Wohl wegen deutscher Abschiebepläne: Bundesregierung bootet Afghanistans Botschafter aus
Bisher trotzten Afghanistans Vertreter in Deutschland dem Taliban-Regime. Jetzt erzwang die Bundesregierung wohl den Rücktritt des Botschafters in Berlin.
Sadat schreibt in einer gesonderten Erklärung, dass er aufgrund „politischer Positionen einiger Länder, besonders der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union“ sowie „politischer Erwägungen und Beschränkungen des Gastgeberlandes“ nicht mehr seine „politische Unabhängigkeit“ wahren könne.
Beide Diplomaten waren noch von der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan eingesetzt worden, die von der Taliban im August 2021 gestürzt wurde. Die Vertreter waren bisher mit deutscher Duldung weiter unter der republikanischen Flagge ihres Landes tätig und hatten sich geweigert, mit dem neuen Regime in Kabul zu kooperieren. Das tun auch die meisten anderen afghanischen Diplomaten in westlichen Ländern nicht. Einige schlossen sich zu einem „Rat“ zusammen, in dem sie ihr Vorgehen abstimmen.
Das Auswärtige Amt erklärte auf Anfrage der taz, dass die Bundesregierung keine Veränderungen am Status der afghanischen Auslandsvertretungen in Deutschland vollzogen habe. „Die beiden Leiter der afghanischen Vertretungen in Berlin und Bonn wurden durch den Entsendestaat abberufen.“ Diese Abberufungen seien „aus völkerrechtlicher Sicht bindend“. Dafür habe die Bundesregierung laut Gesandtschaftsrecht als Gaststaat „eine angemessene Frist“ gesetzt. „Dazu fand am 15.10.2024 im Auswärtigen Amt ein Gespräch mit Vertretern der afghanischen Vertretungen in Bonn und Berlin statt.“ Das Auswärtige Amt habe zudem einer Ausweitung der Zuständigkeit des Generalkonsulats München auf „weitere Staaten widersprochen“.
Deutschland erkennt – wie alle anderen Staaten – das Islamische Emirat der Taliban nicht an. Ebenso übertrug die UN-Vollversammlung den Taliban bisher nicht Afghanistans Sitz. Weil diese aber Afghanistans Territorium kontrollieren, sprechen Berlin und UN von „De-facto-Behörden“. Afghanistans UN-Sitz nimmt weiter ein Vertreter der alten Regierung ein, der jedoch erklärte, er vertrete keine bestimmte afghanische Regierung mehr.
Widerspruch zur offiziellen Afghanistan-Politik
Im Juli teilten die Taliban den Gastgeberstaaten afghanischer Auslandsvertretungen mit, dass sie ab sofort nicht mehr von diesen ausgestellte Dokumente anerkennen. Die Taliban-Note nannte auch die Botschaft in Berlin und das Generalkonsulat in Bonn. Zu den fünf Ausnahmen gehört das Generalkonsulat in München.
Ob es in der Mitteilung aus Kabul auch andere Forderungen gab, ist unklar. Deutschland war laut einem Bericht der Deutschen Welle aber das einzige Land, das darauf schriftlich reagiert habe. In einer „förmlichen Mitteilung“ habe das Auswärtige Amt akzeptiert, dass das Konsulat in München nun für ganz Deutschland zuständig sei. Bis dahin war München nur für die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg zuständig. Seither wird es von Afghan*innen aus ganz Europa überlaufen.
Der afghanische Exilsender Amu TV berichtete ebenfalls im September unter Berufung auf einen „hohen afghanischen Diplomaten in Europa“, die Bundesregierung habe die Botschaft in Berlin aufgefordert, die „Probleme mit den Taliban binnen weniger Wochen zu lösen“. Offenbar sollte sie die erweiterte Verantwortung des Konsulats in Münchens akzeptieren. Das tat Botschafter Yari offenbar nicht. Daraufhin, so Amu, habe das Auswärtige Amt ihn und Generalkonsul Sadat aufgefordert, ihre Positionen zu räumen.
Im Sommer hatten bereits Afghanistans Botschaften in Großbritannien und Norwegen geschlossen. Der afghanische Botschafter in London, Zalmai Rassoul, sagte, die britische Regierung habe „Druck“ auf ihn ausgeübt, dass er zurücktrete. Das britische Außenministerium sagte, die Taliban hätten die afghanischen Diplomaten in London „entlassen“, die Schließung sei aber nicht Londons Entscheidung gewesen.
Hintergrund des deutschen Vorgehens sind wohl die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorangetriebenen Abschiebungen nach Afghanistan. Dafür sind konsularische Hilfe der afghanischen Vertretungen sowie Kontakte mit den Taliban notwendig. Im Oktober hatte Deutschland erstmals wieder afghanische Straftäter nach Kabul zwangsausgeflogen. Den Flug mit 28 Afghanen an Bord hatte der Golfstaat Katar vermittelt.
Das Vorgehen der Bundesregierung steht in eklatantem Widerspruch zu ihrer offiziellen Afghanistan-Politik. Erst im September hatte sie mit über 20 Staaten angekündigt, Schritte gegen die Taliban einzuleiten, weil sie gegen die UN-Konvention zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen verstoßen, die auch Afghanistan unterschrieben hat.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde nachträglich mit dem Statement des Auswärtigen Amtes ergänzt.
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