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Yael Bartana in BerlinDie Ästhetik der Demokratie

Faschistoid oder verrückt? An Yael Bartana scheiden sich die Geister. Ist die Documenta-Teilnehmerin von 2007 eine israelische Leni Riefenstahl?

Die Deligierten des Jewish Renaissance-Movements in Poland diskutieren. Bild: MICHAL JASTRZEBSKI

Spätestens seit die 1970 in Israel geborene Videoartistin Yael Bartana auf der Biennale von Venedig im letzten Sommer als erste nichtpolnische Künstlerin im polnischen Pavillon ihre Videotrilogie „… and Europe will be stunned“ zeigte, steht sie unter Totalitarismusverdacht. Ist die Documenta-Teilnehmerin von 2007 eine israelische Leni Riefenstahl?

Unter Bartanas Arbeiten markierte das aufsehenerregende Werk den Übergang vom dokumentarischen zum inszenierten Video. Oberflächlich betrachtet, mag es wie die Mimikry des Faschismus wirken, so wie im Video der „Führer“ der fiktiven Jewish Renaissance Movement in Poland (JRMiP) in einem Warschauer Stadion ein Manifest verliest. Doch Bartana spielt nur mit den Versatzstücken der politischen Propaganda – vom Sozialismus bis zum Zionismus. Denn abgesehen davon, dass der linke polnische Publizist Slawomir Sierakowski den „Führer“ spielt, würde kein Diktator den Satz „With one language we cannot speak“ intonieren.

Der mit einem Judenstern fusionierte polnische Adler lässt sich kaum als Symbol einer exklusiven Heilsbewegung lesen. Und auch der provozierende Slogan, „3,3 Millionen Juden nach Polen“ zurückholen, ist nicht wörtlich gemeint, sondern kombiniert motivisch die Kritik am polnischen Antisemitismus mit dem zionistischen Traum von der Rückkehr nach Israel zu dem Symbol einer übernationalen Denkbewegung.

Vielfalt, Zweifel und Widerspruch

Der erste reale Kongress der „Bewegung“ vergangenes Wochenende im Berliner Hebbel-Theater im Rahmen der Berlin-Biennale dürfte nun endgültig den Argwohn zerstreut haben, die Künstlerin propagiere irgendeinen Geschichtsrevisionismus. Statt von Jungpionieren zum Massenappell versammelte sich eine bunte Truppe an einem runden Tisch zum basisdemokratischen Massenpalaver. Und so wie sie sich an dem Traum von einer Gesellschaft jenseits von Rasse, Religion, Geschlecht und Nationalität abarbeitete, war das alles andere als effekthascherisches Israel- oder Polen-Bashing.

Zwar waren sich die Teilnehmer des dreitägigen Marathons nicht sicher, ob sie wirklich an einer politischen Aktion mitwirkten oder nur das Inventar einer Installation abgaben. Aber auch ästhetisch stimmte alles: Nicht Pathos und Überwältigung regierten das Happening, sondern Vielfalt, Zweifel und Widerspruch. Und die Ästhetik der Demokratie zeigte sich in Reinkultur, wenn nach ermüdender Debatte geschwächte Gestalten ihre Stimmkarten zückren. Es war humanoid, sozusagen.

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