Winzer in Ungarn: Reife Kirschen, pralle Feigen
Die Donauschwaben in Südungarn als Traditionswinzer. Nirgendwo ist die wechselvolle Geschichte Südungarns so präsent wie in Pécs.
Wenn die Nachmittagssonne durch die Glaswand in sein Atelier hoch über der ungarischen Stadt Pécs fällt, sieht Gábor Illa seine Skulpturen in mildes Licht getaucht. Die Steinplastiken zeichnen sich durch ihre runden Formen aus, die Bronzen sind gegenständlich und exotisch, etwa der Aztekengott Quetzalcóatl.
Mitten im Wohnzimmer steht ein überlebensgroßes Modell des heiligen Wendelin: aus Gips und Styropor geformt. Die Statue, die von Ungarndeutschen in Auftrag gegeben wurde, soll im Dorf Bezedek, unweit der Stadt Mohács, stehen. Heiligenbilder gehören sonst nicht in sein Repertoire, sagt der junge Künstler fast entschuldigend. Aber einen gut bezahlten Auftrag schlage man nicht gerne aus.
Denn der Sohn eines Steinmetzes kann von der freien Kunst allein nicht leben. Immer wieder werde er für eher handwerkliche Restaurierungsarbeiten angefragt. Zu Restaurieren gibt es in Pécs viel: von den frühchristlichen Grabstätten der Römersiedlung Sopianae über die barocken Gebäude und Jugendstilfassaden im Zentrum bis zum Areal der ehemaligen Keramikfabrik der Industriellenfamilie Zsolnay.
Weinstraße: Neben József Bock (www.bock.hu) gibt es jede Menge weiterer Weingüter. Lohnenswert ist ein Ausflug, der über einen Skulpturenpark westlich von Villány durch die Weinberge zum Gut Vylyan (www.vylyan.hu/de/vylyan/szolobirtok_es_pinceszet) führt. Die über Kisharsány gelegene Kellerei bietet neben Weinverkostungen auch kalte Speisen.
Weinfestival: Anfang August wird jedes Jahr an der Weinstraße ein fünftägiges Festival mit Straßenheater, Freiluftkonzerten und anderen Aktivitäten gefeiert.
Weitere Information: Über das Kulturangebot von Pécs, Stadtbesichtigung, Unterkünfte und anderes informiert www.iranypecs.hu/index.php?h2f=be&nyelv=deutsch
taz-Reise in die Zivilgesellschaft: Unser Autor Ralf Leonhard leitet eine Reise der taz nach Budapest und Wien, mit Ausflug an die ungarische Weinstraße. Termin: 3. bis 12. Oktober 2013. Info: www.taz.de/tazreisen
Der Habsburger Geist
Das Stadtzentrum von Pécs rund um die Fußgängerzone in der Király Utca strahlt die gediegene Aura einer k. u. k Provinzstadt aus. Die Amtsgebäude und Schulen entsprechen dem Modell, das überall in der Habsburger Monarchie kopiert wurde. Denkmäler ungarischer Helden und Künstler erinnern daran, dass man sich nicht in Österreich befindet.
Das wird auch durch die Gebäude aus der osmanischen Zeit unterstrichen. Das größte ist die im Auftrag von Pascha Gasi Kassim 1543 aus den Überresten der Bartholomäuskirche erbaute Moschee, gleichzeitig das größte islamische Bauwerk Ungarns. Heute dient das Gotteshaus wieder als Kirche. Das am besten erhaltene islamische Bauwerk ist die Moschee des Paschas Jakowali Hassan, in der heute ein Museum untergebracht ist.
Nirgendwo ist die wechselvolle Geschichte Südungarns so präsent wie in Pécs. Als die Habsburger nach der zweiten Wiener Türkenbelagerung von 1683 begannen, die Osmanen schrittweise zurückzudrängen, wurde ihre Herrschaft über ganz Ungarn besiegelt. Das frei gewordene Land gab man armen Bauern aus Deutschland. Aus Hessen, der Pfalz, dem Sudetenland und Bayern. Donauschwaben nennt man sie wahrscheinlich, weil sie von Ulm aus über die Donau angereist kamen.
Die Stadt Fünfkirchen (Pécs) wurde zum Zentrum der deutsch-ungarischen Kultur und blieb es bis zum Zweiten Weltkrieg. Die Vertreibung der Deutschstämmigen wurde aber nicht mit derselben Gründlichkeit vollzogen wie im Sudetenland oder in Ostpreußen. Viele konnten sich der Vertreibung entziehen. So gibt es heute noch eine deutsche Schule, und die Nikolaus-Lenau-Stiftung sorgt dafür, dass die deutsche Kultur lebendig bleibt. Mehr als die Hälfte der deutschsprachigen Bevölkerung Ungarns lebt in und um Pécs.
Besuch der Weinstraße
In Pécs hatte der Weinbau Tradition. Die Weinberge im Norden der Stadt sind aber in den letzten Jahrzehnten kleinen Wochenendhäusern oder Villen gewichen. Die Weinproduktion konzentriert sich heute auf die ungarische Weinstraße zwischen den Städtchen Siklós und Villány, etwa 40 Kilometer südlich von Pécs. Dort wurde schon zur Römerzeit Wein gekeltert. József Bock kann die Winzertradition zumindest bis 1850 zurückverfolgen.
Es ist gar nicht leicht, den 65-jährigen Pionier in Ruhe zu sprechen. Wenn er nicht gerade verreist ist, plaudert er gern mit den Gästen oder muss auf seinen 70 Hektar großen Weingärten nach dem Rechten sehen. Seine Geschichte hat er schon unzählige Male zum Besten gegeben: Zur Zeit des sozialistischen Regimes war Privateigentum nur sehr begrenzt möglich. Um den Weinbau kümmerte sich ein Staatsbetrieb. Die Familie Bock konnte lange Zeit nur einen halben Hektar selbst bewirtschaften. Doch noch vor der politischen Wende nützte Bock die sich öffnenden Freiräume und erwarb auf den Namen von Familienmitgliedern kleine Parzellen, die es ihm erlaubten, mehrere Rebsorten anzubauen.
Ab 1987 füllte er unabhängig vom Staatsbetrieb Flaschen ab und verkaufte an Hotels in Pécs um die 15.000 Flaschen jährlich. Gemeinsam mit den Kollegen Attila Gere und Zoltán Polgár folgte er dem Trend zum Qualitätswein. Dass es ihm gelungen ist, belegen die unzähligen Auszeichnungen, mit denen die Wände in seinem Hotel gepflastert sind.
Heute kann man Bocks Cabernet Sauvignon und Merlot von Neckartenzlingen bis Schanghai bekommen. Der Export ist dem Edelwinzer aber nicht so wichtig: „85 Prozent werden in Ungarn getrunken“. Zum Teil direkt in den eigenen Kellern. Weinverkostung gehört hier quasi zum Pflichtprogramm. Dass auch Promis die Tropfen des Winzers zu schätzen wissen, belegen Fotos von Otto Habsburg und Plácido Domingo, die neben József Bock posieren.
Beim Blauen Portugieser
Die Region erfreut sich eines mediterranen, teilweise submediterranen Klimas. Ende Mai schon sind die Kirschen reif, die Feigen sind bereits prall. Auf den Südhängen gedeiht vor allem der Rotwein prächtig. Ein Paar Hektar Riesling und Chardonnay auf den eher schattigen Lagen sind ein Tribut an die Weißweintrinker.
Den Blauen Portugieser haben schon die Donauschwaben im 18. Jahrhundert mitgebracht. József Bocks Vorfahren sind ab 1734 dokumentiert. Sie kamen aus der Gegend von Fulda und siedelten im Jammertal, das auch auf ungarischen Karten mit diesem Namen verzeichnet ist. Der Name soll auf die Vertreibung der Türken zurückgehen. Noch heute hat Bock einen Keller im Jammertal, wo Tausende Liter Wein in Eichenfässern reifen.
In den Nischen lagern Flaschen aus der Anfangszeit in den frühen 1990er Jahren, denen der zottige Moder, der sich in den feuchten Gewölben breitmacht, den Anschein antiker Reliquien verleiht. Etwas Sakrales haftet auch dem neuen Keller direkt unter dem Hotel- und Restauranttrakt an. Ein 107 Meter langes Gewölbe, beidseitig von Eichenfässern gesäumt, endet unter einer Kuppel, die an die frühchristlichen Gräberhallen in Pécs erinnert. Sie dient aber weit lebendigeren Veranstaltungen, wie Konzerten oder Vorträgen.
Entlang der Hauptstraße von Villány reiht sich ein Keller an den anderen. Viele der Winzer tragen deutsche Namen, denn trotz der Vertreibung der Deutschstämmigen 1945 hat sich eine starke Minderheit von etwa 40 Prozent gehalten. Auch die altertümliche Bauernsprache wird noch gesprochen. Die Probleme, die es noch vor 50 Jahren zwischen den ethnischen Gruppen gegeben habe, sagt József Bock, seien längst verschwunden. Über József Bock weiß selbst die Konkurrenz nichts Böses zu berichten. Er ist mehrmals zum beliebtesten Winzer gewählt worden.
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