Wohnungen für schutzsuchende Frauen: Raus aus dem Frauenhaus
Sara* und ihr Sohn haben eine eigene Wohnung gefunden – und damit einen Weg aus dem Frauenhaus. Das Projekt Vivienda war dabei behilflich.
Sara sitzt in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa, davor ein Beistelltisch. Mehr Möbel gibt es nicht im Raum. Aus dem Nachbarzimmer hört man ihren Sohn Max* spielen, sonst ist es ruhig. Sie schaut sich um, zeigt auf die Vorhänge. Die hat sie gleich als erstes aufgehängt, als Schutz vor Blicken von außen.
„Man braucht viel Geduld“, erinnert sich Sara an die Zeit im Frauenhaus. Küche und Aufenthaltsräume haben sie sich geteilt. „Es gab kaum Privatsphäre.“ Viele Menschen auf engem Raum. Alle in einer Ausnahmesituation, alle mit traumatischen Erlebnissen. Sie habe den Stress auch Max angemerkt. „Er hat wenig gegessen.“ Die anderen Kinder seien teilweise gemein zu ihm gewesen. Natürlich ist Sara dankbar für die Sicherheit, die ihr das Frauenhaus geboten hat. Doch das sei nur eine Lösung auf Zeit. Ihr war klar, dass sie eine eigene Wohnung brauchen würde.
Volle Frauenhäuser und kein Wohnraum
Hamburgs Frauenhäuser sind dauerhaft ausgelastet. Das hängt auch damit zusammen, dass es für viele Bewohnerinnen schwierig ist, nach dem Aufenthalt dort eine Wohnung zu finden. Laut einer Statistik des vierten von sechs Hamburger Frauenhäusern verbrachten etwa zwei Drittel der Schutzsuchenden mehr als sechs Monate dort. Davon wiederum seien 37 Prozent nur deswegen länger geblieben, weil sie keinen Wohnraum gefunden haben. „Das verschärft den Platzmangel in Frauenhäusern natürlich noch einmal enorm“, sagt Mitarbeiterin Abena Liebisch-Duah. Außerdem belaste die langwierige Suche die Bewohnerinnen. „Bei manchen Frauen, die eigentlich schon in einer gefestigten Verfassung waren, verschlechtert sich der Zustand wieder,“ sagt Liebisch-Duah.
Sara wusste, sie würde es schwer haben, eigenständig eine Wohnung zu finden. Vor drei Jahren kam sie mit ihrem Ex-Mann nach Deutschland. Der habe nicht gewollt, dass sie die Sprache lerne. „Er hat alles kontrolliert, sodass ich von ihm abhängig bin“, sagt Sara. Eigenes Geld habe sie nicht gehabt, nur Taschengeld, das sie für Lebensmittel ausgab. Ihr Traum war schon damals: „Eine eigene Wohnung für mich und meinen Sohn. Ohne Schreien, ohne Schläge, mit Ruhe.“ Wie die meisten Bewohnerinnen hat Sara vom Wohnungsamt einen Dringlichkeitsschein bekommen und gehörte damit zu den vordringlich Wohnraumsuchenden.
Wer in Hamburg seine Wohnung an Menschen mit Dringlichkeitsschein vermietet, kann von der Stadt eine Prämie bekommen, je nach Größe der Wohnung zwischen 10.000 und 38.000 Euro. Vergeben wird sie von der Hamburgischen Investitions- und Förderbank.
Auch Achim Petersen hat diese Prämie bekommen. Er ist Saras Vermieter. Vermittelt hat dies das von der Stadt geförderte Projekt Vivienda. Dort hat Petersen auch erst von der Förderung erfahren. „Als ich die Wohnung anbot, wusste ich noch nichts davon “, sagt Petersen. Aber wenn die Stadt ihm Geld anbiete, lehne er auch nicht ab. Wenn ein Mietverhältnis zustande kommt, unterstützt Vivienda die Frauen für weitere drei Jahre bei allen Themen, die die Wohnung betreffen.
Sara über ihren Mann
Er verlange eine verhältnismäßig geringe Miete, sagt Petersen. Die darf er außerdem für die ersten zwei Jahre nicht erhöhen. Dazu hat er sich mit der Annahme der Förderung verpflichtet. Er könnte seine Wohnung auch auf dem regulären Immobilienmarkt teurer anbieten. Aber so habe er wenig Arbeit mit der Wohnung und müsse sich nicht durch Hunderte Anfragen durcharbeiten, so Petersen.
Außerdem habe er die Gewissheit, dass jemand darin wohne, die anderswo wenig Chancen gehabt hätte. „Wenn man da mitmacht, kann Geld eigentlich nicht die Motivation sein“, sagt er. Mit der Prämie gehen auch Bedingungen einher. Zum Beispiel darf Petersen keinen Eigenbedarf anmelden. Er kann Sara nur kündigen, wenn die Miete nicht bezahlt wird.
Private Wohnungsbesitzer:innen wie Petersen seien eher die Ausnahme, sagt Heide Schmidtmann, bei Vivienda in der Abteilung „Wohnstart“ tätig. Häufig kennen private Besitzer:innen das Projekt und die Fördermöglichkeiten nicht, vermutet sie. „Die meisten Wohnungen vermitteln wir in Zusammenarbeit mit Wohnungsgesellschaften wie der Saga.“ Die städtische Gesellschaft muss nämlich ein Kontingent für Inhaber von Dringlichkeitsscheinen bereitstellen.
Immerhin 59 Wohnungen hat Vivienda 2022 laut der Hamburger Sozialbehörde vermittelt. Doch auch Schmidtmann weiß, dass der Bedarf eigentlich größer ist: „Nur irgendwann sind unsere personellen Möglichkeiten aufgebraucht.“ Oder es sind besonders schwierige Fälle wie Frauen mit mehreren Kindern. „Wohnungen mit mehr als drei Zimmern sind schwer zu finden“, sagt sie.
Forderung nach jährlich 70 Wohnungen
Um die Situation in den Schutzhäusern zu entzerren, haben die autonomen Frauenhäuser bereits 2022 von der Stadt ein jährliches Kontingent von 70 Wohnungen gefordert. Bisher ohne Ergebnis. Falls zu lange nichts gefunden werde und die Personen nicht mehr schutzbedürftig seien, kämen sie in eine Unterkunft für Wohnungslose, so Schmidtmann.
Sara ist dankbar für die Hilfe, die sie vom Staat für ihren Neuanfang bekommt. „Aber ich möchte nicht für immer darauf angewiesen sein“, sagt sie. Gerade lernt sie Deutsch. Im April steht die B1-Prüfung an. Sie freut sich über ihre neue Unabhängigkeit und ein bisschen stolz ist sie auch. Nach dem Sprachkurs möchte sie eine Ausbildung zur Pflegerin anfangen. „Ich bin ja noch jung und mein Leben liegt vor mir“, sagt sie.
Max hangelt sich neben Sara auf die Couch, in seiner Hand ein Überraschungsei. Ihm geht es schon besser. „Er isst wieder“, sagt seine Mutter. Konzentriert pult er die Folie von der Schokolade. Sara lächelt. Sie wirkt entspannt. „Ich kann nicht glauben, dass ich so viel Glück hatte“, sagt sie. Sogar nach der Zusage für die Wohnung habe sie noch daran gezweifelt, dass es klappen würde. Erst als sie mit ihrem Schlüssel die Wohnungstür öffnete, sei Sara klar geworden: „Das ist jetzt unser Zuhause.“
*Namen von der Redaktion geändert
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