Wisente in Aserbaidschan: Wo die wilden Kerle wohnen
Vor hundert Jahren wurde der letzte freilebende Wisent im Kaukasus geschossen. Doch dann begann man, Zootiere fit für die Wildnis zu machen.
W o sind sie denn jetzt? „Halil hat sie gesehen!“, ruft Zeynab Sejidova, „er hat mir eine Whatsapp mit Fotos geschickt“. Sie hält ihr Handy in die Luft. Das Bild zeigt ganz klar eine kleine Herde Wisente hinter Büschen. Na gut. Andererseits: Das kann auch überall sein.
Seit Stunden schon wandert an diesem sonnigen Mittwoch Ende April ein kleiner Suchtrupp durch den Shahdag-Nationalpark im Nordwesten Aserbaidschans, fünf Männer und zwei Frauen. Der Ranger Halil Nuralijev ist auf einem Hirtenpony vorausgeritten, das klettern kann wie eine Bergziege. Die beiden sollen Wisente aufspüren und die Gruppe zu ihnen lotsen.
Neugierig scharrt sich der Suchtrupp um Sejidova und blickt auf ihr Handy. „Sie sind gar nicht weit weg“, sagt der Leiter der örtlichen Nationalparksektion, Rafjil Musajev. „Ist eigentlich ein gutes Zeichen, dass wir sie nicht sehen“, sagt Aurel Heidelberg, Referent für den Kaukasus des WWF Deutschland. „Stimmt“, sagt Zeynab Sejidova und sinkt auf einen dicken Baumstamm nieder. Pause.
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Losgegangen war es am Morgen am Wanderweg des Nationalparks. Von hier aus gelange man am schnellsten zum wahrscheinlichen Standort der Wisente, hatten die Fachleute gesagt, als sie über ein riesiges Geröllfeld kraxelten. Über hundert Meter breit, hatten sich die größeren Felsbrocken und Berge von Kieseln schließlich als natürliches Bett des Göycay, des „Blauen Flusses“, herausgestellt. Der schießt in einer drei, vier Meter breiten Rinne durchs Geröll zu Tal.
Auf dem Pfad der Wisente
Zeynab Sejidova hatte sich auf Halils Pferdchen geschwungen, die Hände in die Mähne gekrallt und das Hirtenpony sich selbst seinen Weg durch die Strömung suchen lassen. Während Halil das reißende Gewässer mit der Besuchergruppe über einen Baumstamm kletternd überwand, stakste sein Pferd langsam, aber sicher durch den Fluss und sprang am Ende mit zwei Sätzen die felsige Böschung hinauf. Hui.
Seit sechs Jahren leitet die 35-jährige Biologin Sejidova beim WWF in Aserbaidschans Hauptstadt Baku das Programm zur Wiederansiedlung der Wisente im Kaukasus. „Mein Traumjob“, sagt sie, „ich kannte diese Tiere vorher nur aus dem Zoo. Dass sie jetzt wieder wild hier leben können, ist unglaublich.“ Das Ziel sei, die Wisente wieder zu einem Teil der heimischen Tier- und Pflanzenwelt zu machen, zu der sie jahrtausendelang ganz selbstverständlich gehört haben. „Ich arbeite daran mit, dass sie zurückkommen können, darauf bin ich sehr stolz“, sagt Sejidova.
Ihr gefällt es im quirligen Baku, sie kommt aber auch gerne alle zwei Wochen hierher, aufs Land, wo die Kühe und Schafe am Straßenrand weiden und abends alleine nach Hause schlendern, wo die Bauernfamilien ihren Gästen Butter und Käse aus eigener Herstellung servieren, eingelegte Maulbeeren und Brombeeren und 80-prozentigen Selbstgebrannten. „In Baku leben meine Schwestern und Brüder, da habe ich Familie“, erzählt sie, „hier habe ich die Natur und meine Kollegen“.
Sie gehen immer mindestens zu zweit in die Berge, nie allein. Denn der Wanderweg im Nationalpark ist nur wenige hundert Meter lang und endet in einem hübschen Picknickplatz. Danach ist Schluss mit Wegen, nur hin und wieder kann man auf den Trampelpfaden der Wisente wandern.
Über Berlin in die Freiheit
Ranger und Sejidova überprüfen von ferne den Gesundheitszustand der Tiere; eine Kuh ist jedes Jahr trächtig, führt aber nie ein Kalb, offenbar auch dieses Frühjahr wieder nicht. Was ist mit ihr? Sejidova wird das mit dem Tierarzt besprechen. Sie veranstaltet Sommercamps für Schulkinder aus den Dörfern, organisiert Informationsveranstaltungen. Die Menschen, die am Rande, im und mit dem Nationalpark leben, sind wilde Tiere gewöhnt. Die Wisente aber sind auch für sie neu.
Seit 2019 werden Jahr für Jahr Wisente in europäischen Zoos ausgesucht. Nur hier hatte der europäische Bison seine fast völlige Ausrottung überlebt, hier wird die Art seit hundert Jahren am Leben erhalten. Die ausgewählten Rinder verbringen Sommer und Herbst im Berliner Tierpark und werden schließlich mit dem Flugzeug nach Aserbaidschan gebracht, um dort ein Leben in freier Wildbahn zu führen.
Zeynab Sejidova, Projektleiterin und Biologin
Zehn waren es 2023, die Kühe Pesca aus dem französischen Pescheray, Xarin und Ofdalma aus Karlsruhe, Hanau und Rumänien zum Beispiel, weitere kamen aus Tschechien, Berlin und Schweden. Am 21. November, einem kalten, sonnigen Tag, bugsierten Tierpfleger und Tierärzte des Tierparks jedes der rund 400 Kilogramm schweren Tiere in eine eigens gezimmerte Transportbox, gerade so groß, dass sie sich darin nicht umdrehen können. Eine Zwei-Tage-Reise lag vor den Tieren, begleitet von Heidelberg, Tierpflegern und -ärzten.
Dem Bullen Lykster aus Schweden war die Kiste zu eng: Er randalierte und schlug so lange mit seinen Hörnern gegen die Decke, bis das Holz splitterte. „Wir haben entschieden, ihn nicht mitzunehmen, er ist jetzt Teil der Wisentzuchtgruppe des Berliner Zoos“ sagt der studierte Förster Heidelberg.
Neue Mitbewohner: Wölfe und Schakale
Neun Kisten hob ein Gabelstabler vorsichtig auf Lkws; über den Flughafen Frankfurt/Hahn ging es im Direktflug nach Baku, von dort wieder mit Lkws weiter bis nach Buynuz, die Dorfstraße entlang, durch das grüne Tor des Nationalparkzentrums, vorbei an dem kleinen pastellgrünen Verwaltungsgebäude bis zum Gewöhnungsgehege. Darin können die Tiere ankommen, sich vom Transportstress erholen, tierärztlich untersucht werden, sich eingewöhnen.
Sejidova begleitet sie in dieser Zeit eng und beobachtet sie genau. Ob sie Lieblingstiere hat? „Am Anfang hatte ich das“, sagt sie, „jetzt nicht mehr. Das sind Wildtiere.“
Nach einem Monat beginnt Phase zwei: Dann öffnen sie das Gattertor des Geheges, und die Rinder wandern in das 300 Hektar große Auswilderungsgehege. Immer noch umgeben von einem Elektrozaun, können die Zootiere sich hier ans Bergsteigen gewöhnen, daran, einen felsigen Bach zu durchqueren, und an ihre neuen Mitbewohner: Bären, Wölfe, Schakale, Rehe, Hirsche und Dachse, die ebenfalls im Nationalpark leben.
Auf dem Speiseplan der Wölfe stehen die Wisente nicht, dazu sind sie zu groß und zu wehrhaft. Instinktiv bilden Wisentkühe einer Herde einen Kreis um ihre Kälber, wenn Wölfe sich nähern – selbst, wenn sie noch nie einen Wolf gesehen haben. Eingezäunt auf 300 Hektar (zum Vergleich: der gesamte Allwetterzoo in Münster misst 30 Hektar) können die Neuankömmlinge unter Aufsicht wild werden.
Im Frühling schließlich wird auch der Elektrozaun geöffnet und sie ziehen ins Gebirge, die Kernzone des Nationalparks. Dann befinden sie sich in freier Wildbahn. In den Shahdag-Nationalpark würde der größte deutsche Wald-Nationalpark – der Harz – über fünf Mal hineinpassen. Auf 130.000 Hektar Fläche erstreckt er sich über Täler und Berge. Etwa 2.000 Tourist:innen kommen inzwischen jedes Jahr ins Nationalparkzentrum, fünfmal mehr als vor dem Einzug der Wisente. In die Kernzone des Nationalparks allerdings kommen sie nicht hinein, sie soll auch künftig für Besucher:innen gesperrt bleiben.
Urwald und Akzeptanz
Nicht aber für die Ranger und Zeynab Sejidova, die sich jetzt wieder aufrappeln. Die Pause ist vorüber. Weiter geht es durch den Frühlingswald. Vogelstimmen tönen aus allen Richtungen, die hellgrünen Blätter von Eichen, orientalischen Buchen, Hainbuchen und Weißdorn knistern im Wind. Er schüttelt Primeln, Bärlauch und Veilchen, die Ende April schon fast verblüht sind, und pinkfarbene Orchideen. Sejidova folgt dem Blick auf den Waldboden: „Im März war das hier ein Blütenmeer“, sagt sie, „wunderschön“.
Die Hänge im Wald sind steil, dicke Schichten von hellgrünem Moos fusseln auf Baumstämmen und grauen Felsbrocken. Die Kronen der dicken, knorrigen Bäume bilden ein dichtes Dach. Umgestürzte Stämme verteilen sich auf dem Waldboden, noch liegend mannshoch. Auf den Lichtungen, die sie aufreißen, sprießen kleine Ahorne, Eichen und Buchen. Büsche bieten dem Wild Deckung, Brombeerblätter den Wisenten Winternahrung. „Ein Urwald“, sagt Aurel Heidelberg, „so unberührte Wälder wachsen in Deutschland an keiner Stelle mehr“.
Für den WWF Deutschland betreut er im Kaukasus nicht nur die Auswilderung des Wisents, sondern auch den Schutz des Persischen Leoparden oder der Persischen Kropfgazelle. Die Rückkehr der Wisente, sagt er, sei eine echte Erfolgsgeschichte. Der Nationalpark biete den richtigen Lebensraum, es gebe ein Netzwerk an professionellen Partnern und Akzeptanz vor Ort.
Nabi Alijev zum Beispiel. Der 64-jährige Bauer mit silbergrauem Dreitagebart lebt am Rande des Nationalparks. Auf seinen Feldern baut er Erbsen an, Rüben und Gerste. 40 Kühe besitzt er und in etwa so viele Schafe. Die schickt er im Sommer mit den anderen Kühen und Schafen des Dorfes auf die Alm hoch oben im Nationalpark. Das haben sie schon immer so gemacht, auch schon, als das Gebiet, zu Sowjetzeiten, noch ein kleineres Naturschutzgebiet war, und auch in den Wildwest-Zeiten nach dem Zerfall der Sowjetunion, als jeder jagen gehen konnte im Kaukasus und bald kaum mehr ein Steinbock oder eine Gazelle übrig war.
Wildtiermanagment bei Problembullen
Immer ein Hirte zieht hinauf auf die Sommerweide zu den Kühen und Schafen, für ein paar Tage oder eine Woche, dann wechselt ihn jemand ab. Im letzten Herbst haben sie da oben das erste Mal Wisente gesehen, so hoch waren die Wildrinder davor noch nicht gewandert. Aber da waren ihre Schafe und Kühe schon wieder unten, im Dorf. „Dieses Jahr werden sich unsere Tiere und Wisente wohl begegnen“, sagt Alijev. Er sehe darin kein Problem, sagt er, er hat eher eins mit Wölfen, die Schafe reißen; und die Imker ärgern sich über Bären, die ihnen den Honig klauen.
Rafjil Musajev, Nationalparksektionsleiter
Nationalparksektionsleiter Rafjil Musajev sieht die Almweide mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist er auf Leute wie Alijev angewiesen. „Wenn die Bevölkerung die Wisente in Freiheit nicht akzeptiert, dann funktioniert es nicht“, sagt er. Die Stelle, an der die Tiere das 300 Hektar großen Auswilderungsgehege verlassen, ist deshalb sehr sorgfältig ausgesucht: Dort bilden Bergrücken und steile Täler Barrieren, die die Wanderung der Tiere in den Nationalpark lenken. Sie sollen in dessen Zentrum ziehen, nicht in die Dörfer.
Verlässt ein junger Bulle auf der Suche nach neuen Herden doch einmal den Nationalpark, sei „schnelle Kommunikation wichtig“, sagt Heidelberg, „die Leute müssen konkrete Ansprechpartner haben und sehen, dass sie nicht alleine sind“. Wenn es Konflikte gebe zwischen Wildtieren und Menschen, dann ziehe das Tier auf Dauer immer den Kürzeren. „Darum brauchen wir auch hier ein gutes Wildtiermanagement, obwohl die Gegend so dünn besiedelt ist“, sagt Heidelberg.
Wieder auferstanden
In den 1920er Jahren galt der Wisent oder europäische Bison in seinem natürlichen Lebensraum als ausgestorben. 54 Exemplare von „Bison Bonasus“ lebten noch in Zoos und Wildparks. 12 von ihnen bildeten die Grundlage für ein Rettungsprojekt, das heute vom Erhaltungszuchtprogramm des Europäischen Zooverbandes fortgeführt wird.
Gute Grundlage
Zur Auswilderung werden Tiere ausgesucht, die besonders gesund, robust und nervenstark sind. Zudem muss ihr Erbgut passen, damit sich die extrem schmale genetische Basis wieder verbreitert. Rund 9.000 Tiere gibt es inzwischen wieder, über 7.000 davon in freier Wildbahn, die meisten in Polen, Weißrussland und Russland.
Partner im Projekt
Das Projekt zur Wiederansiedlung des Wisents im Kaukasus tragen zahlreiche Partner, darunter der Berliner Tierpark, der WWF, das aserbaidschanische Umweltministerium, die aserbaidschanische Umweltorganisation IDEA und der europäische Zooverband (EAZA).
Denn die Tiere sind auch in der Weite des Kaukasus neu. 1927 wurde der letzte frei lebende Bergwisent im Norden des mächtigen Gebirges geschossen. Es war das Ende einer jahrhundertelangen Vertreibung, von West nach Ost rotten Menschen die europäischen Wildrinder aus, die bis zu 1,80 hoch und 900 Kilogramm schwer werden können. In England oder Frankreich gab es schon im Mittelalter keine Wisente mehr, in den Wäldern Mittel- und Osteuropas hielten sie sich länger.
Erhöhtes Fluchtverhalten
Es sind zwei Seiten einer Medaille: Genauso effizient, wie die Europäer sich ihre Natur unterwarfen und alles erbarmungslos aus ihr entfernten, was sie störte – Wildpferde, Wisente, Wölfe, Bären –, so effizient organisierten sie die Rettung der Überlebenden in Zoos und Tierparks. Und nun auch frei im aserbaidschanischen Kaukasus, 58 sind es inzwischen wieder.
„Wir müssen die Wisente von den Nutztieren fernhalten“, sagt Zeynab Sejidova, „nicht, weil sie für Kühe oder Schafe gefährlich sind, eher umgekehrt“. Zum Beispiel können Fliegen eine Augenkrankheit von Hausrindern auf Wisente übertragen. Im ersten Jahr des Projekts erkrankten einige Tiere, eines erblindete auf einem Auge. „Jetzt bekommen sie eine Art Prophylaxe, die ein halbes Jahr wirkt“, sagt Sejidova, „außerdem lassen wir sie schon im Frühling in die Kernzone des Nationalparks, bevor eine Übertragung stattfinden kann“.
Darum ist auch sie über die Rinder auf der Alm nicht begeistert, weil sie ihre Kühe samt Fliegen in den Lebensraum der Wisente bringen. Und darum ist sie eigentlich ganz froh, dass die Expedition zu den Tieren auch am späten Nachmittag noch erfolglos ist.
Wildhüter Halil Nuralijev reitet heran, er hat aufgegeben. „Sie flüchten, wenn ich mich nähere“, sagt er verwundert, „das ist neu“. Die Wildhüter und Naturschützer:innen diskutieren und kommen zu dem Schluss: Die Fluchtdistanz der Zootiere hat sich vergrößert. Offenbar schätzen sie es nicht mehr, von Nahem betrachtet zu werden. Die Reporterin ist enttäuscht, alle anderen sind froh. „So soll es sein“, sagt Musajev, „je mehr die Wisente den Menschen aus dem Weg gehen, desto weniger Konflikte wird es geben“. Allerdings heiße das auch: „Wir müssen technisch nachlegen“, sagt Musajev.
Wild, aber unter Beobachtung
Bislang ermitteln die Wildhüter die Standorte der Herden mittels GPS. Die Leitkühe tragen Halsbänder mit GPS-Sendern, denn wo die Leitkühe sind, sind auch die anderen Tiere. Die 58 Wisente streifen nicht gemeinsam durchs Gebirge, sie haben sich in kleinere Gruppen aufgeteilt, die sich auch neu formieren können. Zwei Signale sendet das Halsband am Tag an einen Satelliten, der die Daten an Sejidovas Laptop funkt. Für jedes besenderte Tier kann die Biologin Bewegungskarten erstellen und so seinen Aufenthalt an jedem Tag nennen.
Die Kuh 33207 zum Beispiel – Wildtiere brauchen keine Namen mehr – hat am 31. Dezember 2021 das Tor in die Berge durchschritten; im wilden Zickzack ist sie durch die Berge gewandert, von Sommerweiden in Winterdickungen, rund um Salz- und Wasserstellen bildet ihre Spur ein dichtes Muster. Insgesamt hat sie sich in einem Areal von ungefähr 5.000 Hektar bewegt.
Für heute, beschließt die Gruppe, wird die Suche beendet. Rückzug. Am Ufer eines Gebirgsbachs fällt Heidelberg ein junger Ahorn auf, erst wenige Jahre alt, nur daumendick seine Triebe. Im Tierschützer Heidelberg meldet sich der Förster: „Abgebissen“, murmelt er, und nimmt einen Trieb zwischen die Finger, der ihm nur bis zur Hüfte reicht. „Geschält“, kommentiert er eine junge Buche ohne Rinde.
„Die Wisente schädigen Bäume, das ist ganz klar“, sagt er. Einige sterben ab, andere wachsen weiter, krumm und schief. „Teures Stammholz wird das nicht“, sagt er, „das, womit Waldbesitzer Geld verdienen und was viele Forstbetriebe anstreben“. Den Wald am Fuße des Shahdag aber haben keine Förster geprägt, sondern Zeit, Wind, Wetter, Hirsche und Bären. Und künftig prägen ihn auch wieder die Wisente.
Wisente scheitern an deutscher Willkommenskultur
Bislang sind es zu wenige, als dass sie Einfluss auf den Wald nehmen könnten – noch. „Bis 2028 sollen hier 130 bis 150 Tiere leben“, sagt Heidelberg, so viele seien für einen vitalen Bestand mindestens notwendig. Ob die großen Säugetiere die Gestalt des Waldes formen werden, ist eine der offenen, spannenden Fragen des Wisentprojekts. Wird der Wald lichter? Kehren mit den Wisenten Insekten ins Gebirge zurück, die zuvor mit ihnen verschwanden?
„Wir bräuchten hier deutlich mehr Forschung“, sagt Heidelberg, „um zu lernen, wie Wisent und Wald interagieren“. Und, was glaubt er? Würde die Art auch in Deutschland wieder Lebensräume finden? Schließlich haben sich in Polen längst Tiere aufgemacht, die nach Westen wandern. Heidelberg ist skeptisch. „Grundsätzlich gibt es auch laut Studien geeigneten Lebensraum in Deutschland“, sagt er, doch fehle es wohl an gesellschaftlicher Akzeptanz und Kompromissbereitschaft.
Im Nationalpark wird es langsam spät. Die Gruppe stiefelt gemächlich ins Tal zurück, die steilsten Hänge sind geschafft. Nur noch 20 Minuten sind es bis zum Nationalparkszentrum und seinem Picknickplatz, schätzt Zeynab Sejidova, als Halil Nuralijev plötzlich stehen bleibt.
Und dann sehen sie alle: zwei Wisente, dicht beieinander, vielleicht 50 Meter entfernt. Die mächtigen Tiere wedeln träge mit den Schwänzen und schauen sich bedächtig zu der Besuchergruppe um. Imposant sehen sie aus, gelassen, ein bisschen struppig. Die Tiere kauen und schauen. Die Menschen sind ganz still und schauen zurück. Nach ein paar Minuten drehen sich die beiden um und verschwinden im Gebüsch. Macht’s gut!
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