Yael Ronen an der Berliner Schaubühne: In der Wiederholungsschleife
Das Leben, die Konflikte, die Geschichte. Alles verläuft in Zyklen in Yael Ronens neuem Stück. „Replay“ läuft an der Berliner Schaubühne.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, so ein Sprichwort. Theatermacherin Yael Ronen macht daraus Zyklen, die, wie es Eva Meckbach zu Beginn auf der Bühne bemerkt, an Jahreszeiten oder aber die weibliche Periode erinnern. Was in Ronens neuem Stück „Replay“ an der Berliner Schaubühne folgt, ist die Aufarbeitung einer Familiengeschichte, die 1987 in der DDR beginnt und bis in unsere heutige Zeit reicht.
Zu Anfang macht sich eine Operndiva auf von Dresden nach Bayreuth, wo sie als bisher „jüngste und schlankste“ Sopranistin die Brunhild singen darf. Ruth Rosenfeld, selbst ausgebildete Sängerin, spielt und singt diese exaltierte, im narzisstischen Spektrum verankerte Figur so souverän, dass es schwer fällt, Sympathie ihr gegenüber aufzubringen. Das mag auch daran liegen, dass die Operndiva zudem eine Mutter ist, die ihre Töchter (gespielt von Eva Meckbach und Carolin Haupt) mit dem alkoholkranken Vater (Renato Schuch) zurücklässt, während sie selbst Republikflucht begeht.
Eine Ost- oder Wendegeschichte ist „Replay“ nicht. Die geschichtliche Referenzen bleiben oberflächlich und spielen bei der weiteren Entwicklung, nur peripher eine Rolle. Etwa gegen Ende, wenn sich herausstellt, dass sich der Vater der Opernsängerin erhängt hat, damit nicht herauskommt, wie er den Zweiten Weltkrieg überlebte. Dennoch schwingt Geschichte immer mit, man muss sie aber kennen, um sie zu erkennen.
Faszinierende Wiederholungsmuster
Ronen konzentriert sich eher auf die Mikrostrukturen, die kleinen Zyklen des individuellen Lebens, wie sie im Begleitheft sagt: „Mich faszinieren diese Wiederholungsmuster von bestimmten archetypischen Fragen, Konflikten oder Verhaltensweisen, die man in jedem einzelnen Leben und in jeder Beziehung findet.“
Diese Wiederholungsmuster sorgen im Laufe von „Replay“ dafür, dass sich Luise – Lu genannt – als Partner jemanden sucht, der zwar ebenso musikalisch, aber auch ähnlich narzisstisch wie ihre Mutter und obendrauf Alkoholiker wie ihr Vater ist. Dass diese Beziehung immer wieder zu Auseinandersetzungen führt, Lu wiederholt getriggert wird, liegt an der fehlenden Erkenntnis der eigenen Verhaltensmuster.
„Was ich in meinem Leben erlebe, hat nicht bei mir angefangen“, sagt Noga Maivar, Therapeutin für Familienaufstellung im Begleitheft. Solange wir uns der Probleme und Traumata unserer Vorfahren nicht gewahr würden, wiederholten wir sie. Lu bekommt auch als Erwachsene ähnlich dramatische Tobsuchtsanfälle wie als kleines Mädchen, in denen sie nur Schwester Lotte wieder beruhigen kann. Carolin Haupt verausgabt sich beinah darin; sie und Eva Meckbach spielen das Kästners „Doppeltem Lottchen“ nachempfundene Schwesternpaar durchaus überzeugend.
Überhaupt taucht man schnell ein in Ronens Handlung, wird mitgerissen, wie in einen Film oder eine Serie. Zuweilen wird es etwas albern und effekthascherisch. Doch dem Publikum scheint es zu gefallen, immer wieder wird laut gelacht, trotz der eigentlichen Tragik der Geschichte. Ob es die Einleitung mit Meckbach als auktoriale Erzählerin braucht, ist fraglich. Auch wenn der Fakt interessant ist, dass neben dem Menschen nur die Walweibchen eine Menopause erleben – alle anderen Säugetiere sterben einfach, wenn sie nicht mehr fruchtbar sind.
Eindruck des Filmischen
Besonders ist das Bühnenbild von Magda Willi, das das Zyklische mit seinem fahrenden Rundpodest in der Mitte und den mit Projektionen bespielten Stoffbahnen, die von der Decke hängen, visuell interpretiert. Die Klavier- und Streicherkompositionen von Yaniv Fridel und Ofer (OJ) Shabi untermalen indes die Dramatik und verstärken den Eindruck des Filmischen: Theater wie Netflix sorgt fürs Bingen des Bühnengeschehens.
Wie eine Grafik von M. C. Escher oder der „Canon perpetuus“ von Johann Sebastian Bach – beides Referenzen im Stück – erleben wir die aktuellen Geschehnisse wie in einem „strange loop“: Trump als Präsident, Krieg in Nahost, eine Revolution in Syrien und ein russischer Imperator.
Laut der Zyklustheorie von William Strauss und Neil Howe, auf die sich Ronen stützt, steht der Winter für den Zusammenbruch, aber auch für Transformation. Ob für Letztere in „Replay“ keine Zeit mehr war – oder kein Budget? –, fragt man sich etwas ratlos am Ende. Sichtlich ergriffen verlässt das Publikum den Saal, aber auch nachdenklich. Was bleibt, ist die „Game of Thrones“-Referenz, die Meckbach vor Handlungsbeginn in den Saal ruft: „Winter is coming!“
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