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taz FUTURZWEI

Wohnungssuche als Vollzeitjob FUCK IT!

Ruth und ihr Freund schlafen seit Wochen auf Sofas von Bekannten, weil sie keine Wohnung finden. Zwischen Wut, Hoffnung und Verzweiflung wird die Suche zur Normalität. Eine Reportage aus unserem Magazin taz FUTURZWEI.

Die Krise der Wohnungssituation schreibt sich in den Stadttext ein, wie hier in Berlin Foto: picture alliance/dpa | Monika Skolimowska

taz FUTURZWEI | Also, wenn Sie mich fragen, ich würde hier nicht wohnen wollen“, sagt der Mann in Engelbert-Strauss-Outfit, der mich gerade durch die unmöblierte dunkle EG-Wohnung im Berliner Stadtteil Schöneberg geführt hat. Er drückt mir ein Blatt Papier in die Hand, auf dem „Bewerbungsformular“ steht, und fügt hinzu: „Aber das müssen Sie schon selbst entscheiden. Wollen Sie noch den Garten sehen?“

Er führt mich zu einem zwei Meter hohen grauen Sichtschutz aus Kunststoff neben einem Parkplatz, öffnet eine Tür. Wir blicken beide auf eine eingezäunte steinige Fläche von etwa 15 Quadratmeter, Reste von Unkraut und einen weißen Gartenstuhl. Kurz sehe ich mich mit Arsen da sitzen, wir beide crazy in love auf hässlichen Gartenstühlen in einer grauen Steinzelle? Es schüttelt mich. Das Bewerbungsformular nehme ich trotzdem mit.

Die verrückten Seiten der Wohnungssuche

Auf dem Heimweg versuche ich angestrengt die positiven Seiten dieser Wohnung zu sehen. Da ist vor allem eine: Es ist eine Wohnung. Und Arsen und ich sind ein Paar, das keine mehr hat. Gar keine mehr. Wir schlafen auf Sofas von Freunden. Also bewerben? Heißt, all unsere persönlichen Daten von Einkommensnachweisen über Bonitätsauskunft bis Angabe über Haustiere, Musikinstrumente und so weiter an eine fremde Person schicken, die dann, ohne uns je zu Gesicht zu bekommen, entscheidet.

Es gibt immerhin einen Herd in der Küche (das ist auch das Einzige, was da drin steht, und ich habe irgendwie das Gefühl, dass der nicht funktionstüchtig ist …). Und ein Bad. Und drei Zimmer für nur 1.200 Euro warm. Nähe Nollendorfplatz. Und so schmutzig war das Treppenhaus ja auch nicht, nicht so sehr wie bei der Wohnung am Neuköllner Hermannplatz vor drei Tagen. Die wäre zwar günstiger, hat dafür aber keinen Boden. Arsen und ich nennen sie liebevoll den „Rohbau“.

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Die Wohnung heute ist sogar unbefristet zu haben, mit Hauptmietvertrag, das ist der absolute Jackpot, rede ich mir weiter ein. Und es gibt nicht mal einen Vermieter, der „an den Wochenenden manchmal in Berlin ist“ und dann „im kleinen Zimmer übernachten möchte“. Die Chancen stehen super, schließlich wurde ich zur Besichtigung eingeladen und das passiert auch nur gefühlt bei jeder zwanzigsten Anfrage.

Die Stimmen im Kopf

Fuck it. Ich zerknülle das Formular. Und höre schon meine Freunde, Kollegen, Familie, meine Ärztin – ja all die Leute, die unsere Wohnungssuche mit ihren Kommentaren begleiten:

„Man muss erstmal nehmen, was zu kriegen ist.“

„Wenn man nicht flexibel ist, findet man gar nichts.“

„Von da aus kann man ja dann auch weiter schauen.“

„Schaut ihr auch weiter außerhalb?“

„Habt ihr auch mal drüber nachgedacht, in eine andere Stadt zu ziehen?“

„Bei uns hast du ja noch dein Kinderzimmer, da kannst du jederzeit einziehen ...“

Vor einigen – ich habe längst vergessen wie vielen – Wochen ist unser Mietvertrag ausgelaufen. Zunächst schien das kein Problem zu sein, weil unser Vermieter gesagt hatte, wir könnten die Wohnung danach fest übernehmen. Doch dann fiel ihm ein, dass er selbst wieder einziehen wollte. Wir haben natürlich in der kurzen Zeit nichts Neues gefunden. Seitdem stehen unsere Kisten und wenigen Möbel in einen Selfstorage irgendwo am Rande von Berlin. Und wir – fast – auf der Straße.

Recherche ist unerlässlich

Auf der Seite der Stadt Berlin lese ich, dass es tolle Hilfe für uns als wohnungslose Menschen gäbe. Lese vom sogenannten „geschützten Marktsegment“, das Wohnungen für Menschen zur Verfügung stellt, „die aufgrund von Mietschulden kurz vor der Räumung stehen oder bereits wohnungslos sind und sich auf dem freien Wohnungsmarkt nicht selbst mit Wohnraum versorgen können“. Sind wir das?

Es stehen auch Notunterkünfte für „besondere Bedarfsgruppen“ zur Verfügung, wie das die Stadt Berlin nennt. Gehöre ich da dazu, weil ich – finanziell unabhängig, berufstätig, mit abgeschlossenem Studium, keine Kinder, deutscher Pass – keine bezahlbare Wohnung finde und mir kein Hotelzimmer für mehrere Wochen leisten kann?

Bild: Axel Bradatsch
Ruth Fuentes

Ruth Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin. Sie schreibt regelmäßig in der taz FUTURZWEI und gemeinsam mit Aron Boks die Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Mit dem neuen Wohnberechtigungsschein für mittlere Einkommen (WBS 220) hätte ich tatsächlich Anspruch auf eine Sozialwohnung, erfahre ich. Laut Berliner Mieterverein seien mittlerweile knapp 60 Prozent aller Berliner Haushalte berechtigt, eine solche anzumieten, allein der WBS 220 betreffe rund 305.000 Haushalte. Doch: „Bitte beachten Sie, dass diese Wohnungen erst noch gebaut werden“, heißt es bei der Stadt Berlin zum WBS 220. Super, danke.

Vielleicht hängen wir uns bei der Suche einfach nicht genug rein? Klar, der Markt ist angespannt. Aber liegt es vielleicht doch an uns?

Vorstellung und Realität

„Im 3. Quartal des Jahres 2024 lagen die Angebotsmieten für Wohnungen in der Bundeshauptstadt bei durchschnittlich etwa 14,79 Euro pro Quadratmeter und Monat“, lese ich bei Statista. 2012 seien es noch 6,65 Euro pro Quadratmeter gewesen. 14,79 pro Quadratmeter. Das wären bei 60 Quadratmeter etwa 888 Euro kalt. Solche Angebote finde ich selten, nicht mal, wenn ich in Spandau suche.

Ich muss an die junge Frau denken, die ich zufällig bei einer Besichtigung eines Neuköllner Altbaus getroffen hatte. „Mit mindestens 1.500 Euro für zwei Zimmer muss man schon rechnen“, hatte sie mir beim Rauslaufen gesagt. Dass uns für das Geld gerade eben nur ein Untermietvertrag angeboten worden war, plus die Forderung, 4.000 Euro Kaution bar auf die Hand, schien sie nicht weiter zu stören.

Der nächste Gedanke: Arbeite und verdiene ich etwa zu wenig?

Über hundert Wohnungsanfragen in den letzten Wochen hatten Arsen und ich gemacht, vielleicht ein Fünftel hat uns geantwortet, auf höchstens zehn Besichtigungen sind wir dann gegangen, fünf Mal beworben, null Zusagen.

Immer unterwegs – ohne Zuhause

Auf dem Weg nach „Hause“ – also wohin? – nehme ich dann auch noch die falsche U-Bahnlinie. Wir sind ja in Kreuzberg gerade, nicht im Wedding. Passiert. Weiter geht’s: Ich ­scrolle auf dem Handy durch Inserate, schreibe Wohnungen an.

Ich habe den Bewerbungstext schon so oft copy-pasted, ich lese ihn gar nicht mehr. Ich haue ihn nur täglich raus, wenn ich eine Wohnungsanzeige sehe, die uns einigermaßen anspricht. Und die nicht länger als 20 Minuten online ist. Sonst ist eh alles zu spät. Ich stelle die Filter-Funktion immer toleranter ein: bis zu 1.300 Euro warm, okay, 50 Quadratmeter zu zweit, von mir aus. Viel kommt dabei dennoch nicht rüber.

Laut Wohnungsmarktbericht 2023 der Investitionsbank Berlin (ibb) soll zwischen 2012 und 2022 die Anzahl der Inserate für möbliertes Wohnen auf Zeit in Berlin von 9.602 auf 27.402 angestiegen sein – ein Plus von rund 185 Prozent. „Gleichzeitig nahmen die Inserate für reguläre Mietwohnungen um rund 60 Prozent ab“, heißt es.

WG-gesucht. Immoscout. Kleinanzeigen. Immobilienmakler. Private Kontakte. Irgendwo muss doch noch eine zu finden sein.

„Guten Tag, mein Freund und ich sind sehr interessiert an Ihrer Wohnung. Wir leben schon länger in Berlin. Ich arbeite freiberuflich als Journalistin, er ist seit 2018 fest als ­Gastronom angestellt. Unser gemeinsames monatliches Nettoeinkommen beträgt etwa 3.500 Euro. Über eine Rückmeldung und eine Einladung zu einer Wohnungsbesichtigung würden wir uns sehr freuen. Unterlagen sind alle vorhanden. Haustiere haben wir keine! Mit besten Grüßen“

Hoffnung und Enttäuschung

Manchmal, wenn uns die Wohnung besonders gefällt, schreiben wir dazu, dass wir gerade wohnungslos sind. Oder wir schreiben 4.000 statt 3.500 Euro. Oder, dass wir uns als besonders offene Menschen einschätzen. Manchmal schicken wir sogar gleich Unterlagen mit. Irgendwo hatte ich gelesen, dass die meisten Wohnungsinserate zwischen 13 und 15 Uhr online gehen. Ich schaue trotzdem ständig nach, wer weiß, vielleicht kommt genau jetzt die eine Wohnung rein. Jetzt um 19.43 Uhr. Jetzt um 19.52 Uhr. Jetzt um 20.01 Uhr.

Arsen sitzt auf unserem Matratzenlager im Wohnzimmer eines befreundeten Pärchens. Auf dem Boden liegen Klamotten und die Rucksäcke, mit denen wir von Wohnung zu Wohnung ziehen. Meine Gitarre, die ich schon lange nicht mehr gespielt habe, weil zwischen Arbeit und Schlaf eigentlich nur noch die Wohnungssuche Platz hat.

„Schau mal“, sagt Arsen. „Wir haben eine Antwort bekommen.“

Kurz empfinde ich sowas wie Hoffnung. Jede Antwort kann uns ein Stück weiter bringen. Diese nicht. „Was für ein Arschloch“, sagt Arsen und zeigt mir den Dialog auf kleinanzeigen.

- „hey danke für deine nachricht ich hoffe du hast die beschreibung gelesen. Abstand wäre 8tsd Liebe Grüße“

- „Und wofür genau? Auf den Bildern kann ich nichts erkennen.“

- „Die wohnung steht leer. Das geld dient lediglich der vermittlung das sie 100% den vertrag bekom.“

- „Das ist kein Abstand. Das nennt man Provision. Als Kapitalist sollte man wenigstens sein Vokabular beherrschen.“

Wir lachen. Dabei empfinde ich nur Wut.

Wut auf die Stadt, in der ich so gern lebe, aber aus der ich mich verdrängt fühle. Die Stadt, die nicht auf ihre Bewohner eingeht, wenn diese mehrheitlich für Vergesellschaftung stimmen. Wut, weil Wohnen so existenziell ist, aber die Not von manchen Mietern und Immobilienbesitzern wirklich schamlos ausgenutzt wird. Wut auf die zum Teil unverschämten Anforderungen in den Wohnungsannoncen. Wut auf die nicht funktionierende Mietpreisbremse.

Wut, weil ich nicht mehr Geld habe, um mir was zu ­kaufen. Und weil ich auch nicht die einfache Lösung habe, aber auch nicht sehe, dass die Politik irgendeinen Lösungsansatz ernsthaft verfolgt. Wut auf meine Ohnmacht.

Ich bin zwar auch schon 29, aber das zählt bei den Älteren ja immer noch als „Kind“. Zugespitzt kann man sagen: Man kann als junger Mensch nur noch nach Berlin (oder in jede größere deutsche Stadt) kommen, wenn man den Lifestyle von seinen Eltern finanziert bekommt.

„Man kann als junger Mensch nur noch nach Berlin (oder in jede größere deutsche Stadt) kommen, wenn man den Lifestyle von seinen Eltern finanziert bekommt.“

Und was meine Generation in Vergleich zu den vorangehenden Generationen hier kaum mehr hat, sind Freiräume, leer stehende, günstige Orte, in denen man sich ausprobieren, politisch austauschen und eventuell verwirklichen kann, ohne viel Geld vorab investieren zu müssen.

Wir sitzen erschöpft da. Arsen scrollt sich weiter durch (teil-)möblierte Wohnungen, Wohnungen „auf Zeit“ und viel zu teuren „charmanten Altbauwohnungen im Szene-Viertel“. Ich aktualisiere zum zweiten Mal heute unser Gesuch auf WG-gesucht: „Kreuzberger Pärchen sucht DRINGEND Wohnung ab sofort!!!“ Die Anzeige soll möglichst weit oben bleiben.

Wohnungssuche als Vollzeitjob

Einen einzigen Erfolg hat die Anzeige bislang gebracht: Ein öffentlich-rechtlicher Lokalsender hatte im Rahmen eines Polittalks eine kleine Reportage über unsere Wohnsituation gedreht. Eine Wohnung haben wir darüber nicht gefunden, nur die Bestätigung, dass wir nicht die Einzigen in der Situation sind. Die Wohnungsnot in Berlin erscheint wie ein kollektives Trauma. Fast jeder, der in den letzten Jahren umziehen musste oder hierher gezogen ist, hat eine prekäre Wohnsituation erlebt.

Auf dem Tisch liegt ein Zettel mit Telefonnummern, die wir noch „unbedingt“ anrufen sollen: von Freunden von Freunden, die vielleicht was wissen, von Hausverwaltungen, bei denen jemand gesehen haben soll, dass da „was leer geworden ist“ … Aber jetzt ist es zu spät, zum Irgendwo-anrufen.

„Lass uns raus, ein Bier trinken“, sage ich.

Auf dem Weg zur Kneipe erwische ich mich, wie ich die Häuser scanne, um herauszufinden, ob da Wohnungen leer stehen. Ich weiß mittlerweile von einigen, vermietet werden sie dennoch nicht. Ich stelle mir manchmal vor, wie wir einfach eine dieser Wohnungen besetzen. Vielleicht wird es wieder Zeit in Berlin?

„Vielleicht sollten wir Lotto spielen“, schlägt Arsen vor. „Und wenn wir dann sechs Richtige haben, kaufen wir uns einfach eine Wohnung.“

In diesem Moment fühlt es sich an, als sei das die beste Chance, jemals an eine Wohnung zu kommen.

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