)
Gast
Die Ironie der Geschichte: In meiner Ansicht des Artikels wird mir "dichteres Haar in 10 Sekunden" vom DM-Markt über Google-Ads eingeblendet. Soll noch einer sagen, KI funktioniert nicht.
Zum Artikel: Ich halte es nicht für abwegig, für plastische Chirurgie eine psychiatrische ICD-Ziffer einzuführen. Eine Art sub-klinische Magersucht, Ausdruck mittleren bis großen seelischen Leidensdrucks.
Oder eben nicht sub-klinisch. Somatoforme Körperstörung vielleicht? Völlig unnötige chirurgische Eingriffe und teilweise hochriskant, statt echter Hilfe kriegen die Betroffenen des Kaisers ganz neue Kleider angepasst. Therapeutischer Nutzen gleich Null, außer bei klaren Funktionseinbußen wie eine Gaumen-Kieferspalte oder chronische Rückenschmerzen. Ich kann Schönheitschirurgie gar nichts abgewinnen.
Allesheuchler
Fake ist immer und überall
Seit Anbeginn der Menschheit gibt es Schmuck, Tatoos, Schminke usw., um begehrenswerter zu sein und neben Aufmerksamkeit auch potentielle Partner zu erreichen.
Ob ich nun auf (retuschierte) Fotos hereinfalle oder auf falsche Brüste, falsche Wimpern, falsche Haare oder -teile oder -farbe, falsche Fingernägel oder Augenfarbe…einerlei; mein nächstes Geld verdiene ich in der Schönheitsindustrie: die ist wie Essen, Trinken und Sterben von Dauer und insbesondere wegen konsumierender und konkurrierender Frauen ein Milliardengeschäft, danke dafür!
Lowandorder
Sach mal so: wg eines präKarzinoms unter dem Nagel des Mittelfingers links.
Griff die - Koryphäe im Köln/Bonner-Raum - 7x zum Skalpell.
Heftig zu sehen - aber Profi halt. Gedankt! B
& Däh =>
Zur etliche Zeit späteren Routinenachuntersuchung.
(Sie hatte den Bonn - Berlin - Tausch genutzt!)
War ich echt verstört - über die Patientinnenschar
& die ausliegenden Vorher/Nachher-Flyer!
“kurz - …ist der Wahn. Die Reu ist lang“