Wladimir Klitschko bleibt Schwergewicht: 220 Kilo nette Menschen
Nach seiner erfolgreichen Titelverteidigung gegen Tony Thompson freut sich Wladimir Klitschko über ein Veilchen, das beweist, dass er doch tatsächlich ein Boxer ist
Er hätte mit Sonnenbrille kommen können, wie das so üblich ist in seiner Zunft. Aber Wladimir Klitschko trug dieses rot-blau leuchtende Ei unter seinem linken Auge mit Stolz: "Jetzt sehe ich wirklich wie ein Boxer aus." Und er strahlte dabei. Denn trotz des Veilchens und der Schrammen hatte der Doppelweltmeister im Schwergewicht den Ring in der Hamburger Arena als Sieger verlassen. Er hatte seinen Gegner Tony Thompson vor 15.000 Zuschauern auf den ausverkauften Rängen in der elften Runde mit einer akkuraten Rechten niedergestreckt und darf die Gürtel der Weltverbände WBO und IBF behalten.
Siege sind ja in letzter Zeit nichts Besonderes mehr für den 32-jährigen Ukrainer. In April 2006 hat er Chris Byrd vom IBF-Thron gestoßen und sich den Platz an der Weltspitze zurückgeholt, den er durch zwei schwere K.-o.-Niederlagen gegen Corrie Sanders und Lamon Brewster verloren hatte. Seither war Klitschko mehr Promi denn Boxer. Er spielte eine Nebenrolle als Celebrity-Bräutigam in Till Schweigers Kinofilm "Kleinohrhasen", er erschien bei ausgewählten Gala-Veranstaltungen und sammelte Geld für Kinderhilfsprojekte.
Seine Kämpfe dagegen blieben vergleichsweise blass. Mal, wie gegen Ray Austin oder im zweiten Duell mit Lamon Brewster, weil es den Gegnern an Klasse mangelte, mal, wie zuletzt in New York gegen Sultan Ibragimow, weil Klitschko die letzte Konsequenz und Angriffslust vermissen ließ. Deshalb war Klitschko sehr glücklich über sein blaues Auge.
Denn damit hatte ihn Thompson - zumindest für kurze Zeit - zurückgeholt auf den Boden seines Metiers. Der Amerikaner, mit 1,96 Meter nur vier Zentimeter kleiner als Klitschko, hatte dem Weltmeister einen Kampf ermöglicht, der wenigstens im Ansatz die Zutaten eines zuschauerfreundlichen Dramas enthielt: ein Gegner, der sich ernsthaft wehrt; ein Held, der nicht aus dem Ring steigt und gleich im nächsten Werbespot modeln könnte; und ein fulminantes Ende. Ohne dieses Ende hätte sich viel unschönes Gerangel im Gedächtnis des Betrachters festgesetzt, so aber ist es dieser eine, präzise Konter mit der Rechten, der Thompson aus dem Nichts zu Boden und in die Verliererecke beförderte. Klitschkos Trainer Emanuel Steward sah die Vorteile seines Schützling vor allem in der Erfahrung, die er in seinen vorangegangenen 53 Kämpfen sammeln konnte. "Wenn du viel Erfahrung hast, wirst du zwar auch müde, aber du funktionierst trotzdem noch", sagte der Coach.
Thompsons Funktionsfähigkeit dagegen schwand mit zunehmender Dauer des Kampfes. Seine Treffer wurden unpräziser, seine gegen alle Erwartungen hervorragende Deckung etwas durchlässiger, seine Beine langsamer. In Runde zehn waren sie so müde, dass Thompsons bei einer Klammer-Aktion Klitschkos Gewicht nichts mehr entgegenzusetzen hatte und beide Boxer krachend übereinander fielen. Als die gut 220 Kilo Mensch entwirrt waren, brauchte der Amerikaner eine Weile, um wieder auf die Füße zu kommen. "Kleine Unsauberkeiten", nannte Thompson das später. "Aber das waren Unsauberkeiten innerhalb des Reglements." Der Grund für seine Niederlage sei der Sturz nicht gewesen. "Wladimir ist ein großartiger Champion, er hat gewonnen, weil er heute der Bessere war." Auch Klitschko übte sich noch ein wenig in Nettigkeiten, sprach Thompson seinen Respekt aus und gab zu: "In den ersten Runden habe ich noch nicht das richtige Gefühl für Rhythmus und Distanz gehabt." Die wahre Erleichterung über den am Ende doch noch klaren Sieg brach um kurz nach Zwei am frühen Morgen aus Wladimir Klitschko heraus. "Ich danke euch, eure Energie ist in meine rechte Hand gegangen", rief er seinen Fans auf der VIP-Party in Hamburg überschwänglich zu.
Als nächstes wartet Alexander Povetkin auf Klitschko, der IBF-Pflichtherausforderer aus dem Berliner Sauerland-Stall. Aber vorher, voraussichtlich am 11. Oktober in Berlin, soll Klitschkos großer Bruder Vitali gegen Samuel Peter noch den großen Familientraum wahr werden lassen: zwei Brüder, die gleichzeitig Weltmeister im Schwergewicht sind. Das ist eine große Option für den relativ geringen Preis eines blauen Auges.
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