Wissenschaftler analysieren Holocaust-Leugner: Das Paradox der Neonazis
Den Holocaust verherrlichen, ihn aber leugnen, damit man ihn wieder begehen kann: Eine internationale Konferenz befasste sich mit der absurden Logik vieler Rechtsextremisten.
Der frühere NPD-Anwalt Horst Mahler sitzt wieder im Gefängnis. Vor zwei Wochen wurde der Rechtsextremist wegen Volksverhetzung verurteilt. "Den Holocaust gab es nicht", hatte er in einem Interview gesagt - und mit dieser Ansicht ist er nicht alleine.
Wissenschaftler aus Europa, Israel und Nordamerika thematisieren deshalb auf einer Tagung die revisionistische Propaganda der "Holocaust-Lüge". Auf der Konferenz unter der Schirmherrschaft von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) geht es um die Massentötungen durch Giftgas in den Vernichtungslagern der Nazis - und um diejenigen, die diese Taten leugnen.
"Durch Justiz und Bundesinnenministerium sind die Aktivitäten der Holocaust-Leugner in den letzten Jahren eingedämmt worden - aber natürlich gibt es sie noch", sagt Hajo Funke von der FU Berlin. Der Experte für Rechtsextremismus und Antisemitismus wird auf der Konferenz in Berlin und im brandenburgischen Oranienburg über die Taktik der Revisionisten reden. "Einige leugnen etwa den Holocaust an sich, andere streiten dagegen explizit den Massenmord in Gaskammern ab." Sie fragen beispielsweise: Konnte man in Auschwitz wirklich Cyanidverbindungen nachweisen? Mit dieser pedantischen Detailforschung wollten die Holocaust-Leugner vom Wesentlichen ablenken.
Dafür, dass viele Rechtextreme das Offensichtliche leugnen, sieht Hajo Funke zwei Gründe. "Die Neonazis glauben, wenn das Flaggschiff ,Auschwitz' versenkt ist, könnten sie freier ein viertes Reich propagieren", so der Experte. Die Holocaust-Leugnung öffne so die Tür für eine Rehabilitation des Nationalsozialismus. Der zweite Grund sei ein exzessiver, paranoider Antisemitismus. In der perfiden Sichtweise der Holocaust-Leugner sind es die Juden, die das größte Verbrechen begingen - indem sie den Holocaust erfanden.
Neonazis, die den Massenmord im nationalsozialistischen Deutschland abstreiten, befinden sich in einem Paradoxon: Einerseits bekennen sie sich zu einer Ideologie, deren Ziel die Judenvernichtung war - andererseits streiten sie aber ebendiese Judenvernichtung ab. Dieser Widerspruch erklärt sich für Funke dadurch, dass es in der Regel zwei verschiedene Motive sind, von denen Holocaust-Leugner angetrieben werden. "Ganz typisch ist eine Mischung aus Taktik und echter Überzeugung", sagt er. Auf der taktischen Seite müsse propagiert werden, dass der Nationalsozialismus etwas Positives gewesen sei - seine Verbrechen also abgestritten werden. Auf der anderen Seite gäbe es die tatsächliche Überzeugung, dass der von den Nazis begangene Massenmord etwas Gutes gewesen ist. Den Holocaust eigentlich verherrlichen, ihn aber leugnen, damit man ihn wieder begehen kann - das sei die absurde Logik vieler Rechtsextremisten.
"Je stärker sich jemand dem Nationalsozialismus verschreibt, umso wahrscheinlicher wird er auch den Geschichtsrevisionismus betreiben", sagt Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv Berlin. Das Leugnen des Holocaust sei deshalb eine Art Lackmustest für die rechten Szene, nach dem Motto: "Wer so richtig rechts ist, leugnet den Holocaust". Eine Schmerzgrenze sei er allerdings auch. Für politisch Rechtsgesinnte, die sich noch im demokratischen Spektrum befinden, sei es ein Tabu, den nationalsozialistischen Massenmord zu verneinen. Das wüssten rechtsextreme Politiker, sagt Jentsch: "Wenn Bürger am NPD-Parteistand Gespräche über die nationalsozialistische Geschichte beginnen wollen, dann wissen die Funktionäre, dass sie schnell das Thema wechseln sollten. Denn damit können sie politisch nur verlieren."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid