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Wut der Geiselangehörigen„Sie sind es, die Angst haben“

Ein Deal für eine Freilassung der Hamas-Geiseln lässt auf sich warten. Gleichzeitig wächst bei den Angehörigen die Kritik gegen Israels Regierung.

Seit nunmehr fast fünf Monaten vermisst: Fotowand in Tel Aviv mit von der Hamas verschleppten Menschen Foto: AP Photo/Maya Alleruzzo

Tel Aviv taz | Auf einem großen Bildschirm auf dem Tel Aviver „Platz der Geiseln“ zählt eine Stoppuhr die Tage und Stunden seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Am Samstagabend steht sie kurz davor, auf „120 Tage“ zu springen. Während die Verhandlungen zwischen der palästinensischen Terrororganisation und der israelischen Regierung nur zäh vorankommen, ist der Unmut unter den Angehörigen der mehr als 130 noch in Gaza festgehaltenen Geiseln inzwischen groß.

„Die Regierung sagt, wir müssen die Hamas und Jahia Sinwar (deren Anführer, Anm. d. R.) weiter unter Druck setzen, damit sie den Bedingungen zustimmen“, ruft Ronen Manelis, ein Brigadegeneral der Reserve und ehemaliger Sprecher der israelischen Armee, den Tausenden Menschen zu, die zur wöchentlichen Mahnwache gekommen sind. „Dabei sind sie es, die Angst vor einer Kampfpause haben, weil sie fürchten, dass dann Kritik und Ermittlungen aufkommen könnten.“

Derart politische Töne sind neu auf dem Vorplatz des Tel Aviver Kunstmuseums. Bisher hatte sich das Forum der Geiselfamilien, das sich als Unterstützungsgruppe bereits kurz nach dem Überfall formiert hatte, politisch zurückgehalten. Doch seit dem letzten Waffenstillstand Ende November wurde keine weitere Geisel mehr befreit. Die Armee konnte trotz ihrer massiven Offensive bisher nur Leichen bergen. „Die Zeit läuft ab“, steht auf dem Schild einer Teilnehmerin.

Zahlreichen Medienberichten zufolge liegt seit vergangenem Wochenende ein Vorschlag für ein Rahmenabkommen zwischen der Hamas und Israel vor. Es soll in mehreren Phasen die Befreiung der Geiseln sowie im Gegenzug eine wochenlange Kampfpause und die Freilassung einer bisher unbekannten Zahl an palästinensischen Gefangenen beinhalten. Doch eine Einigung wurde bisher nicht verkündet. Immerhin gibt es vorsichtige Signale dafür: Israels Kriegskabinett wollte am Sonntagabend zu einem Treffen zusammenkommen.

In Israel haben die Verhandlungen zu heftigem Streit geführt. Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte deutlich gemacht, dass eine Freilassung von Tausenden palästinensischen Gefangenen und ein Ende des Krieges nicht infrage komme. Der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, hatte eine wochenlange Kampfpause und die Freilassung von Gefangenen als „rücksichtslos“ bezeichnet und gar mit einem Rückzug aus der Regierung gedroht.

Nicht alle einig, wie Israel weiter agieren sollte

„Rücksichtslos“, so bezeichnet Carmit Palti-Katzir am Samstag auf dem „Platz der Geiseln“ einen Deal, der israelische Bürger in Gaza zurücklasse. Ihr Bruder Elad war am 7. Oktober aus dem Kibbuz Nir Oz entführt worden. Doch auch unter den Angehörigen sind sich nicht alle einig, wie Israel weiter agieren sollte. „Die Armee müsste härter vorgehen und keine humanitäre Hilfe nach Gaza lassen, bis die Geiseln zurück sind“, sagt Schmuel, einer der Besucher der Mahnwache in Tel Aviv.

Eine kleinere Gruppe von Angehörigen, das Tikva-Forum (Hebräisch für „Hoffnung“), setzt sich gegen Zugeständnisse an die Hamas ein. Die Mitglieder stammen laut der Times of Israel vor allem aus dem national-religiösen Umfeld. In den vergangenen Wochen versuchten sie mehrfach, humanitäre Hilfslieferungen nach Gaza am Grenzübergang Kerem Schalom oder am Hafen von Aschdod zu blockieren.

Nachzulassen scheint das militärische Vorgehen im Gazastreifen trotz der Verhandlungen indes nicht. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden in der Nacht auf Sonntag in Gaza binnen 24 Stunden 127 Menschen getötet und 178 verletzt. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Israels Verteidigungsminister Joaw Galant hatte unlängst angekündigt, die Armee werde Rafah an der Südgrenze des Gazastreifens erreichen und „jeden Terroristen eliminieren“.

In der Grenzstadt zu Ägypten drängen sich mehr als eine Million Vertriebene zusätzlich zu den 250.000 Vorkriegsbewohnern zusammen. Viele von ihnen sind bereits zum zweiten oder dritten Mal binnen weniger Monate geflohen. Zwischen den Gebäuden erstreckt sich ein Meer von Zelten und Verschlägen. Stockende Hilfslieferungen, Hunger und sich ausbreitende Krankheiten würden Rafah zu einem „Druckkochtopf der Verzweiflung“ machen, sagte jüngst Jens Laerke, Sprecher der UN-Nothilfebüros OCHA.

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