Wissenschaftler warnen vor CO2-Technik: Keine Wunderlösung fürs Klima
Der EU-Wissenschaftsbeirat warnt in der Klimadebatte vor unerprobten technischen Lösungen. Stattdessen sollte Kohlendioxid reduziert werden.
EASAC ist der Dachverband der Wissenschaftsakademien der EU-Staaten. Das Gremium versteht sich als „Ratgeber für die europäischen Politikgestalter“. Eine EASAC-Arbeitsgruppe hat nun die Literatur gesichtet, die sich mit den Techniken beschäftigt, die CO2 aus der Luft filtern und speichern. Die Wissenschaftler schlagen vor, die Forschung auf allen diesen Feldern zu intensivieren – aber vor allem die CO2-Emissionen schnell zu senken.
Der Report kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. Denn in den nächsten Monaten entscheidet die EU über ihre künftige Energie- und Klimapolitik. In Brüssel beginnen jetzt die Deals zwischen Parlament und EU-Staaten über die Details des energiepolitischen „Winterpakets“; vor der UN-Klimapolitik im polnischen Kattowice im Dezember debattieren alle Staaten darüber, welche Regeln im Klimaschutz ab 2020 gelten sollen.
Und praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit hat letzte Woche die EU-Kommission den polnischen – und auch den deutschen – Vorschlag für eine „Kapazitätsreserve“ für Kohlekraftwerke gebilligt, die faktisch die Subventionen für die Kohlenutzung für die kommenden Jahre festschreiben. Vor diesem Hintergrund mahnen die Wissenschaftler der EASAC, die EU müsse an ihren Klimazielen festhalten.
„Es gibt die Tendenz zu denken, das Klimaproblem sei gelöst, und irgendwie werde die Technik die Rettung bringen“, schreibt EASAC-Präsident Thierry Courvoisier. Aber sehr viele Rechenmodelle des UN-Klimarats IPCC, die das 1,5- oder 2-Grad-Ziel noch als erreichbar beschreiben, setzten auf unerprobte Techniken, um CO2 einzufangen. Solche „hypothetische Technologie in ein Computermodell zu packen“ sei aber etwas ganz anderes als „Forschung, Entwicklung, Bau und Betrieb solcher Techniken im globalen Maßstab“, kritisiert Courvoisier.
„Rennen gegen die Zeit“ beim Klimaschutz
Weil die Techniken unerprobt und möglicherweise teuer seien und weil mögliche Schäden für Ökosysteme an Land und in den Meeren nicht klar seien, müssten diese Szenarien mit großer Vorsicht behandelt werden. Die EASAC-Experten listen ihre Bedenken auf:
Aufforstung: Sie binde zwar CO2, brauche aber riesige Flächen und konkurriere mit der Landwirtschaft.
CCS: Die Abscheidung und Speicherung von CO2 sei EU-weit umstritten, bislang nicht profitabel und durch die Politik unterfinanziert.
Biolandwirtschaft: Die können, ebenso wie verbesserte Agrartechnik, zwar CO2 im Boden binden. Der Effekt könne aber bei Umstellung der Bearbeitung schnell wieder vergehen.
BECCS: Die Verbrennung von Biomasse in Kraftwerken mit CO2-Abscheidung erzeugt Strom ohne zusätzliches CO2, führe aber zur Flächenkonkurrenz und Protesten, wie bei CCS.
Umwandlung von CO2 in Gestein: Auch die Technik stecke noch in den Kinderschuhen, ebenso wie die teure und komplizierte Filterung von CO2 aus der Luft.
Düngung der Ozeane: Mit Eisen soll das Algenwachstum angeregt werden, was wiederum CO2 binden soll. Doch das sei unerprobt und riskant wegen möglicher Auswirkungen auf die Ökosysteme.
Die Wissenschaft empfiehlt, dass die EU vor allem ihre CO2-Emissionen rasch senken soll. Zweitens müssten der CO2-Speicher in Böden und Forsten weltweit erhalten werden, Wälder also besser geschützt werden. Erst dann sollten die technischen und ökonomischen Probleme bei CCS gelöst werden. Diese vor allem bei Umweltschützern umstrittene Technik sei dennoch wichtig, schreiben die Forscher. Der Klimaschutz sei ein „Rennen gegen die Zeit“, bei dem „die Menschheit alle möglichen Werkzeuge brauchen wird, um die Erwärmung zu begrenzen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit