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Wohin die Religion ziehtKein Mangel an Aberglaube

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Gott mag tot sein, aber James Dean, Janis Joplin und Maradona sind nie gestorben. Das zeigt: der Glaube bleibt. Nur seine Form ändert sich.

Maradonna, angebeter Fußballgott Foto: Fabio Sasso/Zuma Press/imago

W er bin ich, um einem Pfarrer zu widersprechen, wenn er seine Schäfchen für die wichtigste Nacht seines Jahres zusammenholt? „Der religiöse Grundwasserspiegel sinkt“, sagte Pfarrer H. im Gottesdienst in der Osternacht. „Die Quellen des Glaubens fallen trocken.“ Nicht nur in der Natur herrscht offenbar Dürre, so eine Meinung.

In mir regte sich der Teufel des Widerspruchs: Einspruch, Euer Ehren! Der Glaube verdampft bei uns? Das mag so aussehen aus der Sicht der christlichen Kirchen. Und darüber kann man klagen oder auch Halleluja rufen. Was aber leider gar nicht stimmt, ist: dass Religion und Glaube auf dem Rückzug sind und die Aufklärung überall triumphiert. Schön wär´s.

Schauen wir uns mal um: Das Religiöse verschwindet nicht, es zieht nur um. Die Liturgie packt die Menschen nicht mehr im Petersdom, sondern im Westfalenstadion. Das Volk singt seine Hymnen beim FC Union, seine Lichterprozession sind die Bengalos, seine Riten die Choreos der Ultras. Auf dem Rasen werden die Heiligen, die Märtyrer verehrt. Wer Transzendenz sucht, der schaue in die Merchandising-Shops von Schalke 04, in die Gesichter der Fans bei Rockkonzerten oder Demonstrationen, man denke an die blindwütige Hoffnung auf Heilung durch die Medizin. Gott mag tot sein, aber James Dean, Janis Joplin und Maradona sind nie gestorben.

Und das ach so gottlose Berlin mit seinem Politik- und Lobbybetrieb? Es kann beim Festhalten an Unbewiesenem und Unbeweisbarem dem Vatikan leicht das Weihwasser reichen: Die FDP glaubt fest daran, dass unsere Autos mit E-Fuel-Feenstaub fahren können. Sie betet inbrünstig, dass Gasheizungen bezahlbar bleiben, auch wenn die Fakten und der Emissionshandel dagegen sprechen – der immer mal wieder gut mittelalterlich Ablasshandel genannt wird.

Die Herrscher in Sachsen und Brandenburg setzen alles auf das Phantom von bezahlbarer Braunkohle bis 2038, auch wenn die Preise für CO2-Zertifikate diese Klimakiller bis 2030 ganz allein erledigen. CDU/CSU schwören weiter ewige Treue dem Mantra von Innovation und Investition, das uns über die letzten Jahrzehnte erst in diese Hölle von Klimawandel und Artensterben gestoßen hat. Und Hardcore-KlimapessimistInnen satteln immer wieder gern die Pferde der apokalyptischen Reiter.

Und wir alle glauben, immer und überall: An die Kreditwürdigkeit unserer Schuldner, an die Haftung unserer Banken. An den nächsten heißen Scheiß von Tech-Milliardären. Wir glauben daran, dass wir unsere Klimaziele auch mit jährlich 1 bis 2 Prozent CO2-Reduktion schaffen, auch wenn die Wissenschaft sagt, dass 6 bis 7 Prozent nötig sind. Wir vertrauen darauf, dass Klimawandel und Artensterben schon weggehen, wenn wir nur fest genug die Augen zumachen.

Wer hier auf Erden was zu sagen hat, der muss vor allem an eines glauben: An unbegrenztes Wirtschaftswachstum in einem begrenzten Ökosystem. Ist das weniger irre als die Erzählung, dass jemand von den Toten auferstanden ist? Es mangelt dieser Welt an vielem. Aber sicher nicht an Glauben. Und erst recht nicht an Aberglauben.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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5 Kommentare

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  • "Und darüber kann man klagen oder auch Halleluja rufen."

    Hier versucht der Autor noch neutral zu sein. Aber direkt danach

    "[...] Religion und Glaube auf dem Rückzug sind und die Aufklärung überall triumphiert. Schön wär´s."

    fühle ich mich als religiöser Mensch diskriminiert. Genauso davon, dass der Autor die Menschen die an dir Auferstehung glauben als Irre bezeichnet.

    Als wäre jeder religiöse Mensch dumm und "unaufgeklärt". Sowieso sind Religiösität und Aufklärung nicht die Ende entgegengesetzten Enden einen Spektrums und somit keine diametralen Begriffe! Ich würde sogar behaupten, die Entstehung der evangelische Kirche und die Bibelübersetzung durch Luther ins Deutsche hat die Aufklärung 300 Jahre später überhaupt erst ermöglicht (+ die zeitgleiche Erfindung des Buchdrucks). Allenfalls äußert sich der Autor hier intolerant und abfällig. Der Autor kommt sicher nicht aus dem Osten, wo gerade in der DDR die Kirche ein Zufluchtsort der alternativ denkenden Mensch war. Leider beansprucht ein nicht zu vernachlässigender Teil der Ostdeutschen immer noch für sich "alternativ" denkend zu sein und dieser Anteil ist anfälliger für die AFD als diejenigen Menschen, die sich in der DDR wohlhefühlt haben und deren Niedergang bedauert haben.

    Zum Inhalt:



    Weltliche Anbetung ist so alt wie die 10 Gebote selbst (und älter) und kein Phänomen der Neuzeit. Während Mose auf dem Berg die 10 Gebote holt, beten die Israeliten ein goldenes Kalb an und zweifeln an dem Gott, der sie aus Ägypten geführt hat. Deswegen würde ich nicht von "Umzug" sprechen, sondern von einer Phase des "erneuten Vergessens"! Der Mensch erhöht sich selbst, verliert die Orientierung und den Kontakt zum Schöpfer (wobei die Obrigen den Kontakt bereits in der Institution Kirche verloren, seitdem dort Mächtige ihre Macht missbrauchen - wie bereits die Schriftgelehrten Juden zu Jesu Zeiten und damit seine Kreuzigung überhaupt erst herbeiführen). Der Feind ist also der Machtmissbrauchende, nicht der Religiöse.

  • Ach was! ©️ Vagel Bülow

    “ Das zeigt: der Glaube bleibt. Nur seine Form ändert sich.“ But.



    &



    “Liggers. Der Glaube versetzt Berge.



    Aber keine Misthaufen!“



    Alte Bauernweisheit! Woll.



    & Herr Kanitverstan sagt‘s so:



    “Da kann ich mir auch keine Tasse Kakao drauf rühren!“

    kurz - Recht hamse •

  • Aberglaube würde ich vielleicht noch gelten lassen, aber als religiös würde ich das hier aufgezählte nicht bezeichnen. Weil Religionen macht aus das sie in allen Bereichen des Lebens Anweisungen geben nicht nur im Sport oder der Politik, es sind voll ausformulierte Lebensphilosophien die man nicht gut mit fehlerhaften politischen Annahmen und Fußball fanatismus vergleichen kann. Zumal fast alle Religionen einen exklusiv Anspruch haben. Du kannst nicht gleichzeitig Muslim und Christ sein, aber du kannst Muslim und Fußballfreak oder FDP Fan sein.

    • @Marcel Davis:

      Hallo Marcel,



      Da hast du gerade das falsche Beispiel gewählt, da Christen und Muslimen den selben Gott anbeten, genauso wie die Israeliten/Juden. Beide Religionen haben ihren Ursprung in Abrahams Söhnen. Isaac als Vorfahre von Jesus und Ismael als Vorfahre von Mohammed.

      • @Verrain Urahara:

        Trotzdem ist beides nicht mit dem jeweils anderen zu vereinen, denn bei beiden wird über Gott und seine Gebote sehr unterschiedlich gedacht.