■ Wolf-Jobst Siedler kämpft um das Brandenburger Tor: Gips statt Kulturgut
Die Japaner haben Pearl Harbour angegriffen, altehrwürdige Rheinburgen erworben und mit dem Eiffeltrum geliebäugelt. Aber was die Söhne Nippons jetzt ins Werk gesetzt haben, übertrifft alle Alpträume abendländischer Patrioten: Ein japanisches Firmenkonsortium hat das Brandenburger Tor gekauft.
„Es handelt sich nur um eine Art Pachtleihgabe“, schwächt ein Sprecher des Außenministeriums ab. „Nach 99 Jahren wird das Brandenburger Tor wieder in deutschen Besitz zurückfallen.“ Auf dem Papier nimmt sich die Sache tatsächlich recht vorteilhaft aus: Das Brandenburger Tor wird am 1. 1. 1999 in den Besitz der Japaner übergehen, für exakt 99 Jahre, zu einem Mietpreis von umgerechnet zehn Millionen Mark pro Jahr. Im Gegenzug verpflichtet sich die Bundesregierung, einmal jährlich auf dem Brandenburger Tor die japanische Flagge zu hissen.
Durchgesickert sind inzwischen allerdings auch die geheimen Zusatzklauseln des Pachtvertrags. Danach ist das Konsortium dazu berechtigt, das Original des Brandenburger Tors nach Japan zu verschiffen und Deutschland vorläufig ein maßstabsgerechtes Ersatzmodell aus Rigips zur Verfügung zu stellen.
Denkmalschützer laufen Sturm gegen den Vertrag. „1807 haben die Franzosen das Viergespann vom Brandenburger Tor geraubt“, heißt es in einem Flugblatt der Initiative „PRO TOR“. „1814 haben wir uns das Viergespann zurückgeholt. Terrorbomber haben es 1945 zerstört. Sollen wir jetzt tatenlos zusehen, wenn das ganze Brandenburger Tor für 30 Silberlinge nach Asien verfrachtet wird? NEIN!“
Zu den Unterstützern der Initiative gehören Alexander von Stahl, Alfred Mechtersheimer, Alred Dregger und Wolf-Jobst Siedler. Sie wollen nicht aufhören, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. „Das japanische Kaiserreich war eine mit dem Deutschen Reich verbündete Achsenmacht“, hat Siedler in einem Interview mit „Focus TV“ erklärt. „Aber das gibt ihnen nicht das Recht, deutsche Nationalsymbole aufzukaufen, abzuräumen und durch minderwertige Kopien zu ersetzen. Wenn die Bundesregierung hierbei Handlangerdienste leistet, verstehe ich die Welt nicht mehr.“
Für neutrale Beobachter sieht es tatsächlich so aus, als hätten sich alle Vorzeichen verkehrt: Die konservative Regierungskoalition verscherbelt, im Interesse der Außenhandelsbilanz, den Kernbestand deutschen Kulturguts an fernasiatische Milliardäre, während sich ausgerechnet die PDS dafür einsetzt, daß das Brandenburger Tor dem deutschen Volk erhalten bleibt. „Wer das Brandenburger Tor verkauft, der verkauft die deutsche Arbeiterbewegung“, heißt es in einer Pressemitteilung der PDS-Bundestagsfraktion. In einem Interview mit der Koblenzer Rhein-Zeitung ist Lothar Bisky (PDS) sogar noch deutlicher geworden: „Wenn jetzt deutsche Denkmäler Krethi und Plethi zum Kauf angeboten werden, zeigt das für mich nur, daß das Kohl-Regime abgewirtschaftet hat. Ich würde sagen, was die Regierung hier begeht, ist Landesverrat.“
Am kommenden Dienstag wird sich die Bundesregierung den Fragen der Opposition stellen müssen. Man darf gespannt sein. Wolf- Jobst Siedler und die Initiative „PRO TOR“ haben für den gleichen Tag ein Sit-in im Regierungsviertel angekündigt. Wie es aussieht, steht Deutschland ein heißer Spätsommer bevor. Gerhard Henschel
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