Wohnungslosigkeit in Berlin: Vorsorge spart Geld
Zum Start der Kältehilfe fordern die Wohlfahrtsverbände vom Senat mehr Geld für Präventionsprojekte gegen Wohnungslosigkeit – die sei viel teurer.

Dabei, so Schoen, müssten sie eigentlich ausgebaut werden, weil sie, ebenso wie die fünf Beratungsstellen in freier Trägerschaft, schon jetzt völlig überlastet seien. „Warum wird hier gekürzt, während Armut, Wohnungs- und Obdachlosigkeit Jahr für Jahr steigt“, fragte Ursula Schoen in Richtung Schwarz-Rot.
Der Senat hat sich zu dem Ziel des EU-Parlaments bekannt, Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen. Der Trend geht jedoch in die entgegengesetzte Richtung. So geht die Senatsverwaltung für Soziales selbst in einer Prognose davon aus, dass sich die Zahl der vom Staat untergebrachten wohnungslosen Personen in Berlin von rund 54.000, die es Anfang dieses Jahres waren, bis Ende 2029 auf knapp 86.000 erhöhen wird. Dazu kommen laut Schätzung noch knapp 30.000 Geflüchtete.
Ulrike Kostka, Direktorin der Berliner Caritas, wies darauf hin, dass Wohnungsverlust zunehmend ein Problem breiterer Bevölkerungsschichten sei. „In den Beratungsstellen der ambulanten Wohnungslosenhilfe kriegen wir viele Anrufe aus der Mittelschicht“, sagte sie. Auch Kinder und Jugendliche sind zunehmend betroffen: Schon jetzt machen sie knapp 30 Prozent der untergebrachten Menschen in Berlin aus.
Beratungsstellen retten Wohnraum
Auch Kostka warnte vor Kürzungen in der Wohnungslosenhilfe, bei den Sozialberatungen, den Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen oder Suchtberatungsstellen. Die Unterbringung in Obdachlosenheimen oder Hostels verschlinge Unsummen, die hohen sozialen Folgekosten, etwa für Kinder, seien gar nicht absehbar. Nach ihrer Darstellung können 70 bis 80 Prozent der Menschen, die eine Beratungsstelle der ambulanten Wohnungslosenhilfe aufsuchen, am Ende ihre Wohnung behalten.
Ein Erfolgsmodell sind laut Kostka auch die „67er-Hilfen“, das sind persönliche Hilfen nach Paragraf 67 des Sozialgesetzbuch XII. Dabei werden Menschen intensiv und über einen längeren Zeitraum bei all ihren Problemen, von Schulden bis Drogen, begleitet. Nach einer Auswertung der Liga der freien Wohlfahrtsverbände bringen diese Hilfen jedes Jahr 3.000 Menschen in Berlin wieder in eine Wohnung. Doch diese Hilfen würden die Bezirke immer seltener bewilligen, um kurzfristig Geld zu sparen, kritisierte Kostka.
Neben den untergebrachten wohnungslosen Menschen gibt es in Berlin nach Schätzungen etwa 6.000, die auf der Straße leben. Für sie eröffnet kommenden Mittwoch die Kältehilfe, also eine Notunterbringung in temporären Räumen. Mit „Mühe und Not“, so Schoen, habe man zunächst 726 Plätze gefunden, bis November sollen es mindestens 949 Plätze sein.
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