YouTuber im Kino: Minimale Formate, maximaler Ruhm
YouTuber wie PewDiePie oder das Comedy-Team Smosh sind heute bekannter als Hollywood-Stars. Trotzdem zieht es einige von ihnen ins Kino.
Neulich war Sascha Lobo gemeinsam mit Kelly a.k.a. MissesVlog bei Marie Meimberg zu Gast. Jemand hatte das auf Facebook verlinkt, klang interessant, war interessant, gerade weil mir von den dreien nur Sascha Lobo was sagte, der Mann mit dem Iro, der seit Jahr und Tag den digital nicht so Nativen das Netz und die Folgen erklärt.
Marie Meimberg, die ich nicht kannte, hat beim YouTube-Vermarkter Mediakraft gearbeitet, macht Musik und hat einen recht erfolgreichen YouTubekanal. Unter anderem lädt sie dort unter dem Titel „Maries Stammtisch“ im Tresenambiente zu Themen wie „Ehe für alle“ oder „Flüchtlinge“ Leute zum Talk, die man außerhalb von YouTube oftmals nicht kennt.
Sascha Lobo hatte in der Sendung seinerseits ein offen eingestandenes Fremdheitserlebnis: Er hat von den Stars mit ihren Millionen-Abonnenten-Accounts – zu denen auch Kelly gehört – meist nicht mehr als den Namen gekannt, den von Superstar Dagi Bee sprach er prompt und zum Amüsement der beiden Anwesenden auch noch falsch aus. Umgekehrt gilt das übrigens auch: Lobo war Kelly Vlog nicht wirklich ein Begriff. Man kam trotzdem ganz gut ins von Lobo allerdings dominierte Gespräch. Wer sich für das Internet von gestern und das von heute interessiert, sollte das sehen.
Klar, von Le Floid kann man als Altmediennutzer inzwischen wissen, der hatte es schon vor dem Interview mit Angela Merkel in außer-youtubische Aufmerksamkeitssphären geschafft. Was auch daran liegt, dass er einer der wenigen ist, die sich im üblichen frontalen Single-Kamera-Monolog-Format überhaupt zu Gesellschaft und Politik äußern.
Aber Dagi Bee und Kelly, die Schminktippmädchen und Haulpräsentatorinnen, die Let’s-Play-Videospiel-Kommentatoren und die Witzemacher und Sketchproduzenten mit ihren oft in die Millionen gehenden Zuschauern und Abonnentinnen? Es gibt eben tatsächlich ein Innerhalb und ein Außerhalb von YouTube, die meisten YouTuber, die in ihrer Zielgruppe Superstars sind und im richtigen Leben Menschenaufläufe von kreischenden Teenies verursachen, sind für den Rest der Welt einfach niemand.
Aber für die Zielgruppe sind sie richtige Stars. Eine Umfrage, die das Filmbranchenblatt Variety im letzten Jahr in den USA in Auftrag gab, kam zum Ergebnis: Unter den 13- bis 18-jährigen sind die YouTuber in so ziemlich jeder Hinsicht beliebter und bekannter als die Stars aus Film und Fernsehen. Das an der Spitze der Bekanntheit liegende Comedy-Team Smosh übertrifft die Werte von Jennifer Lawrence oder Johnny Depp sehr deutlich. Der prominenteste Hollywood-Star auf Platz sechs lebt, böse Ironie, schon nicht mehr: Es ist der „Fast and Furious“-Protagonist Paul Walker. Kein Zufall, dass die Umfrage von Variety kam: Hollywood macht sich Sorgen, es könnte den Anschluss verpassen.
Grenzenlose Fragmentierung
Aber auch die Zielgruppe ist in sich differenziert, das versteht sich von selbst, die Welten der Let’s-Play-Fans (tendenziell männlich) und die der Haul-Guckerinnen (tendenziell weiblich) überschneiden sich wenig. Robert Kyncl, der Boss der Google-Tochter YouTube, beschreibt das selbst so: „In der vernetzten Welt ist auf den Regalen unbegrenzt Platz, aber auch die Fragmentierung ist grenzenlos. Die Superfans wissen alles über die Menschen, für die sie sich interessieren.
In der Zukunft wird es weniger Überschneidungen geben, weniger Stars, die auch sonst jeder kennt. PewDiePie hat 32 Millionen Abonnenten – aber die meisten haben noch nie von ihm gehört.“ PewDiePie ist ein schwedischer Let’s-Play- und Gameplay-YouTuber; das Zitat stammt aus einem New-Yorker-Artikel vom vergangenen Dezember, die Zahl ist nicht mehr aktuell, sie liegt jetzt bei über 38 Millionen.
Bei aller Differenzierung: Jung sind sie fast alle, Teens, Twens, die wachsen da auch schnell wieder raus, die meisten YouTuber sind mutmaßlich Wegwerfstars, aktuell ist unklar, wie sich eine solche Karriere verstetigen ließe. Macht erst einmal nichts, für die Werbung sind diese Stars hoch attraktiv. Sie haben meistens nicht die mindesten Berührungsängste mit dem Kommerz, beim Haul – also dem Video über Fashion- und andere Einkäufe – geht es ja gerade um die Marken, den Style, die Personality, die sich über Brands selbst brandet.
Direkt ins Lachzentrum von Zwölfjährigen gezielt
Und von der Aufmerksamkeit, vom Geld, von den Distinktionen hätten viele gern etwas ab, nicht zuletzt die Filmindustrie. Und auch umgekehrt: YouTuber fühlen sich als Upstarts und Underdogs, den Glam des Kinos, von Hollywood hätten sie gerne auch. Brittany Furlan ist einer der erfolgreichsten Stars auf Vine, aber sie gibt offen zu: „Die ganzen Vine-Stars wollen nicht hier versacken. Wir wollen ins Fernsehen, ins Kino – obwohl wir ironischerweise doch mehr Zuschauer haben als die.“
Vine ist in Deutschland noch nicht so big, ein Minimalvideoformat, das passenderweise zu Twitter gehört: Sechs Sekunden, mehr geht da nicht. In den USA ist das trotzdem enorm populär, man kann auch staunen, was an Anspielungen und (Eigen-)Bezügen so alles möglich ist in dem Format. Die mit insgesamt über 6 Milliarden Abrufen wohl populärste Vinerin Lele Pons produziert erstaunlich hoch verdichtete Sketche, die den Vorzug haben, das mehrmalige Sehen zu provozieren – nicht umsonst heißen die Abrufe bei Vine deshalb „Loops“.
So richtig ins Kino geschafft haben es bislang allerdings die wenigsten. Klar, es gibt auf YouTube auch eigenproduzierte Webserien, wiederkehrende Figuren, Sketchformate. Besonders berühmt und viel abonniert ist in Deutschland etwa Freshtorge (mit bürgerlichem Namen Torge Oelrich), der mit einzelnen Sketchvideos um die extrem begriffsstutzige Schülerin Sandra (gespielt von Freshtorge) Abrufzahlen von über 12 Millionen hat.
Das ist total albernes Zeug, professionell billig gemacht, jetzt auch nicht unbedingt blöder als Bully, aber doch sehr direkt ins Lachzentrum von Zwölfjährigen gezielt. Oelreich hatte freilich weiter reichende Ambitionen, das Ergebnis lässt sich aktuell unter dem sinnbefreiten Titel „Kartoffelsalat“ in deutschen Kinos betrachten.
Es wimmelt in diesem Film von deutschen YouTubern, meist in Sprechrollen-Häppchen; als Mann aus ganz anderen Zeiten mischt Otto Waalkes mit, seine Firma Transwaal hat sogar koproduziert. Das Genre: Schulkomödie meets Zombies, das Ganze wird aus nicht näher genannten Gründen mit einer Reihe von Anspielungen auf „Breaking Bad“ serviert. Heraus gekommen ist ein jämmerlich witzloser Film, der am ehesten an die zum Glück ziemlich vergessenen Tiefpunkte von Didi Hallervordens Kinokarriere oder auch die Lümmel-Filme der Siebziger erinnern.
Mantel des Schweigens über „Kartoffelsalat“
Was auch größere Teile der Zielgruppe nicht anders sehen. Die Besucherzahlen sind mit bislang 240.000 alles andere als übel, aber selbst auf YouTube sind die Kommentare teils gar nicht freundlich, und in der Internet Movie Database liegt „Kartoffelsalat“ bei genau einem Stern (von zehn möglichen): zu recht, man breitet am besten den Mantel des Schweigens über dieses Desaster.
Und blickt noch einmal nach Amerika, wo es ein anderer Deutscher mit dem Crossover schlauer angestellt hat. Flula Borg heißt der Mann, kommt aus Franken, was man seinem Amerikanisch auch anhört. Im Vergleich etwa zum coolen Schwulenaktivisten Tyler Oakley, der es bis in die Talkshow von Ellen DeGeneres schaffte und mehr als 7 Millionen Abonnenten hat, nehmen sich Borgs 600.000 recht kümmerlich aus.
Allerdings hat er sich mit einem eigenwilligen Format die Aufmerksamkeit Hollywoods gesichert. Er kapert auf seinem Kanal nämlich das Genre des öden Promo-Interviews mit Hollywood-Stars, fordert sie dabei auf, bestimmte Worte und Sätze zu sagen und Geräusche zu machen und remixt das dann flott und gekonnt zu Spoken-Word-Performances.
Stars wie Susan Sarandon, Amy Schumer und Will Ferrell machen das (mehr oder weniger) freiwillig mit. Der Trick hat geklappt: Flula Borg ist gelandet, wo viele der YouTuber landen wollen, nämlich im Film. Im extrem erfolgreichen Sequel des Comedy-Musicals „Pitch Perfect“ hatte er dieses Jahr eine kleine Nebenrolle als ein gewisser Pieter Krämer. Prompt führte ihn der Hollywood Reporter kürzlich unter den 25 Top Digital Stars. Da passt am besten das Wort, mit dem Borg seine Interviews zum Schrecken der Gegenüber stets lautstark beginnt: BOOM!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!