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Wirtschaftlichkeit von AufrüstungMehr Militär für eine bessere Konjunktur?

Bekannte Ökonomen setzen auf höhere Rüstungsausgaben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Andere Forscher bleiben skeptisch, wie Anfragen der taz zeigen.

Im Schraubstock? Die künftige schwarz-rote Bundesregierung löst gerade die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben Foto: WIN-Initiative/Neleman

Hamburg taz | „Autos zu Rüstung!“ Mit diesem Motto wirbt der Interessenverband der deutschen Rüstungsindustrie für massive Investitionen in Kriegswaffen. Arbeitsplätze und Fabriken, die in der kriselnden Autoindustrie überflüssig werden, könnten umgewidmet werden, schlägt der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) vor. Die politischen Rahmenbedingungen für diese Form der Rüstungskonversion scheinen günstig zu sein: Die künftige schwarz-rote Bundesregierung löst gerade die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben, und die Europäische Union startet ein Rüstungsprogramm in Rekordhöhe. Die EU-Kommission will bis zu 800 Milliarden Euro mobilisieren. Argumentative Munition liefern bekannte Wirtschaftswissenschaftler.

Höhere Ausgaben für die Verteidigung könnten das Wirtschaftswachstum deutlich ankurbeln und den Industriestandort stärken. So lautet das Fazit eines Reports aus dem Institut für Weltwirtschaft IfW in Kiel. Danach würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,9 bis 1,5 Prozent im Jahr steigen, wenn die EU-Staaten in dem entsprechenden Jahr ihre Militärausgaben über das NATO-Ziel von 2 Prozent hinaus auf 3,5 Prozent des BIP anheben würden. Das BIP ist ein Maß für die Wirtschaftsleistung und entspricht der Summe aller hierzulande produzierten Waren und Dienstleistungen.

„Die Wachstumseffekte höherer Verteidigungsbudgets sind von entscheidender Bedeutung für die politische Debatte in Europa“, sagt Ethan Ilzetzki, Autor des IfW-Reports „Guns and Growth: The Economic Consequences of Defense Buildups“ und Professor an der London School of Economics. „Das bedeutet, dass Europa über seine Militärausgaben entscheiden kann, ohne sich von der Angst vor einer wirtschaftlichen Katastrophe ablenken zu lassen.“

Rüstungsforschung treibt Innovation an

Rüstung könne die Konjunktur ankurbeln und nachhaltige technologische Spillover-Effekte auf andere Wirtschaftszweige erzeugen, davon ist auch der Präsident des von Bund und Land finanzierten IfW, Moritz Schularick, überzeugt. Dazu sollte die europäische Forschungspolitik neu ausgerichtet werden. So geben die USA 16 Prozent ihrer Militärausgaben für Forschung und Entwicklung aus, die EU lediglich 4,5 Prozent. Eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben werde daher die Produktivität auch der privaten Wirtschaft erhöhen.

Die Wirtschaft könnte stark zulegen, wenn die Rüstungsausgaben stiegen, zeigen Prognosen

Auf diesen „Technologiekanal“ setzt auch Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, ZEW. „Viele bahnbrechende Innovationen kamen immer aus der Rüstungsforschung. Berühmte Beispiele dazu sind Satellitennavigation, Mikrowellenöfen und Klebeband“, sagte er der taz.

Wissenschaftlich bleibt jedoch umstritten, ob Rüstungsforschung produktiver ist als Ausgaben für zivile Forschung und Entwicklung. „Das wird oft behauptet, aber ich bin da skeptisch und finde in diesem Punkt die Darstellung in der Kieler Studie nicht überzeugend“, schreibt Michael Brzoska, Senior Fellow des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in einer Stellungnahme für die taz.

Europas Regierungen sollten mehr Schulden aufnehmen

Die 52-seitige Studie aus Kiel hält Forschungsaltmeister Brzoska ansonsten für solide – wenn auch gelegentlich in der Darstellung der Quellen für unausgewogen. Der Report fasst Studien aus mehreren Bereichen wie Ökonomie, Friedensforschung und Wirtschaftsgeschichte zusammen, von den Konflikten des 19. Jahrhunderts bis hin zu den US-Kriegen in Afghanistan und Irak.

Unterm Strich widerspricht die Kieler Studie der verbreiteten Annahme, dass Regierungen vor der Wahl „Kanonen oder Butter“ stehen. Allerdings seien einige Bedingungen zu beachten. Das Wachstum werde geringer ausfallen, möglicherweise sogar negativ, wenn zusätzliche Verteidigungsausgaben von Anfang an durch höhere Steuern finanziert würden, weil das Unternehmen und Menschen belaste. Europas Regierungen sollten daher mehr Schulden aufnehmen. Vor allem aber sollten sie dafür sorgen, dass ein größerer Teil ihrer Militärausgaben in Europa verbleibt. Derzeit stammen rund 80 Prozent ihrer Beschaffungen von Unternehmen außerhalb der Europäischen Union.

Schularicks wirtschaftswissenschaftlicher Kiel-Report orchestriert eine politische Melodie, die er zusammen mit vier anderen renommierten Ökonomen in einem Papier anstimmte: mit Clemens Fuest, Präsident des wirtschaftsliberalen Ifo-Instituts, Michael Hüther, der das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln leitet, dem gewerkschaftsnahen Jens Südekum, Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, und dem saarländischen Ökonomen und SPD-Politiker Jakob von Weizsäcker. Das Empfehlungspapier dieser großen Koalition wurde zur Grundlage für die Vorschläge, die CDU und SPD jetzt noch dem alten Bundestag vorlegten – einer von der Schuldenbremse ungehemmten Finanzierung der Bundeswehr.

Der Wirkungsgrad von Rüstungsinvestitionen ist gering

Wachstum durch Rüstung? Nicht jeder Wirtschaftswissenschaftler marschiert da mit. Das IfW vollziehe „eine ziemlich provokante Zeitenwende in der wirtschaftswissenschaftlichen Beratung“, kommentiert Rudolf Hickel im Gespräch mit der taz. Mit einem Nach- und Aufrüstungsprogramm die Gesamtwirtschaft zu pushen, sei nur eine „Wiederentdeckung“, eine Botschaft, die an den nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA propagierten Rüstungskeynesianismus erinnere. Hickel ist Mitgründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. „Dagegen rückt der wohlstandsorientierte Keynesianismus die Frage, welche zivile Projekte mit den Staatsausgaben finanziert werden, in den Mittelpunkt.“ Statt Wirtschaftspolitik heute auf die ökologische Transformation zu konzentrieren, werde die Rüstungsindustrie zum permanenten Schrittmacher künftiger Entwicklung gekürt.

Volkswirtschaftlich gesehen, sei Rüstungsproduktion sogar „vergleichsweise nachteilig“, betont Helge Peukert auf Anfrage. Der Siegener Professor für Wirtschafts- und Staatswissenschaft gilt als Vorreiter der „pluralen Ökonomik“, welche die auf quantitatives Wachstum ausgerichtete Mainstream-Lehre kritisiert. „Der längerfristige Ankurbelungseffekt, der Multiplikator, wird in seriösen Studien meist mit 1 angegeben. Das ist mickrig.“ Bei erneuerbaren Energien werden meist Werte von 1,5 bis 2 ermittelt, bei IT und Dienstleistungen 2, Bildung und Gesundheit 1,5 bis 2,5. Zivile Investitionen haben also einen deutlich besseren Wirkungsgrad als militärische.

Ohnehin dürften die allermeisten Rüstungsmilliarden nicht in Forschung und auch nicht in Panzer, Fregatten und Kampfflugzeuge fließen, erwartet Tilman Brück von der Berliner Denkfabrik International Security and Development Center. Tatsächlich verschlangen im vergangenen Jahr Besoldung, Verwaltung und Pensionszahlungen zwei Drittel des deutschen Verteidigungsetats. Die meisten militärischen Ausgaben seien halt nur konsumtiv, wie eben die Gehälter für Soldaten: „Ebenso könnten Sie die Gehälter von Lehrern erhöhen.“

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