Wissenschaft sucht ihr Publikum: „Raus aus den Echokammern“

Wen interessiert's? Wissenschaftsinitiativen suchen neue Wege, wie sie ihr Anliegen einem möglichst breiten Publikum vermitteln können.

Kinder schauen durch Fernrohre

In Wissens­camps in der UN-­Pufferzone auf Zypern blicken Kinder gemeinsam zu den Sternen Foto: Columba Hypatia-Project

BERLIN taz | Astronomie für den Frieden: Der Griff nach den Sternen war für Francesca Fragkoudi und ihre Sterngucker-Gruppe „Columba-Hypatia“ auf Zypern nicht zu hoch. Bei der „Falling Walls Engange“-Konferenz für Wissenschaftskommunikation in Berlin belegte sie souverän den ersten Platz. Der Ansatz, wissenschaftliche Breitenbildung mit politischer Entspannung zu verbinden, hatte überzeugt.

„Nikosia ist immer noch die letzte geteilte Stadt in Europa“, bringt Fragkoudi in Erinnerung. Zwischen Griechen und Türken gibt es im geteilten Zypern keine Annäherung – bis auf die Kinder. Auf private Initiative entstand die Gruppe von Amateurastronomen, die die Faszination der Sternbeobachtung an die Schulkinder beider Landesteile heranträgt.

In Wissenscamps in der entmilitarisierten UN-Pufferzone blicken sie durch Teleskope in den Himmel; 450 Kinder hat die Aktion #Astro4peace bisher erreicht, die nun auch den Titel „Science Engagement of the Year 2018“ trägt. „Erstmals treffen sich wieder Menschen aus den getrennten Landesteilen“, hebt Fragkoudi hervor, die selbst im Hauptberuf Astronomin ist.

Insgesamt 20 Gruppen aus Europa, aber auch aus Indien, Afrika, USA und Kanada, stellten auf der Engage-Konferenz erstmals in dieser Form ihre Projekte zur Vermittlung von Wissenschaft vor. Das aus Griechenland stammende Projekt „Mind the Lab“ hatte es während der BerlinScienceWeek Anfang November sogar zu einer deutschen Adaption geschafft: In fünf Berliner U-Bahn-Stationen stellten Forscher den vorbeihuschenden Passagieren an Experimentiertischen ihre Arbeit vor. Laien konnten die Nanoforschung in einer Minidosis kennenlernen, bis der Zug kam.

Anlass für die neue Konferenz im Reigen der Falling-Walls-Wissenschaftsevents rund um den Tag des Mauerfalls in Berlin – mit Vorträgen über wissenschaftliche Durchbrüche, Start-up-Wettbewerbe und Politikrunden – war eine latente Unzufriedenheit über die ausbleibende Breitenwirkung der Wissenschaftsvermittlung.

Ein Umdenken wird gefordert

„Die Art der Wissenschaftskommunikation der letzten 20 Jahre, beispielsweise die Verbreitung von Hochglanzmagazinen, die Einrichtung von Kinder-Unis und die Durchführung von Science Slams, hat die Gesellschaft in all ihren Facetten in nur geringem Umfang erreichen können“, stellte Uta-Micaela Dürig, stellvertretende Vorsitzende der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung, zu Beginn der Konferenz fest. „Menschen, die mit Wissenschaft nicht oder nur sehr selten in Berührung kommen, blieben weitgehend außen vor.“ Daher müsse ein Umdenken in der Wissenschaftskommunikation stattfinden.

In der Gesellschaft kann„ein Ver­trauens­verlust in die Wissenschaft“ beobachtet werden

Gleichzeitig könne in der Gesellschaft „ein Vertrauensverlust in die Wissenschaft“ beobachtet werden, dem gegengesteuert werden müsse. Mit dem neuen Format Falling Walls Engage wolle die Stiftung ein „Netzwerk innovativer Wissenschaftsvermittlung“ ins Leben rufen.

Und in der Tat gibt es viele Beispiele, wie in anderen Ländern der Zugang zu wissenschaftsfernen Bevölkerungsgruppen gesucht und erfolgreich praktiziert wird. Etwa das Projekt „Ekoli“, das der belgische Biotechniker und Wissenschaftspädagoge Niek D’Hondt gegründet hat. „Wir sind überzeugt davon, dass Wissenschaft am besten durch spielerische Experimente verstanden wird, wenn Neugierde zu Erkenntnissen und Wissen führt“, erklärt er. Im Mittelpunkt stehen zweistündige Workshops mit einfachen, aber nachhaltigen und verblüffenden Experimenten, die Ekoli in Schulen anbietet, sowohl für Schüler als auch für Lehrer. Die Effekte in sozialen Brennpunkten sind für D’Hondt erkennbar: „Gerade aus Schulen in schwierigem Umfeld hören wir, dass Kinder plötzlich begeistert mitmachen und besser mitarbeiten.“

Schulschwänzer und Straßenkids

Mit der gleichen Zielgruppe arbeitet Tamar Levy am Davidson Institute of Science Education des Weizmann Institute for Science in Reshovot bei Tel Aviv. Die Umweltwissenschaftlerin vermittelt in Praxiskurse die Arbeit im Labor und die Grundlagen des Forscherdenkens, allerdings nicht an Studenten, sondern an Schulschwänzer, straffällige Jugendliche und Straßenkids. „Wissenschaft dient in unserem Ansatz als Mittel und Werkzeug zur Persönlichkeitsentwicklung“, erklärt Tamar Levy.

Diese Ansprache und Anerkennung von inzwischen 10.000 Jugendlichen führt zum Aufbau von Selbstvertrauen, Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein, berichtet die Bosch-Stiftung über den israelischen Ansatz des „Active Science“-Projekts: „Das Angebot ist erfolgreich, denn knapp 95 Prozent der Teilnehmer dieses Programms für Alltagsfähigkeiten machen einen Schulabschluss.“ Vielen Projekten gelingt es, wie die Konferenz zeigte, Wissenschaft oder zumindest wissenschaftsbezogene Aufmerksamkeitsschnipsel in das Alltagsleben der Menschen zu integrieren, mit Kunst und mit Folklore zu kombinieren.

„Raus aus den Echokammern“ ist das Ziel des britischen Projekts „Science Ceilidh“, das Wissenschaft auf Volksfeste, wie den Manchester Day in Schottland, trägt. Das schwedische Projekt „Radical Oceans Futures“ visualisiert die Schönheit und die bedrohte Zukunft der Weltmeere in beeindruckenden Bildern. Die Gruppe um den Künstler Andrew Merrie verfolgt dabei den Ansatz des „emotional impact“, um die Meeres-Science Fiction voll zur Wirkung zu bringen.

Kleine Forscher

Aus Deutschland war das „Haus der kleinen Forscher“ vertreten, das in den letzten 12 Jahren die Wissenschaft in den vorschulischen Bildungsbereich hineingetragen hat. 2,5 Millionen Kinder wurden bisher erreicht, 75.000 Erzieher und Lehrer sind im Netzwerk – eine Bildungsinnovation, die von privater Seite durch die Telekom-Stiftung angestoßen wurde und inzwischen Wurzeln geschlagen hat. Im nächsten Jahr kann das kleine Haus mit der großen Summe von 15 Millionen Euro arbeiten.

Der neue Trend in der Wissenschaftskommunikation hat nicht mehr nur den Bildungs­aspekt und berufliche Karriere im Blick, sondern verstärkt auch das Problemthema Demokratie-Sicherung. „Die Wissenschaft hat eine gesellschaftliche Verantwortung dafür, dass gerade Menschen, die mit Wissenschaft nicht oder nur sehr selten in Berührung kommen, sich nicht von einer rationalen und faktengestützten Weltsicht abwenden“, betont Uta-Micaela Dürig von der Robert Bosch Stiftung. „Denn faktenbasierte Argumentationen sind das Fundament eines öffentlichen, demokratischen Diskurses.“

Aus diesem Grund unterstützt die Bosch Stiftung neben dem neuen Falling-Walls-Format Engage auch das Forschungsprojekt „Wissenschaft für alle“, das am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) angesiedelt ist. Untersucht wird, wie Auszubildende, sozial Benachteiligte oder Muslime von der Wissenschaftskommunikation besser erreicht werden können. „Dabei geht es erst einmal ums Zuhören“, erklärt Ricarda Ziegler, Projektleiterin bei Wissenschaft im Dialog, der Kommunikationsintitaive der deutschen Wissenschaftseinrichtungen. Gefragt wird unter anderem: „Wie sieht deren Alltag aus und welche Rolle spielt Wissenschaft, welchen Platz kann sie darin in der Zukunft finden?“

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