Wowereits Outing vor 20 Jahren: Gut so – bis heute!
Aus Sorge, im Wahlkampf würde seine Homosexualität zum Thema, sagte Wowereit seinen berühmten Satz. Es war ein Signal zum Aufbruch, auch für Berlin.
Wowereit macht das Gegenteil: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“, erklärt er in seiner Rede auf dem Sonderparteitag der Berliner SPD. Der zweite Teil dieses Satzes wurde, angepasst auf alle möglichen Dinge, bald sprichwörtlich. Der erste Teil verschaffte Wowereit seinen Platz in den Geschichtsbüchern.
Der damals 47-Jährige outete sich in einer besonderen Situation: Kurz zuvor hatte die SPD die große Koalition unter dem CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen wegen des Berliner Bankenskandals platzen lassen; in wenigen Tagen sollte Wowereit – so der Plan – von SPD, Grünen und Linken zu Diepgens Nachfolger gewählt werden.
Auf dem SPD-Parteitag am 10. Juni stand die offizielle Kür Wowereits zum Spitzenkandidaten an. Für seinen Satz erhielt der bisherige SPD-Fraktionschef donnernden Applaus; er wurde gewählt und damit auf einen Schlag zudem weltbekannt. Die taz schrieb damals: „Bis Sonntag kurz vor fünf Uhr nachmittags war der Mann ein No-Name-Produkt. Selbst in Berlin kannte man Klaus Wowereit nur in der politischen Elite.“ Schneller hatte sich bisher kaum ein Kandidat für ein politisches Amt bekannt gemacht.
Aus dem Bauch heraus
„Es kam aus dem Bauch“, verriet Wowereit im Herbst im taz-Gespräch mit Eberhard Diepgen. „Die Wortwahl war spontan.“ Aber es habe eine Vorgeschichte gegeben, so Wowereit weiter. Nachdem er sich bereits im SPD-Landesvorstand geoutet hatte, hätten ihm alle abgeraten, das auch auf dem Parteitag zu tun. „Es wussten zwar viele Journalisten, aber es war kein öffentliches Thema. Mir war aber klar, dass es das im Wahlkampf werden würde.“
Gegen die im Korruptionssumpf versunkene CDU gewann der SPD-Spitzenkandidat die Neuwahlen im Oktober klar. Erstmals seit 30 Jahren wurden die Sozialdemokraten mit fast 30 Prozent stärkste Kraft. Und Wowereit setzte weiter auf Risiko: Er bildete mit der PDS, heute Linkspartei, eine Koalition: auch das ein Tabubruch.
Dann kam „Arm, aber sexy“
Wowereit regierte Berlin bis 2011 in einer rot-roten Koalition. Es waren Zeiten des Aufbruchs. Die Stadt, gebeutelt von hoher Arbeitslosigkeit und klammen Kassen, musste dramatisch sparen. Doch so lange die Mieten und damit das Leben noch billig waren, galt immerhin das zweite Wowereitsche Sprichwort, das es in die Geschichtsbücher geschafft hat: „Arm, aber sexy“, sei Berlin, so der Regierende 2003.
Dieser Slogan lockte viele Menschen aus aller Welt an die Spree. Doch die grundlegende Botschaft war Wowereits erster Spruch gewesen: Eine Stadt, in der ein offen schwuler Politiker souverän Bürgermeister werden konnte, konnte nicht schlecht sein. „In der öffentlichen Wahrnehmung war der Satz damit verbunden, dass Berlin sich öffnet, attraktiver wird, internationaler. Für die Anziehungskraft Berlins war der Satz wichtig“, gestand Amtsvorgänger Diepgen im taz-Gespräch ein.
Der heutige Kultursenator und Linksparteipolitiker Klaus Lederer, ebenfalls seit vielen Jahren offen schwul lebend, würdigt seinen Namensvetter. Es sei heute kaum noch vorstellbar, was Wowereits Satz vor 20 Jahren ausgelöst habe. „Er sorgte dafür, dass Verklemmtes, Verschämtes, Verstecktes in der Mehrheitsgesellschaft aufgebrochen wurde und das öffentliche Klima sich änderte.“ Dennoch gebe es heute noch immer täglich Übergriffe, erlebte Ausgrenzung und Diskriminierung.
Ab 2011 verließ Wowereit allerdings der politische Mut und das Gespür für die drängenden Probleme der Stadt. Er ging erneut eine Koalition mit der noch nicht wieder regierungsbereiten CDU ein. Nach mehreren abgesagten Eröffnungen des Flughafens BER trat er Ende 2014 ab. Heute mache er „nichts“, wie er gegenüber der taz bekannte. Seine Sätze aber, die bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu