„Wirtschaftswarntag“ der INSM: Unternehmerszene radikalisiert sich
Lobbyverbände haben am Mittwoch zu Straßenprotesten aufgerufen. Die Aktionsform ist ungewohnt, die Forderungen nicht: Steuersenkung und Sozialabbau.
![Gegendemonstranten halten dunkle Schilder mit Aufschrift «Normale Menschen müssen um diese Zeit arbeiten» und «Sollen sie doch Dubai-Schokolade essen» auf der Kundgebung «Wirtschaftswarntag» vor dem Brandenburger Tor hoch. Gegendemonstranten halten dunkle Schilder mit Aufschrift «Normale Menschen müssen um diese Zeit arbeiten» und «Sollen sie doch Dubai-Schokolade essen» auf der Kundgebung «Wirtschaftswarntag» vor dem Brandenburger Tor hoch.](https://taz.de/picture/7498755/14/504674456-1.jpeg)
Der arbeitgebernahe Lobbyverband, der sich unermüdlich für Deregulierung, Steuersenkungen und den Abbau des Sozialstaats einsetzt, hat am Mittwoch anlässlich des „Wirtschaftswarntags“ zu Kundgebungen in fünf deutschen Großstädten aufgerufen.
Straßenproteste sind ja traditionell das Medium, mit dem sich ungehörte, marginalisierte und unterdrückte Bevölkerungsteile bei den Mächtigen Gehör zu schaffen versuchen. Also perfekt für Deutschlands notleidende Unternehmer:innen, denen scheinbar niemand mehr zuhören will.
Statt schwarzer Sturmhauben und Windjacken bestimmen eher teure Filzmäntel und gegelte Haare das Bild. Junge Liberale stellen stolz Schals mit der Aufschrift „Aktienrente“ in der Parteifarbe gelb zur Schau. Ein anderer Demo-Teilnehmer trägt einen Pullover mit der Aufschrift „Merz 2025“. „Kernkraft ist beste“, ist anderswo zu lesen. Was all diese Menschen aus den Führungsetagen, Lobbys und Clubs auf die Straße treibt, ist die Sorge um Deutschlands wirtschaftlichen Niedergang.
Klima ist egal, hauptsache Profite
„Es brennt“, stellt Marie Christine Ostermann auf der Bühne fest. Damit spielt die Präsidentin des ebenso neoliberalen Lobbyverbands „Die Familienunternehmer“ nicht auf die Klimakrise an, sondern auf die schwindenden Profite der deutschen Wirtschaftselite. Überhaupt, die Unternehmer:innen sind die, die am meisten leiden: „Nichts ist so erdrückend, wie langfristigen Mitarbeitern kündigen zu müssen“, sagt Ostermann.
Die Ursachen sind schnell benannt: Steuern, Energie und Sozialabgaben sind zu hoch und gefährden den „Standort Deutschland“. Höhere Löhne seien dagegen keine Lösung, um die Wirtschaft anzukurbeln. Überhaupt nervt diese ganze Bürokratie. Ostermanns Nachredner wettert gegen das, aus seiner Sicht, völlig unnötige Lieferkettengesetz: „Das ist in Richtlinien gegossene Deindustrialisierung Deutschlands!“
Nach jeder Aussage jubelt die Menge begeistert und hält die zuvor massenhaft verteilte Pappsirenen in die Luft. Unter die Teilnehmenden haben sich auch ein paar Linke gemischt. „Normale Menschen müssen um diese Zeit arbeiten“, steht auf einem Schild, „Grüße aus Monaco“ auf dem anderen.
Etwas am Rande der Kundgebung protestiert ein Grüppchen Gewerkschaftsmitglieder gegen die Kundgebung. „Es ist dieselbe Scheiße, die sie seit Dekaden probieren“, seufzt DGB-Mitglied Ronny Matthes. Sozialabbau, Steuersenkungen, all das habe „schon vor 10 Jahren nicht funktioniert“.
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