Worüber man schweigen darf: Der Rock der Pastorin
Muss man sich auf eine Debatte über die Kürze des Rocks der Pastorin einlassen? Der Ethikrat findet über diese Frage zu neuen Gesprächspartnern.
K ürzlich stand ich nach einem Gottesdienst beim Kaffee vor der Kirche, als einer der Gottesdienstbesucher ein Gespräch mit mir begann. Etwas an ihm erinnerte mich an einen Typus Mann, dem ich früher manchmal begegnet bin, ein bisschen schratig, ein bisschen provokant und sich der eigenen Exzentrik angenehm bewusst.
Wir sprachen über die großen Fragen, darüber, dass die Kirche die Frage nach der Beziehung zu Gott selten stellt und über die Dominanz des Bildungsbürgertums in den Gemeinden. Wir waren uns einig, dass die Pastorin ein Lichtblick unter mäßig inspirierten KollegInnen sei und dann sagte der Schrat unvermittelt: „Darf ich Sie etwas fragen?“ – „Ja“, sagte ich. „Glauben Sie auch, dass viele Männer eher auf den Rock der Pastorin gesehen als der Predigt zugehört haben?“, fragte er und sah mich interessiert an.
Diese Situation ist sehr plakativ, dachte ich, und dass mir der Rock der Pastorin in seiner Kürze und Enge aufgefallen war und ich ihn für Teil eines Kampfes gegen ein Pastorinnen-Klischee gehalten hatte. Aber vielleicht war das auch Unsinn, und der Pastorin gefielen schlicht kurze Röcke. „Ich möchte kein Gespräch über diese Frage führen“, sagte ich zu dem Schrat, der das unbeeindruckt aufnahm, dann trennten sich unsere Wege.
Auf dem Weg nach Hause traf ich vor einem französischen Café den Ethikrat. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Handreichungen in Sachen praktischer Ethik geben. Der Rat trug Anzug und Fliege und aß Törtchen in leuchtenden Farben. Ich kannte die horrenden Preise für diese Art Gebäck und fragte mich, woher der üblicherweise bankrotte Rat das Geld dafür aufbrachte, aber ich schwieg. „Frau Gräff“, sagte der Vorsitzende, „dürfen wir Sie zu uns bitten?“ „Gern“, sagte ich. „Sie wirken sehr festlich.“
Unfreiwillige Werbeträger
„Wir begehen die Auszeichnung für unsere Studie zur Mensch-Hund-Beziehung im Spiegel der Autoritätskonzepte ihrer Halter“, sagte der Vorsitzende munter. „Ein namhafter Futtermittelhersteller hat ein Preisgeld gestiftet.“ – „Haben Sie nicht Sorge, unfreiwillig zum Werbeträger zu werden?“, sagte ich missgünstig, denn ich selbst habe seit Jahr und Tag keinen Preis mehr bekommen. „Nein, haben wir nicht“, sagte der Vorsitzende gleichmütig. „Wie verhält es sich mit Ihnen, haben Sie eine Frage für uns?“
Ich erzählte dem Rat von dem Gespräch mit dem Schrat. „Ist es adäquat, eine solche Frage abzulehnen?“, fragte ich. „Natürlich hätte ich sagen können, dass es möglich ist, dass einige der Männer mehr auf den Rock gucken, vielleicht auch einige der Frauen. Und dann hätte ich den Schrat fragen können, was daraus für ihn folgt – sokratisch sozusagen. Aber ich wollte schlicht nicht.“
Ich erinnerte mich, dass Fragen nach Gesprächen, die man führt oder nicht führt, in letzter Zeit häufiger bei mir aufgetaucht waren. Der Sohn eines Widerstandskämpfers hatte erzählt, dass sein Vater beim Aufkommen der NPD gesagt hatte: „Natürlich rede ich mit denen.“
Und ein paar Tage später hatte ich eine Schwarze Muslima getroffen, die keine Lust mehr hatte, zu erklären, was genau der Ramadan bedeutet: Das Unwissen darüber sei Teil der nichtmuslimischen Dominanzkultur. „Natürlich ist das eine individuelle und situative Entscheidung“, sagte ich. „Natürlich spielt es eine Rolle, ob man aus einer mächtigen oder nichtmächtigen Position heraus spricht. Aber lässt sich dazu nicht etwas Grundlegenderes sagen?“
Keine philosophischen Fortschritte
Der Ratsvorsitzende runzelte die Stirn. „Ich bin unsicher, ob Sie bei der Frage des Anwendungsbereichs von Normen tatsächlich Fortschritte machen“, sagte er. „Da bin ich auch unsicher“, sagte ich. „Vielleicht fehlt es mir an kontinuierlicher fachlicher Begleitung.“ Da kam der Schrat an uns vorbei.
„Darf ich Sie miteinander bekannt machen?“, rief ich und glaubte ein Funkeln im Auge des Vorsitzenden zu sehen wie ein Hund, der eine neue Fährte aufnimmt. „Sicher haben Sie sich viel zu sagen“, murmelte ich, aber niemand hörte mir zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag