Wolfgang Seibert über Chabad-Bewegung: „Uns war klar, dass sie missionieren“
Dem Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Pinneberg bereitet der wachsende Einfluss der orthodoxen Chabad-Bewegung Unbehagen.
Hinweis: Wolfang Seibert wurde vom Amtsgericht Itzehoe wegen „gewerbsmäßiger Veruntreuung“ verurteilt.
taz: Herr Seibert, Hamburgs Landesrabbiner, der der orthodoxen Chabad-Bewegung angehört, hat fünf Rabbiner ausgebildet und am Mittwoch ordiniert. Was bedeutet das für die jüdische Community?
Wolfgang Seibert: Für uns als liberale Juden bedeutet es gar nichts. Ich habe aber insgesamt Probleme mit Chabad.
Inwiefern?
Ich finde es schwierig, wenn Gruppen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft denken, sie hätten als einzige die richtige Lehre und als einzige das Judentum richtig verstanden. Ich finde auch problematisch, dass sie in jüdischen Gemeinden missionieren oder sogar versuchen, jüdische Gemeinden komplett zu übernehmen, was ihnen teilweise schon gelungen ist.
Wo zum Beispiel?
70, ist seit 2003 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Pinneberg. Als Student war er im Sozialistischen Deutschen Studentenbund aktiv, später arbeitete er als Journalist.
In Hamburg mit Shlomo Bistritzky als Landesrabbiner ist das bereits der Fall, und es gibt das auch in anderen Gemeinden. Es gibt aber auch Gemeinden, die sich heftig dagegen wehren – Düsseldorf und Frankfurt zum Beispiel. Außerdem finde ich problematisch, dass Chabad – und die haben sehr viel Geld – Leute anlocken, indem sie sie zum Essen einladen und solche Dinge. Ich kenne viele Leute, die sagen: „Wir gehen zu Chabad, weil die so super Essen haben.“
Wie verlaufen die Gottesdienste von Chabad?
Sie werden in einem rasend schnellen Tempo auf Hebräisch abgehalten, sodass kein Mensch versteht, was da passiert.
Würden Sie Chabad als Sekte bezeichnen?
Von ihrem Verhalten her haben sie zumindest etwas Sektenähnliches. Ich habe allerdings Schwierigkeiten damit, irgendwen als Sekte zu bezeichnen, weil ich den Begriff teilweise als abwertend verstehe.
Seit wann ist Chabad in Europa so aktiv?
Ordiniert wurden am Mittwoch vergangener Woche in Hamburg fünf neue Rabbiner – es war das erste Mal seit der Shoah, dass das überhaupt in der Hansestadt geschah, und so viele neue Geistliche auf einmal gab es dort noch nie. Neben Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) waren anwesend: Israels Oberrabbiner David Lau und der stellvertretende israelische Bildungsminister Meir Porush, Mitglied der Partei „Vereinigtes Thora-Judentum“ und selbst Rabbiner.
Ausgebildet hatte die fünf Männer – einen Israeli und vier aus der früheren Sowjetunion Stammende – das seit 2014 bestehende Hamburger Rabbinerseminar „Or Jonathan“. Dessen Gründung hatte wesentlich Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky betrieben, Mitglied der – je nach Sichtweise – orthodoxen oder gar „ultraorthodoxen“ Organisation Chabad Lubawitsch. Die Internetpräsenz des Seminars ist „powered by chabad.org“, beide Einrichtungen haben dieselbe Hamburger Postadresse – und ein und dieselbe Telefonnummer.
Beschäftigt ist einer der fünf Absolventen, Nathan Grinberg, bereits als Rabbiner in der Jüdischen Gemeinde Lübeck, von einem weiteren heißt es, er werde eine entsprechende Funktion in der Gemeinde in Flensburg übernehmen; die Angaben gehen hier auseinander. Kritiker*innen der Chabad‘schen Auslegung des Judentums erkennen in den Personalien eine drohende Ausweitung des Einflusses einer rückwärts gewandten Organisation. (aldi)
Genau kann ich es nicht sagen. Ich jedenfalls habe sie zum ersten Mal vor zehn, 15 Jahren kennen gelernt. Damals sind sie ganz massiv mit sehr vielen Chabad-Rabbinern hier nach Deutschland gekommen.
Haben Sie persönlich Erfahrung mit Chabad-Rabbinern?
Wenig. Es gab mal das Angebot von Herrn Bistritzky, in unserer Pinneberger jüdischen Gemeinde einen Gottesdienst abzuhalten. Das haben wir abgelehnt, weil uns klar war, dass Chabad missioniert.
Aktiv?
Ja. Sie gehen auf die Menschen zu und versuchen sie zu überzeugen. Dabei ist diese Verhaltensweise im Judentum eigentlich verpönt. Es gibt ein Missionsverbot.
Wofür steht Chabad im Detail?
Ich weiß nur, dass sie ultraorthodox sind und dass sie – wie andere orthodoxe Juden auch – auf den Messias warten. Für mich allerdings ist so ein Warten auf den Messias als Person irrational. Wir liberale Juden hoffen eher auf messianische Zeiten, die der Ankunft des Messias vorausgehen sollen.
Das bedeutet?
Dass es keine Kriege mehr gibt, Menschen gleichberechtigt leben und überall Harmonie und Gerechtigkeit herrschen.
Bildet Chabad in der weltweiten jüdischen Community die Mehrheit?
Nein. Es gibt auch sehr viele orthodoxe Juden, die Chabad ablehnen. Es ist in der Tat sehr schwierig, mit Chabad klarzukommen: Sie sind so überzeugt von ihrer Sicht, dass sie Argumenten nicht zugänglich sind.
Wie beurteilen Sie die interne Demokratie von Chabad und deren Umgang mit Kritikern?
Über die interne Demokratie kann ich wenig sagen; aber ich hege Zweifel. Und bei Kritikern aus den eigenen Reihen wird schnell behauptet, dass sie das Judentum nicht verstünden und keine richtigen Juden seien.
Sie waren eine Zeit lang Delegierter im Zentralrat der Juden. Wie steht der zu Chabad?
Der Zentralrat ist ambivalent, aber tendenziell eher ablehnend. Dieses Gremium hat sich sehr oft mit dem Einfluss befasst, den Chabad zu bekommen versucht, aber ich darf aus diesen vertraulichen Sitzungen keine Details erzählen.
Der frühere israelische Oberrabbiner Jonah Metzger galt als Chabad-nahe. Bildete er eine Ausnahme unter Israels Oberrabbinern?
Ich sehe das nicht als Ausnahme. Auch der jetzige Oberrabbiner Izchak Josef ist ultraorthodox, und es wird gesagt, dass er sehr Chabad-nahe sei. Er war ja auch jüngst bei der Hamburger Ordination anwesend.
Dabei gibt es bereits zwei Rabbiner-Ausbildungsstätten in Deutschland: das liberale Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam und das orthodoxe Berliner Rabbinerseminar.
Ja. Und beide kann man – völlig zu Recht – nur mit abgeschlossenem Hochschulstudium besuchen.
Dann wäre Hamburg das dritte Rabbinerseminar deutschlandweit.
Ja, ich war sehr überrascht, dass Chabad hierzulande jetzt Rabbiner ausbildet.
Erlaubt ist es ja. Jede Chabad-Gemeinde könnte Rabbiner ausbilden.
Ja. Und das wiederum könnte dazu führen, dass man irgendwann gar nicht mehr auf andere Rabbis zurückgreifen kann.
Zwei der frisch ordinierten Rabbis gehen in die jüdischen Gemeinden Lübeck und Flensburg. Wie beurteilen Sie das?
Ich würde sagen, dass da durchaus eine Ausdehnung des Machtbereichs dahinter steht. Chabad bekommt mehr Einfluss – auch im orthodoxen Landesverband Schleswig-Holstein. Der umfasst die Gemeinden Kiel, Lübeck, Flensburg, wovon zwei jetzt unter Chabad-Einfluss stehen.
Warum bekümmert Sie das?
Weil Teile der Community immer orthodoxer werden. Chabad versucht die Menschen zu einem Leben zu drängen, das man gar nicht führen kann. Die Anforderungen, die an Ultra-Orthodoxe gestellt werden – koscher leben, sich genau nach den jüdischen Gesetzen richten – sind im normalen Alltag gar nicht umsetzbar. Das könnte irgendwann zur Entstehung einer Parallelgesellschaft führen.
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