Xatar Album „Nr. 415“: Über die Gefängnismauern
Der kürzlich verstorbene Xatar hat mit „Nr. 415“ ein legendäres Deutschrap-Album produziert. Jetzt lohnt es sich, noch mal reinzuhören.
Der Häftling 415 der JVA Rheinbach lässt sich von seinem Gefangenendasein nicht irritieren. Von den Wärtern unerkannt schmuggelt Xatar sich ein Nokia 7210 in den Knast. Nachts ruft er einen Kollegen an, der ihm Beats vorspielt. Giware Hajabi, so sein bürgerlicher Name, rappt dazu auf ein Tonbandgerät. Noch während seines Aufenthalts 2012 gießt sein Label daraus ein Album, „Nr. 415“.
Es war nicht Hajabis erster Aufenthalt in Gefangenschaft. Schon als Kind wurden seine kurdische Familie und er im Irak von Saddam Husseins Schergen eingesperrt. Als Sohn einer Lehrerin und eines Dirigenten im Iran geboren, war Hajabi nach der Flucht in Deutschland für viele nur noch der „Asi“, wie er selbst berichtet. Die Klauen der deutschen Mehrheitsgesellschaft hatten zugepackt und die rassistische Entwertung vorangetrieben. „Wir K*** landen immer im Gerichtssaal“, heißt es auch auf „Nr. 415“.
Doch Hajabi ist einer, der versucht, aus jeder Situation das Beste zu machen. Seine erste Berührung mit Hip-Hop hat der langjährige Klavierspieler mit Dr. Dre’s „The Chronic“ – und die sitzt. Xatar fängt daraufhin nicht nur an zu rappen, sondern gründet wie sein US-Kollege auch gleich ein Label, „Alles oder Nix Records“. So nimmt Xatar im Laufe der Jahre mehrere einflussreiche Künstler*innen wie SSIO oder Schwesta Ewa unter Vertrag und prägt die deutsche Rap-Landschaft nachhaltig.
Das Straßenleben, das den Rap prägt, aber oft auch künstlich aufgeraut wird, ist für den Bonner Xatar die Grundlage seiner Kunst, nichts verkörpert das eingängiger als „Nr. 415“. Darauf legendäre Lines wie: „Was Facebook? Geh auf Interpol.com, klick mein Profil!“; oder „Wenn Sarrazin rumläuft, klatscht es richtig. Aber keinen Beifall.“
„Nr. 415“
Xatar
Alles oder Nix Records, 2012
Sein plötzlicher Tod am 8. Mai traf die Hip-Hop-Szene wie ein Schlag. Sie verlor eine ihrer einflussreichsten Personen. Und dem rechten Autor Thilo Sarrazin gönnte man sein erleichtertes Aufatmen definitiv nicht.
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