Wirtschaftskrise: Kein sicherer Hafen mehr
Hamburg erwächst neue Konkurrenz auf der Ostsee: Die polnischen Häfen Gdansk und Gdynia wollen der Hansestadt Container abluchsen und zur Drehscheibe für Russland und das Baltikum werden.
Mit Prognosen über die Weltwirtschaft ist Klaus-Dieter Peters vorsichtig. Es gebe "eine weite Spanne möglicher Konjunkturverläufe", sagt der Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), und das gelte vor allem für die nord- und osteuropäischen Märkte. Die Entwicklungen dieser für "die Logistikdrehscheibe Hamburger Hafen" besonders wichtigen Volkswirtschaften seien "aus heutiger Perspektive mit großen Unsicherheiten behaftet", sagt Peters. Und obendrein erwächst an der Ostsee neue Konkurrenz für Hamburg: Polen baut derzeit seine Häfen Gdansk und Gdynia massiv aus, mit dem Ziel, der Hansestadt an der Elbe einen Großteil der Zubringerverkehre mit Feederschiffen abzuluchsen.
Offiziell gibt die Hamburger Hafenwirtschaft sich betont gelassen. Wenn die Weltwirtschaft wieder anspringe, werde Hamburg als drittgrößter Hafen Europas davon profitieren, zudem würden die miserablen Straßen-und Schienenverbindungen in Osteuropa den Warentransport in großem Maßstab an Land noch auf Jahrzehnte verhindern. Aber nicht auf See. Denn das Ziel der polnischen Hafenwirtschaft ist es, der Umschlaghafen für Russland, Finnland und das Baltikum zu werden.
600 Millionen Euro sollen bis 2015 in den Ausbau der Häfen von Gdansk und Gdynia in der Danziger Bucht investiert werden, verkündete kürzlich Janusz Jarosinski, Vorsitzender der Hafengesellschaft von Gdynia. Beide Häfen sollen eine Wassertiefe von mindestens 18 Metern aufweisen und somit auch für die größten Containerschiffe jederzeit problemlos anzulaufen sein.
Wie sehr der Hamburger Hafen zum Gewinner der Globalisierung und zum Verlierer der aktuellen Weltwirtschaftskrise wurde, verdeutlichen einige Zahlen aus den vergangenen drei Jahrzehnten.
Der Gesamtumschlag betrug (in Millionen Tonnen): 1980: 63,1; 1990: 61,4; 2000: 85,1; 2007: 140,4; 2008: 140,4; 2009: 110,4.
Davon Container (in Millionen Tonnen): 1980: 6,9; 1990: 20,3; 2000: 45,3; 2007: 95,8; 2008: 95,1; 2009: 71,2.
Die Zahl der Standardcontainer (TEU) betrug (in Millionen): 1980: 0,8; 1990: 2,0; 2000: 4,3; 2007: 9,9; 2008: 9,7; 2009: 7,0.
Der Containerisierungsgrad betrug (Anteil am Stückgut in Prozent): 1980: 38,1; 1990: 71,1; 2000: 93,1; 2007: 97,1; 2008: 97,1; 2008: 96,7.
Die weltgrößte Frachtreederei, die dänische Maersk Linie, hat bereits reagiert. Gdansk wird nun einmal wöchentlich von Frachtern mit mehr als 8.000 Containern angelaufen - von Ostasien an Hamburg vorbei, um Dänemark herum. Zudem lässt Maersk zwei eigene Feederdienste zwischen Gdansk, St. Petersburg und Helsinki pendeln.
Es ist das erste Mal, dass Riesenfrachter der Postpanamax-Klasse - die zu breit und zu tiefgehend für den Panama-Kanal sind - bis in die Ostsee fahren. Jetzt biete Gdansk "der Region einen besseren Zugang als die traditionellen nordeuropäischen Häfen", freut sich der dortige Hafenchef Boris Wenzel und verkündet, schon "mit weiteren Reedereien im Gespräch" zu sein.
Diese Neuausrichtung richtet sich vor allem gegen Hamburg, das sich bislang als westlichster Hafen Osteuropas begriffen hat. 65 Verbindungen mit Feederschiffen durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Russland, Finnland, Polen und den drei baltischen Staaten hat Hamburg noch 2008 unterhalten, dazu noch 40 weitere nach Schweden - mit sinkender Tendenz.
Im Vorjahr brach der gesamte Containerumschlag im Hamburger Hafen um 25 Prozent ein, der Containerverkehr mit den Ostseeanrainern jedoch sank deutlich stärker um knapp 44 Prozent, mit dem größten Handelspartner Russland sogar um fast 55 Prozent. Das sei "an Dramatik nicht zu überbieten", räumt Jens Meier, Chef der Hafenbehörde Hamburg Port Authority, ein.
Hinter vorgehaltener Hand allerdings werden auf Hamburger Kais Durchhalteparolen verbreitet. Maersk habe "zu viele große Schiffe, die nicht ausgelastet sind", sagt ein Hafenexperte. Die dürften jetzt "eine Ehrenrunde auf der Ostsee drehen". Dabei handele es sich weniger um "Marktsondierung" als vielmehr um "Bewegungstherapie". Es gebe auch auf lange Sicht "keine Großschiffe voller Container aus und für Fernost" auf dem nordeuropäischen Binnenmeer. Wenn die Krise vorbei sei, würden sich Kosten und Kapazitäten wieder normalisieren und solche "Fahrten mit Hochseefrachtern auf der Ostsee nicht mehr rechnen", vermuten Fachleute.
Was Hamburger Hafenexperten als "kurzfristigen Ausrutscher" bewerten, hält Gdansks Hafenchef Wenzel für einen "historischen Moment". Was es sein wird, entscheiden aber am Ende die Großreedereien wie Maersk.
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