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Wir waren es nicht!

Sowohl die Taliban als auch Pakistan beeilen sich mit einer Verurteilung der Terroranschläge

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Die Serie von Explosionen, die gestern am frühen Morgen die afghanische Hauptstadt Kabul erschütterten, standen offenbar in keiner Beziehung mit der Terrorserie in den USA. Über den genauen Hergang der Gefechte herrschte gestern Unklarheit.

Die Taliban bezeichneten den Brand in einer Munitionsfabrik in der Nähe des Flughafens im Norden der Stadt als Ursache. Die gegnerische „Nord-Allianz“ bezeichnete die Angriffe auf Kabul hingegen als ihr Werk: „Unsere Hubschrauber haben den Flughafen angegriffen.“, sagte das Oppositionsmitglied Waisuddin Salik. Zunächst hatte die Opposition eine Beteiligung an den Angriffen bestritten. In den letzten Tagen waren die Kämpfe wieder aufgeflackert, nachdem am Sonntag im Norden Afghanistans ein Anschlag auf Ahmed Schah Massud, den Führer der Allianz, verübt worden war. In Washington erklärte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die USA hätten mit den Ereignissen nichts zu tun.

Doch die rasche Verbindung, die zwischen den Anschlägen in den USA und den Explosionen in Kabul wenige Stunden danach hergestellt wurde, zeigt das Ausmaß an Verdacht, das Afghanistan als mögliche Brutstätte des Terrors in den USA nun auf sich zieht. Die Taliban gehörten denn auch zu den Ersten, die jede Verbindung sowohl des eigenen Regimes wie auch ihres Gastes Ussama Bin Laden zurückwiesen. Sie verurteilten die Anschläge und erklärten, dass Afghanistan mit seiner zerstörten Infrastruktur ebenso wenig wie eine Einzelperson fähig wären, eine Operation dieser Größe zu planen. Falls die USA jedoch Beweise hätten, dass Bin Laden hinter den Anschlägen steckt, könne eine Auslieferung geprüft werden.

Übliche Verdächtige

Bisher hatten sich die Taliban geweigert, den ehemaligen Saudi-Bürger an die internationale Gerichtsbarkeit auszuliefern. Die Drohung von Präsident Bush bei seiner Ansprache an die Nation, wonach die USA „keinen Unterschied machen zwischen jenen, die diese Anschläge ausführten, und jenen, die ihnen Schutz gewähren“, macht Afghanisten zu einem erstrangigen möglichen Ziel eines Vergeltungsschlags.

Offenbar aus Angst vor möglichen Vergeltungschlägen haben die Vereinten Nationen gestern mit dem vorübergehenden Abzug ihres Personals aus Afghanistan begonnen. Es handele sich um 80 internationale Mitarbeiter, hieß es gestern in Genf. Die Ausreise soll heute abgeschlossen sein. Auch die Deutsche Welthungerhilfe beschloss gestern den Abzug ihrer acht Mitarbeiter in Afghanistan.

„Extrem brutaler Akt“

Ähnlich rasch wie das afghanische Taliban-Regime reagierte Pakistan auf die Vorfälle in den USA. Staatspräsident Pervez Musharraf verurteilte diesen „extrem brutalen Akt“ und forderte die ganze Welt auf, „eine Front gegen den Terrorismus“ zu bilden. Wie bei den Taliban kann man die Stellungnahme als Flucht nach vorn interpretieren. Die Regierung in Islamabad weiß, dass sie nun besonders scharf von den Amerikanern beobachtet wird. Denn Pakistan gehört zu den wenigen Ländern, welche die Taliban anerkennen und diese trotz UN-Boykotts wirtschaftlich und logistisch unterstützen. Gleichzeitig haben diese Länder die Begründung für ihre diesbezügliche Haltung, nämlich Druck auf die Taliban ausüben zu können, bisher nicht eingelöst. Islamschulen in Pakistan gelten auch als ideologische Geburtsstätten der Taliban. Eine Reihe von Dschihad-Organisationen unterhalten Beziehungen mit ihnen und wohl auch mit Bin Ladens Organisation.

Pakistans Regierung hat auch die militanten Gruppen, die im benachbarten Indien kämpfen, gewähren lassen. Der Versuch, sie zurückzurufen, musste vor drei Wochen aufgegeben werden, als die betroffenen Gruppen drohten, ihren Dschihad ins eigene Land zu tragen.

Eine der Gruppen, die gegen Indiens Herrschaft in Kaschmir kämpfende Lashkar-i-Taiba, hatte zunächst in einem an die Nachrichtenagentur AFP in Karatschi gefaxten Erklärung für die Angriffe in den USA übernommen. Darin wurde behauptet, die Anschläge seien „kein Akt des Terrorismus, sondern eine islamische Pflicht“. Kurz darauf dementierte der Lashkar-Sprecher Abdullah Muntazir jedoch die Erklärung und sagte, seine Gruppe habe keine solche Erklärung abgegeben. Abdula Gani Bhat, der Vorsitzende der Hurriyat-Konferenz, einem Bündnis von zwei Dutzend kaschmirischen Widerstandsgruppen, verurteilte die Anschläge in den USA und sprach sich gegen jede Form von Terrorismus aus – sowohl von Extremisten wie von Staaten.

Terror ohne Grenzen

Indien hat wie die meisten anderen Länder den Terrorakt in Amerika verurteilt. In Delhi trat das Kabinett zusammen und drückte seinen „Schrecken angesichts dieses Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ aus. Es überprüfte auch die Sicherheitsvorkehrungen im Land. Für die Hauptstadt und weitere Großstädte wurde eine erhöhte Dringlichkeitsstufe verordnet, besonders für die zivilen und diplomatischen Einrichtungen der USA. Ähnlich wie Israel fühlt sich das Land als Opfer des Terrorismus. Im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts ist der Kaschmir-Konflikt immer mehr zu einem islamischen Befreiungskrieg erklärt worden, in dem gelegentlich selbst die Anwendung von Gewalt gegen Zivilisten gerechtfertigt wurde. Indien macht das Thema seitdem regelmäßig zum Gegenstand bilateraler und multilateraler Treffen. Unter dem Titel „cross- border terrorism“ firmiert es im stockenden Dialog mit dem pakistanischen Nachbarn. Pakisan weigert sich, den kaschmirischen „Unabhängigkeitskampfs“ als Terrorismus zu bezeichnen. Das war einer der Gründe für den erfolglosen Ausgang des kürzlichen indisch-pakistanischen Gipfeltreffens in Agra. Erst vor kurzem haben Indien und die USA eine Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung vereinbart.

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