: Wir lassen es lieber sein
■ Die Hamburger Band „Tocotronic“ sorgte in Köln bei der „Pop Komm“ für Skandal
Für einen Moment breitete sich Stille, dann ein hektischer Fleck auf je einem Gesicht eines Mitarbeiters des Musik-Senders VIVA aus. „Wir sind nicht stolz darauf, jung zu sein,“ hatte Jan Müller von der Hamburger Gruppe Tocotronic gesagt.
Der Satz stand bei aller Fassungslosigkeit nicht weniger Anwesender in dem Raum, in welchem von VIVA-Mitarbeitern während der Kölner Pop Komm. der Medien-Preis Comet vergeben werden sollte. Gerade vorher hatten Tocotronic sich auf offener Bühne zunächst artig für die Einladung zu der Veranstaltung bedankt, um dann in jugendlicher Festigkeit die Annahme des Preises in der Kategorie „jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ zu verweigern. Den erstaunten Buh-Rufen trat Jan Müller mit dem oben zitierten Satz entgegen, um zu ergänzen:“ Wir sind auch nicht stolz darauf, deutsch zu sein,“ was die anwesenden Musikindustrie-Angestellten mit weiterem Wutgeheul, Entlassungsdrohungen an Kollegen und beleidigtem Sinnieren über Programmumgestaltungen quittierten.
Das Vorkommnis läßt nicht gleich erkennen, ob sich hier das unkorrumpierbare Bewußtsein einer Band abzeichnet, schließlich haben dem Hamburger Trio für ihren Verzicht auch die Unterhaltungs-Punker Die Ärzte gratuliert . Es läßt sich auch schwerlich behaupten, daß erst bei dieser Gelegenheit dem Sender VIVA irgendeine Charaktermaske heruntergezogen worden wäre. Die Reaktionen illustrieren aber einen Zustand: zum einen scheint zwischen einem Sender wie VIVA und den Diskussionen, an denen sich auch Musiker in den letzten Jahren beteiligt haben, ein solcher Abstand zu liegen, daß die Selbstsicherheit des Musiksenders und diese Diskussionen sich weniger gegenseitig desavou- iren, als schlicht einander nicht in die Quere kommen. Sonst wäre die Überraschung auf beiden Seiten – Tocotronic schienen nach der Veranstaltung nicht gerade erleichtert – wohl auch nicht so groß ausgefallen. Zum anderen wirkte der Verzicht von Tocotronic nicht unbedingt einfach „rebellisch“ sondern auch ein bißchen kurios. Kurios in dem Sinne: Wenn man in einer Diskussion zu dem Ergebnis kommt, bestimmte Sache zu lassen, wird offensichtlich nicht gleich angenommen, daß man selber in einem absehbaren Zeitraum in die Lage kommt, zu entscheiden, ob man etwas läßt.
Kristof Schreuf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen