Wirtschaft treibt Umweltpolitik: Versicherungen nehmen Ewigkeitschemikalien ins Visier
Wenn sogenannte PFAS Schäden an Mensch und Umwelt verursachen, könnten Unternehmen künftig auf den Kosten sitzen bleiben. Hat die Politik eine Lösung?

Diese Handreichung für die Versicherungsunternehmen sei notwendig geworden, „um das Risiko von PFAS besser erkennen, kalkulieren und auf ein wirtschaftlich vernünftiges Maß begrenzen zu können“, heißt es vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
„Mithilfe dieser PFAS-Klausel können Versicherer Schäden durch diese Chemikalien grundsätzlich erst einmal ausschließen – um dann in einem zweiten Schritt mit den Kunden konkret zu vereinbaren, unter welchen Bedingungen und in welcher Höhe Schäden durch bestimmte PFAS-Verbindungen wieder versichert werden“, sagt Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV.
PFAS sind eine mehrere Tausend Stoffe umfassende Gruppe von Chemikalien, die in der Natur nicht vorkommen. Weil sie sowohl wasser-, fett- als auch schmutzabweisend sind, finden sie Anwendung in zahllosen Produkten, in Geschirr, Kleidung, Löschschäumen, Verpackungen, Pflanzenschutzmitteln, Kosmetika und so weiter. Einige PFAS sind krebserregend, lösen Diabetes aus oder machen unfruchtbar. Sie gelten sehr mobil – und als extrem haltbar, was ihnen den Beinamen „Ewigkeitschemikalien“ eingebracht hat. Sie können also etwa von Gewässern in Böden und von dort in die Nahrungskette wandern.
PFAS als Problem der Wasserversorger
PFAS werden unter anderem für die Versorgung mit sauberem Trinkwasser zunehmend zum Problem. So informiert der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft auf seiner Website Wasserversorger über die Möglichkeit, Prozesse gegen Unternehmen mithilfe von Prozessfinanzierern anzustrengen. In den USA wurden bereits zahlreiche Klagen gegen PFAS-Hersteller erfolgreich geführt.
Auch in Deutschland wächst das Interesse an rechtlichen Schritten gegen Verantwortliche – doch die hohen Prozesskosten stellen für viele Betroffene eine Hürde dar“, heißt es beim BDEW. PFAS-Schadensfälle hätte – insbesondere für Wasserversorger – potenziell hohe Streitwerte. Da diese im Vergleich zu großen Chemiekonzernen oft über geringere finanzielle Mittel verfügten, könne eine Prozessfinanzierung helfen, das wirtschaftliche Ungleichgewicht auszugleichen und berechtigte Ansprüche effektiv durchzusetzen.
Dass die Versicherungswirtschaft durch die neue Klausel die Risiken dieser Chemikalien sichtbar mache und ihnen einen Preis gebe, hält Tom Kurz, Referent für internationale Chemikalienpolitik beim Netzwerk Forum Umwelt und Entwicklung, zwar für hilfreich. „Aber sie wollen Schäden durch PFAS nur auf ein wirtschaftlich vernünftiges Maß beschränken – wieso ist es in Ordnung, die Gesundheit von Menschen und die Umwelt zu gefährden, solange es wirtschaftlich vernünftig ist?“
In der EU wird derzeit ein Beschränkungsverfahren für PFAS verhandelt. Demnach sollen Ewigkeitschemikalien nach und nach aus dem Markt genommen werden, zumindest in ihrer massenhaften Verwendung. In Anwendungen, in denen ihre Eigenschaften nicht unbedingt gebraucht werden, sollen sie durch ungefährliche Stoffe ersetzt werden. Ein Beispiel dafür sind einige Outdoorhersteller, die mittlerweile auf PFAS in Regenjacken oder Rucksäcken verzichten.
Für schwerer substituierbare Anwendungen sollen nach und nach ungefährliche Alternativen entwickelt werden. Dazu gehören etwa Feuerwehruniformen, die Chemikalien standhalten und feuerfest sein müssen. Einen Katalog von Anwendungen, in denen PFAS nicht länger verwendet werden sollen, erarbeiten derzeit Kommissionen der Europäischen Chemikalienbehörde.
Koalitionsvertrag setzt auf Substitution
Der Idee der Substitution folgt auch der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD: „Ein Totalverbot ganzer chemischer Stoffgruppen wie Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) lehnen wir ab“, heißt es dort. „Forschung und Entwicklung von Alternativstoffen werden forciert. Wo der Einsatz von gleichwertigen Alternativen möglich ist, sollen PFAS zeitnah ersetzt werden.“
Das sei zunächst einmal ein guter Ansatz, sagt Kurz. Die Umsetzung hänge allerdings davon ab, wer dafür künftig im Wirtschafts- und Umweltministerium verantwortlich zeichne. Kritisch sieht Kurz, dass die Bundesregierung eine „Chemieagenda 45“ mit Ländern, Unternehmen und Gewerkschaften erarbeiten wolle. „Umwelt- und Verbraucherschutzverbände fehlen“, sagt Kurz. Wichtig für gute Lösungen sei, wer an den Diskussionen teilhaben könne. „Davon hängt ab, welche Aspekte gesehen werden und welche nicht“, so Kurz.
Die Versicherer seien in ihrer Einschätzung der Risiken offenbar weitaus vorsichtiger als CDU/CSU und SPD, sagt Julios Kontchou, Umwelttoxikologe bei Greenpeace. „Sie konnten sich in ihrem jüngst beschlossenen Koalitionsvertrag nicht auf eine schnelle Regulierung der gefährlichsten Stoffe aus der Gruppe der PFAS-Chemikalien einigen.“ Hier müsse dringend nachgearbeitet werden.
„Letztendlich liegt die einzige dauerhafte Lösung des PFAS-Problems in einer strengen, entschlossenen Regulierung durch die Politik“, sagt Kontcou. Das sieht auch das Umweltbundesamt (UBA) so. Nach einer Konferenz über die Belastung europäischer Böden mit Ewigkeitschemikalien fasst das UBA zusammen, PFAS in Böden seien ein „gravierendes europaweites Problem, das konsequentes und koordiniertes Handeln erfordert“.
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