Wo für Aufwertung abgedrückt wird: St. Pauli und seine Kunden
Im zukünftigen Business Improvement District „Reeperbahn+“ sind alle verpflichtet zu zahlen: Besucher ebenso wie Eigentümer. Dafür soll alles schöner werden.
GrundeigentümerInnen auf St. Pauli müssen künftig Abgaben zahlen – aber nicht an eine Rockergang, die Schutzgeld eintreibt, sondern an ein Architekturbüro. Die ASK GmbH, ein Architektur- und Stadterneuerungsbüro, ist die Aufgabenträgerin des zukünftigen Business Improvement Districts (BID) St. Pauli.
Jeder, der eine Immobilie in den Straßen zwischen Nobis- und Millerntor besitzt, muss in den nächsten fünf Jahren fünf Abgaben bezahlen. Dabei sollen 1,9 Millionen Euro zusammenkommen. Durch den BID „Reeperbahn+“, wie das Projekt heißt, soll die „aktive Vermarktung des Vergnügungsviertels von St. Pauli zur weiteren Steigerung der Besucherzahlen“ vorangetrieben werden.
Das geht aus dem Konzept hervor, das das Architekturbüro erstellt und der Senat abgesegnet hat. „Aus Besuchern sollen Kunden gemacht werden“, steht darin explizit.
Dafür soll im Gegenzug die Sauberkeit auf den Straßen verbessert werden, das Image St. Paulis soll sich ändern, ein einheitlicher Außenauftritt soll erarbeitet werden. Die „Stärkung von St. Pauli als Tourismusmagnet“ ist erklärtes Ziel des BIDs.
Angestoßen hat das Vorhaben die Interessengemeinschaft St. Pauli: Ein Zusammenschluss von Unternehmen und Tourismustreibenden des Stadtteils. In dessen Vorstand sitzen zum Beispiel Norbert Aust, der Betreiber des Schmidt-Theaters und des Schmidt‘s Tivolis, und Lars Schütze, der ehemalige Pächter des Esso-Grundstücks, der heute die Reeperbahn-Garagen unter dem Spielbudenplatz betreibt.
Schütze wurde auch zum Quartiersmanager des BIDs gewählt. Zusammen mit Julia Staron, Mitbetreiberin des Spielbudenplatzes und Vorstandsmitglied des St.-Pauli-Museums, verkörpert er das neu gebildete Quartiersmanagement. Aufgabe der beiden ist es, das vom Architekturbüro erstellte Konzept mit konkreten Inhalten zu füllen.
Dazu sei es zunächst wichtig, mit allen Beteiligten zu reden, findet Julia Staron. „Wir wollen genau rausfinden, wo hier welcher Schuh drückt“, sagt sie und bezeichnet ihre Arbeit eher als „Beziehungsmanagement“ denn als Marketing. Hauptsächlich gehe es ihr um das Image des Stadtteils: „St. Pauli ist nicht das El Dorado des schlechten Benehmens.“ Aus ersten Gesprächen mit Gewerbetreibenden und AnwohnerInnen habe sie gemerkt: „Die Leute, die schon besoffen kommen und denken, die Reeperbahn sei die Verlängerung des Doms, will hier keiner haben.“
Nicht alle halten die Richtung, in die sich der Stadtteil nach den Vorstellungen der QuartiersmanagerInnen entwickeln soll, für richtig. Bei der Gemeinwesenarbeit (GWA) St. Pauli ist man besorgt angesichts der Kommerzialisierung und Ökonomisierung des Viertels.
„Es zeigt sich wieder einmal, dass die Interessen der Stadtteilbevölkerung denen der Grundeigentümer untergeordnet werden“, sagt Steffen Jörg von der GWA. Letztlich gehe es bei dem angestrebten Imagewandel um die Aufwertung der Grundstücke. Zudem sei die Art, wie das BID beschlossen wurde, „höchst undemokratisch“.
Der Antrag zur Genehmigung des BIDs konnte innerhalb einer Frist beim Bezirksamt eingesehen werden und betroffene GrundeigentümerInnen konnten Einspruch erheben. Es handelte sich also um ein „passives Quorum“: 15 Prozent der GrundeigentümerInnen können ein solches Quorum initiieren – wenn sich dann nicht mindestens 30 Prozent der Betroffenen dagegen aussprechen, wird der Antrag genehmigt. Ist die Masse träge und es meldet sich niemand, geht der Antrag durch.
Im Fall „Reeperbahn+“ legten sechs der 142 GrundeigentümerInnen Widerspruch ein. Der Antrag ging durch und auch die sechs müssen die Abgabe bezahlen. Ein Ziel der Interessengemeinschaft St. Pauli ist es nämlich, Trittbrettfahren zu verhindern: Auch diejenigen, die gegen den BID sind, werden zur Kasse gebeten. In diesem Punkt unterscheiden sie sich dann nicht mehr von den zu KundInnen gewordenen BesucherInnen.
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