Wirtschaftsforum in Davos: Auszug der NGOs
Der Negativ-Preis für unverantwortliche Konzerne wird beim Weltwirtschaftsforum in Davos zum letzten Mal verliehen. Geben die Kritiker auf?
DAVOS taz | Adrian Monck war noch nie hier. Der Pressesprecher des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Anzug und Schlips sticht heraus aus der Menge der bunten Outdoorjacken und groben Pullover im Saal des Hotels Montana von Davos. Diese Beerdigung aber lässt sich Monck nicht nehmen. „Sie haben gute Arbeit gemacht“, kommentiert der Brite mit stoischem Gesichtsausdruck.
Das späte Lob des Gegners nützt dem Public Eye (öffentliches Auge) auch nichts mehr. Die Globalisierungskritiker verleihen ihren Negativpreis für unverantwortliche Konzerne anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos zum letzten Mal. Der Managergipfel WEF, gegen den sie immer angerannt sind, macht aber weiter - mit mehr Publikum, mehr Geld und mehr Aufmerksamkeit. Die Staatspräsidenten drängeln sich, um im schicken Kongresszentrum eine Rede halten zu dürfen. Monck ist zufrieden und jovial: „Wir finden es nicht gut, dass niemand mehr in Davos protestiert.“
Zur Abschlussveranstaltung bieten die Kritiker nochmal alles auf. Der Saal ist voll, die wackeligen Stühle reichen nicht aus. Man hat internationale Protestprominenz eingeflogen. Aus den USA sind The Yes Men da, zwei Polit-Satiriker, die in die Identität von Konzernschef schlüpfen, um deren Handeln überspitzend zu entlarven.
Sven Giegold, Gründer der einstmals einflussreichen Globalisierungskritiker-Organisation Attac und jetziger EU-Abgeordneter der Grünen, hält eine Rede zum An- und Nachdenken. Und die letzte Auszeichnung als miesestes Unternehmen aller Zeiten erhält Chevron, der Ölkonzern, dem Umweltschützer die Zerstörung unberührten Urwalds in Ecuador vorwerfen.
Über 2.500 Politiker, Wissenschaftler und Chefs internationaler Firmen und Organisationen trafen sich von Montag bis Freitag zum 45. Weltwirtschaftsforum in Davos. Das Motto 2015 lautet "Der neue globale Kontext". Ausrichter ist das "World Economic Forum", ein Verband von über 1.000 Großunternehmen.
590.000 Franken Teilnahmegebühr zahlt, wer nicht speziell eingeladen ist. Mehr als 1.100 private Extraflüge verzeichneten die Schweizer Flughäfen dafür. Neben der Polizei schirmen noch 3.000 Soldaten nebst Kampfjets die Konferenz ab.
Den Kritikern geht die Puste aus
Mit dem Abschied des Public Eye aus Davos wird ein Kapitel im weltweiten Kampf um Gerechtigkeit geschlossen. In den 2000er Jahren existierte ein scharfer Gegensatz. In Davos tagte alljährlich der Managergipfel der Milliardäre, der ökonomischen Elite, der Konzerne, die aus den Industriestaaten in die Welt hinauszogen, die Arbeitsplätze mitnahmen und Arbeitslosigkeit zurückließen. Im brasilianischen Porto Alegre versammelte sich das Weltsozialforum der Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und Ökologen, als deren politischer Verwandter das Public Eye in Davos agierte.
Für das öffentliche Anprangern von Umweltsünden, unmenschlichen Arbeitsverhältnissen und Korruption in den weltweiten Zulieferfabriken schien der Wirtschaftskongress von Davos ein guter Ort. Beim WEF versuchte man immer angestrengt, die Netzbeschmutzer zu ignorieren. Funktioniert hat das nicht, wie Moncks lobender Kommentar erkennen lässt.
Nun aber geht den Kritikern die Puste aus. Auch wenn Public-Eye-Sprecher Oliver Classen das anders sehen will: „Dass ist keine Niederlage, sondern ein Sieg.“ Politik-Professor Claus Leggewie betrachtet die Entwicklung etwas distanzierter: „Die globalisierungskritische Bewegung hat ihren außerparlamentarischen Elan verloren. Das ist das normale Schicksal vieler sozialer Protestbewegungen. Einige der früheren Aktivisten bekleiden heute Regierungsämter und versuchen ihre Forderungen im Rahmen der bestehenden Institutionen durchzusetzen.“
Aber wieso spricht Classen von einem „Sieg“? „Wir haben dazu beigetragen, die Verantwortung der Unternehmen für Ökologie und Menschenrechte zum öffentlichen Top-Thema zu machen“, sagt er. Stimmt: Kein westlicher Konzern kommt heute ohne einen Verhaltenskodex aus, in dem er beschreibt, wie gut er seine Leute überall auf der Welt behandelt. Manches davon ist gelogen, aber kein Unternehmen lässt sich gerne dabei erwischen, dass die NäherInnen in Pakistan 80 Stunden wöchentlich arbeiten, während es offiziell nur 60 sein sollen.
Durch Organisationen wie Public Eye haben die Verbraucher dazugelernt, und damit auch die Firmen. „Ein Erfolg besteht gerade darin, dass sich Unternehmen im Norden wie im Süden reformiert und Nachhaltigkeitsziele aufgenommen haben“, sagt Leggewie.
Die neue Volksinitiative
Das reicht den Public Eye-Leuten jedoch nicht. Sie legen ihr Erbe nun in die Hände der „Volksinitiative für verantwortungsvolle Konzerne“. Diese wird von 50 Organisationen getragen und soll per Plebiszit ein neues Schweizer Gesetz zustandebringen. Darin würde geregelt, dass einheimische Unternehmen ab einer bestimmten Größe Sorge tragen müssen für die Einhaltung der sozialen und politischen Menschenrechte in ihren weltweiten Produktionsketten. Verstießen sie dagegen, wären sie in der Schweiz haft- und strafbar. In den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen ist diese Sorgfaltspflicht schon niedergelegt. Doch die Konzerne setzen sie oft nicht um. Deshalb wäre es ein Quantensprung, Firmen mit einem nationalen Gesetz tatsächlich dafür verantwortlich zu machen, was sie im Ausland tun.
Public-Eye-Sprecher Classen sagt: „Nun heben wir die alte Kernforderung des Public Eye nach rechtlich verbindlichen Sorgfaltspflichten auf die politische Ebene. Die Schweizer Volksinitiative bedeutet eine nachholende Globalisierung der Politik.“ Aber auch einen Rückzug von der internationalen auf die nationale Ebene. Was ist mit den anderen Ländern, Deutschland zum Beispiel? Volksinitiativen gibt es nördlich des Bodensees nicht. Und der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Prinzipien, den die Bundesregierung in Berlin verhandelt, wird kaum gesetzliche Kraft erhalten. Der Abschied des Public Eye als Initiative der Weltzivilgesellschaft hinterlässt eine Lücke.
Aber EU-Abgeordneter Giegold hat zumindest eine Idee: „Wir bräuchten jetzt ein Public Eye on G20.“ Die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ist während der Finanzkrise ab 2007 verstärkt in Aktion getreten, um eine bessere Regulierung des internationalen Finanzsystems anzuschieben. Die Regierungen, darunter auch die in Berlin, haben damit Boden gegenüber den transnationalen Konzernen zurückgewonnen. Es ist der Versuch der politischen Steuerung der ökonomischen Globalisierung. „Diesen neuen Ort hat die Zivilgesellschaft aber noch nicht richtig entdeckt“, so Giegold.
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