Wrestling im Selbstversuch: Wie von einer Dampframme getroffen
In den USA sind die Kämpfe Shows, die Profis sind Idole und die Veranstalter börsennotiert. Doch wie trainieren Wrestler in Deutschland?
HAMBURG taz | Ich konzentriere mich noch auf das Anspannen der Brust- und Bauchmuskeln, als mich mein Gegner trifft – wie eine Dampframme. Benommen finde ich mich auf dem Ringboden wieder und eine komische Flüssigkeit läuft in mein Blickfeld – Blut. Wie durch einen Schleier sehe ich das Lächeln von meinem Gegenüber, der sich hier Scotty nennt. Knapp 100 Kilo Muskelmasse verteilt auf 1,80 Meter.
Er ist ein Wrestling-Profi und trainiert am Rande von Hamburg. Ich mache dabei einmal mit und gehe auch mit in den Ring. Dort hat er mich mit einer Grundkampftechnik des Wrestlings angegriffen: dem Clothesline. Dabei rennt man auf seinen Gegner zu und reißt ihn mit dem ausgestreckten Arm am Hals nieder – theoretisch.
„Ich muss etwas zu hoch gerutscht sein“, sagt Scotty nach dem Angriff, streicht seinen Pferdeschwanz zurecht und reicht mir die Hand. „Du kannst aber auch nicht erwarten, dass ich hier eine Show für dich abliefere“, sagt er. Ich bekomme ein Pflaster. Scotty bietet mir an, noch seinen berühmten Flugtritt oder eine weitere Ellbogencheck-Technik zu zeigen. Ich verzichte.
Warum ich mir das antue? Vor gut 20 Jahren blickten solche Typen wie Scotty noch finster von den Postern in meinem Zimmer. Da gab es den etwas unheimlichen Undertaker oder Bret Hart in seinem rosafarbenen Body. Wie mir ging es einer ganzen Generation von begeisterten Jungs. Wir tauschten Sticker, sammelten Actionfiguren und kämpften in Badehose.
Mit dieser kindlich-verklärten Glamourwelt, die zu besten Zeiten mehr als 90.000 Zuschauer pro Show in die US-Arenen lockte, hat der Flachdachbau in dem Industriegebiet in Hamburg-Wandsbek kaum etwas zu tun. Über der schweren Eisentür steht in großen Lettern „Nordisch Fight Club“, vereinzelt dringen Metal-Riffs und harte Hip-Hop-Beats auf die Straße.
Der Ursprung des Wrestlingsports liegt auf den Jahrmärkten des 19. Jahrhunderts. Damals konnten Zuschauer ähnlich wie beim Preisboxen gegen überlegene Gegner antreten und meist unter Gelächter des Publikums den Ring wieder verlassen.
In Europa waren es vor allem die Engländer, die sich in dem jungen Sport hervortaten. Im Gegensatz zum showorientierten Wrestling in Amerika setzte sich in Europa eher das sogenannte Catchen durch, also eine deutlich härtere und sportorientierte Variante.
In der Öffentlichkeit werden die beiden Begriffe Wrestling und Catchen synonym verwendet. In Deutschland ist Wrestling seit den 50er-Jahren populär, die Sportler sind seither auch im Dachverband der Ringer organisiert.
Die größte Aufmerksamkeit der Fans gilt trotzdem eher den US-Mega-Events als den deutschen Turnieren. BIG
Drinnen begrüßt mich Wrestling-Schulleiter Karsten Kretschmer mit einem kräftigen Handschlag. Knapp ein Dutzend Wrestler brüllen laut die Anzahl der Wiederholungen ihrer Liegestütze und Sit-ups in die nach Schweiß riechende Halle. Er nimmt mich kurz zur Seite. „Wir kämpfen alle im sogenannten Strongstyle, das heißt, im Gegensatz zu den amerikanischen Shows wird bei uns nichts vorgetäuscht und abgesprochen.“
Der 36-Jährige wirkt sowieso nicht wie ein großer Schauspieler, mit dem Stiernacken und den Bizeps, die aussehen wie Oberschenkel. „Natürlich wollen wir dem Publikum eine gute Show liefern, in diesem Anspruch unterscheiden wir uns nicht vom Fußball oder Eishockey. Trotzdem steht der Wettkampf klar im Vordergrund“, erklärt er.
Dieser Anspruch hat dabei nicht nur sportliche Gründe. Für spektakuläre Geschichten oder langjährige Fehden fehlt es in Deutschland an den nötigen Rahmenbedingungen. In Amerika wird an drei bis vier Abenden in der Woche mit großer Aufmerksamkeit im TV gekämpft und die Wrestling-Organisation ist längst ein milliardenschweres Börsenunternehmen. In Deutschland führt der Sport eher ein Schattendasein zwischen muffigen Kampfarenen und kaum mehr als 300 zahlenden Gästen.
Mindestens zwei Mal pro Woche stehen Kretschmers Schützlinge im Trainingsring, dazu kommen vier bis fünf Einheiten Krafttraining und am Wochenende oft Wettkämpfe. „Auch wenn derzeit nur wenige in Deutschland von dem Sport leben können, investieren wir viel Zeit“, erklärt Kretschmer.
Er selbst hat noch andere Zeiten erlebt. Als Sohn eines Ringers kam er bereits früh mit Wrestling in Kontakt. Unter dem Kampfnamen „Hamburger Jung“ wurde der 36-Jährige mehrfacher Europameister und ist heute so etwas wie ein Urgestein der deutschen Szene. Bis in die frühen 90er-Jahre gingen die Wrestlingturniere auch in Deutschland noch über mehrere Wochen und lockten nicht selten über 10.000 Zuschauer auf das Heiligengeistfeld. Damals war auch der „Hamburger Jung“ noch Vollprofi und jobbte nur in Wettkampfpausen als Einzelhändler.
Neidisch auf die Situation in Amerika ist Kretschmer trotzdem nicht. „Die Jungs haben fast jeden Tag einen Auftritt und können deshalb gar nicht echt kämpfen. Einige meiner Kollegen haben in den US-Aufbauligen gekämpft und kaum jemanden hat dem ständigen Druck und Rummel lange standgehalten.“ Außerdem sind es noch immer die großen Wrestlingshows, die der deutschen Szene Nachwuchs und Zuschauer bescheren.
Von dem Gedanken, selbst Nachwuchswrestler zu werden, habe ich längst Abstand genommen. Nach einem Staffellauf mit Medizinball, knapp 150 Kniebeugen und diversen anderen „Warmmachübungen“ kündigt sich bereits der Muskelkater für den morgigen Tag an. In der ehemaligen Halle des Universum-Boxstalls sollen schon die Klitschkos trainiert haben, aber von einer möglichen Magie des Ortes spüre ich nichts. Vielmehr scheint es mir, als würden die Boxer von den leicht vergilbten Kampfplakaten an den Wänden etwas skeptisch auf meine Mühe herabblicken.
Fall- und Angriffübungen stehen jetzt auf Programm, eine Aussicht, die mich nicht sonderlich reizt. Immerhin gibt es von den Profis für meinen In-die-Seile-Sprung und Fallversuche aufmunternde Sätze wie „Für den Anfang ganz gut“ oder „Das sieht nicht schlecht aus“ übrig. Kurz scheint sich meine Kindersport-Mischung aus Handball und Judo etwas auszuzahlen. Bis Scotty mich angriff.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!