Wintersport im Fernsehen: Am virtuellen Kamin
Die Bilder, welche der Wintersport derzeit produziert, sind zum Wegschauen. Früher sorgten sie zumindest noch für dumpfe Behaglichkeit.
I m Allgäu gibt es einen Brauch, der sich Christbaumloben nennt. Nach Weihnachten geht man zu den Nachbar*innen, besieht sich deren geschmückte Weihnachtsbäume, spricht ein paar freundliche Worte (was im Allgäu eben als freundlich gilt, „scho rät“ zum Beispiel oder „daugt“) und bekommt dafür Schnaps und ein Bier dazu, damit man den Schnaps herunterspülen kann. Die Kinder bekommen Kakao und Lebkuchen und werden sich selbst überlassen.
Mindestens die Zeit bis Dreikönig ist so mit reger sozialer Aktivität gefüllt. Im Hintergrund, so kenne ich das aus meiner Kindheit, läuft Wintersport, irgendwer rennt mit seinen Skiern im Kreis, irgendjemand springt von einem Berg ins Tal, jemand anderes lässt sich in seinem Bob eine halsbrecherische Bahn hinabgleiten. Draußen rieselt der Schnee, drinnen kreist die Flasche, und im Fernsehen sieht man die erschöpften Gesichter von Menschen, denen weniger schnell kalt ist als etwa mir.
Die Kameraleute taten uns den Gefallen und flochten Landschaftsbilder mit in ihre Reportagen, hier mal ein Eiszapfen, der von einer Tanne hängt, da ein verschneiter Waldhügel. All das strahlte eine dumpfe Behaglichkeit aus, die genauso langweilig wie erholsam ist. Auf diese Art habe ich Wintersport gesehen: der Fernseher als virtueller Kamin, vor dem man sich dumpf niederlässt und dann flackern die Ereignisse wie leise züngelnde Flammen an einem vorbei, ohne dass sie viel bedeuten müssen.
Die Bilder, die der Wintersport jetzt produziert, sind freilich andere als noch vor 20 Jahren. Überall stehen Schneekanonen, im Hintergrund grünen die ersten Wiesen oder matschen vor sich hin. Von der aktuellen WM habe ich nicht eine Minute gesehen, weder Ski noch Biathlon, weil das Mitleid mit der zum Winterwonderland verunstalteten Natur jene leise Behaglichkeit von früher übertüncht.
Sinnfreies, 80 Mal am Stück
Die Asien-Winterspiele 2029 wurden kürzlich nach Saudi-Arabien vergeben. Der ganze Komplex, in dem das stattfinden soll, muss erst noch gebaut werden: von dem Geld, das damit verdient wurde, frühere Wintersportgebiete schneefrei werden zu lassen.
Mit das Ödeste am Wintersport waren die Skisprungwettbewerbe: Leute sitzen auf einer Bank, jemand wedelt mit einer Fahne, sie fahren die Schanze runter, springen ab, oh, ein Vogel-V! Und dann landen sie. Der eine schüttelt den Kopf, die andere reißt den Arm zum Himmel, warum, ist nicht immer ganz klar. Das kuckt man sich 80 Mal am Stück an und dann hat die Seele Ruhe. Es hat etwas sehr Kontemplatives, weil völlig Sinnfreies.
Jetzt aber, da kaum mehr irgendwo ausreichend Schnee liegt, braucht es diese Stimmigkeit nicht mehr. Also kann man auch da immer größer und wilder denken. Sandro Pertile, der Renndirektor fürs Skispringen, will deswegen auch, dass sein Sport die Formel 1 zum Vorbild nimmt; globaler muss es werden, auf jedem Kontinent sollen Leute von sehr weit oben irgendwohin sehr weit unten hüpfen.
Für den Biathlon gibt es ähnliche Pläne: Skier mit Rollen dran und dann durch irgendeine Innenstadt jockeln. Eric Lesser hat davon neulich in einem Zeit-Interview geträumt: „Weltcup in Downtown München!“ Der Wintersport emanzipiert sich vom Winter. Wobei: Das wäre vielleicht gar nicht so schlecht, dann wäre zumindest für ein Wochenende diese „Downtown“ autofrei. Und mir, dem das Besinnliche fehlt, bleibt dann immer noch Snooker.
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