Wüstenrock mit Berliner Note: Die Kraft der Gitarre
Ein Zusammenspiel von Tuaregs mit Berliner Musikern: Jeden Mittwoch im Juni gastiert die Orion Congregation in den BLO-Ateliers in Lichtenberg.
Die Wüste, man weiß es, sie lebt. Vor allem aber klingt sie einfach toll, mit den perlenden Gitarrenläufen in einem gelassenen Groove. Der Wüstenrock. Längst ist der auch ein Sehnsuchtsort von Indierockfans, die bemerken mussten, dass aus ihrer Lieblingsmusik einigermaßen die Luft raus ist – die aber zum Trotz weiter an der Kraft der Gitarre festhalten wollen. In dieser Musik ist die beschwörende Kraft weiter da. Man konnte es hören, vergangenen Mittwoch beim Auftakt einer Konzertreihe in den BLO-Ateliers. Und man kann es dort nochmals hören, jeden weiteren Mittwoch im Juni bei den Auftritten des Projekts Orion Congregation.
Die gewachsene Beliebtheit des Wüstenrocks der Tuareg spiegelt sich im Konzertkalender: Im März spielten Tinariwen, so was wie die Stammväter des Genres, vor ausverkauftem Haus im Heimathafen, im April waren Tamikrest in der Stadt, im Mai rockten Imarhan die Volksbühne.
Innerhalb kürzester Zeit gastierte damit die Champions League der Tuaregrocker in der Stadt. In dieser Liga spielt durchaus auch die musikalische Arbeitsgruppe, die sich in den BLO-Ateliers, dem Künstlerdorf auf dem Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerks Lichtenberg Ost, eingefunden hat.
Aus Mali mit dabei Ahmed Ag Kaedi, einer der Protagonisten des Dokumentarfilms „Mali Blues“ (2016). Gerade spielte Kaedi mit Fatoumata Diawara beim Afrikafestival in Würzburg, weswegen dieses Berliner Projekt überhaupt erst möglich wurde mit Kaedis Cousin Alhousseini Anivolla als weiterem Sänger und Gitarristen. Seit vier Jahren lebt der aus Niger kommende Tuaregmusiker in Berlin.
Einfühlsame Verfremdungseffekte
Unterstützt bei der Orion Congregation werden die beiden von Berliner Musikern, die sonst etwa mit dem Omniversal Earkestra zu hören sind und bei der mit afrikanischer Musik gut vertrauten Band Onom Agemo.
Ohne sich je in den Vordergrund schieben zu wollen, setzten die durchaus ihre eigenen Akzente. Die Geigerin Fabiana Striffler, die mit einem irrlichternden Spiel den Wüstenrock-Groove flankierte, die einfühlsamen Verfremdungseffekte, die Johannes Schleiermacher am Saxofon und Synthesizer fand. An diesem Mittwoch in den BLO-Ateliers durfte sich die Musik auch mal über die Schulter schauen und psychedelische, jazzerfahrene und selbst kammermusikalische Färbungen anprobieren. Sie passten bestens zu den sich sacht wiegenden Liedvorlagen von Ahmed Ag Kaedi und Alhousseini Anivolla.
Der Wüstenrock, mit einer aparten Berliner Note. Er soll auch auf einem Album festgehalten werden. Ende des Monats will die malisch-berlinische Arbeitsgruppe dafür ins Studio. Und langfristig geplant ist ein Gegenbesuch der Berliner Musiker in Mali, um mit Tuaregmusikern zu spielen. Wenigstens dort, wo das überhaupt möglich ist in dem Land.
Wechselnde Frontlinien
Weil ja die Lage dort weiterhin verfahren ist, vor allem im Norden mit den durchaus auch wechselnden Frontlinien zwischen Islamisten, den für einen eigenen Staat kämpfenden Tuareg und dem malischen Militär. Musik jedenfalls kann Ahmed Ag Kaedi in Kidal, seiner Heimatstadt im Nordosten Malis, nicht mehr machen. Zu gefährlich, sagt er im Gespräch vor dem Konzert. Derzeit wohnt er in der Hauptstadt Bamako, wo er mit seiner Band Amanar – sozusagen im Exil – spielt.
Diese Zerrissenheit ist auch Thema seiner Lieder. „Dass wir die gleiche Vision hätten, dachte ich“, singt er in „Alghafiat“ (Frieden), „aber nun bin ich mir nicht mehr sicher, ich hatte eine schlechten Tag voller Überraschungen, mit jedem Blick sehe ich meine Brüder, mein Volk, ihre Stadt verlassen, ihr Land, Kidal.“
Ein Protest, sagt er, sei seine Musik, in der er wiederum den traditionellen Rhythmen und Melodien seiner Heimat folgt. Ein Hilfeschrei. Dass der nun hier mit der Tuareg-Kultur zu hören ist, sei ihm wichtig. Selbst wenn es ihn dann seltsam berührt angesichts seiner Botschaften, wenn dazu im Publikum getanzt wird. Was aber durchaus okay sei, entgegnet im Gespräch sein Cousin Anivolla: „Man darf sich nicht von der Traurigkeit einfangen lassen.“
Auch in den BLO-Ateliers wurde am Mittwoch schließlich auch getanzt. Die Musik mit ihrem Wiegen und Wogen legt es einem einfach nahe. Der Sound der Wüste, mit Berliner Bemerkungen, gelassen ins Hypnotische spielend. Man kann sich dem gut anvertrauen. Bis Ende Juni hat man die Chance dazu mit der Orion Congregation.
Orion Congregation: BLO-Ateliers, Kaskelstr. 55, 14./21./ 28. Juni, 20.30 Uhr
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