Winfried Kretschmann ärgert die Grünen: Führungsanspruch Adé?
Mit Werbung für Schwarz-Grün düpiert Winfried Kretschmann die Parteispitze. Vor allem aber offenbart er eine Schwachstelle der grünen Strategie.
D ie Grünen-Spitze hat es derzeit wirklich nicht leicht. Da geben sich Annalena Baerbock und Robert Habeck im Vorwahlkampf solche Mühe, bloß in keine Falle zu tappen – und dann grätscht ihnen Winfried Kretschmann brutal dazwischen. Seine Äußerungen in einem Gespräch mit der Zeit lesen sich so, als glaube der erste und immer noch einzige grüne Ministerpräsident nicht an einen Sieg seiner Partei bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Das ist höchst ärgerlich für das Führungspersonal der Grünen, das doch unablässig davon spricht, die Union herausfordern zu wollen. Noch bevor der Wahlkampf begonnen hat, sagt Kretschmann ihn bereits ab?
Nicht ganz. Denn gefragt wurde Kretschmann nach einer grün-schwarzen Bundesregierung nach dem Vorbild Baden-Württembergs. „Das sehe ich derzeit nicht“, hat er darauf geantwortet. Die Zahlen gäben das nicht her. Nun ja, seriöserweise hätte er gar nicht anders antworten können. Problematischer ist da schon sein Nachsatz, er fände, „wir sollten auch aufhören, davon zu träumen“. Gibt es ernsthaft Grüne, die daran glauben, bei der nächsten Bundestagswahl die Union zu überflügeln? Dann bestünde ernsthafter Grund zur Sorge.
Nichts spricht dafür, dass Baerbock und Habeck zu derartigen Illusionen neigen. Sie dürften sich vielmehr sehr bewusst sein, dass der große Vorsprung der Union in den aktuellen Umfragen unter einigermaßen normalen Umständen vielleicht zu verringern, aber nicht aufzuholen ist. Sie sind auch keine Politdesperados, die ihre Wahlkampfstrategie auf Hoffnungen und unvorhersehbare Ereignisse aufbauen.
Aber dem postulierten Anspruch der Grünen widerspricht das trotzdem nicht: Es gehe darum, um die Führung in diesem Land zu kämpfen, lautet das Credo von Habeck, Baerbock und Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, dem Wahlkampforganisator. Das klingt vollmundig, sollte aber auch nicht falsch verstanden werden.
Führungsanspruch heißt auch Führen-Wollen
Einen Führungsanspruch kann eine Partei auch dann haben, wenn sie bei einer Wahl auf Platz zwei landet. Die SPD hat dies zu Zeiten von Willy Brandt 1969 und Helmut Schmidt 1976 und 1980 eindrucksvoll bewiesen. Auch Winfried Kretschmann weiß bestens, wie es geht: Als er 2011 Ministerpräsident wurde, lagen die Grünen in Baden-Württemberg fast 15 Prozentpunkte hinter der CDU. Nur: In einer Koalition mit der CDU wäre er das seinerzeit nicht geworden.
Genau das ist der entscheidende Haken: Wer einen Führungsanspruch reklamiert, muss auch bereit sein zu führen. Hier hat Kretschmann – ob beabsichtigt oder nicht – die große Schwachstelle der taktisch-strategischen Winkelzüge der Grünen-Spitze offenbart. Denn er plädiert offen für genau jene Koalition, die führende Grüne ansonsten nur hinter vorgehaltener Hand präferieren: die mit der Union. Und zwar als Juniorpartnerin. Wie so etwas praktisch aussehen könnte, lässt sich übrigens derzeit im Nachbarland Österreich so anschaulich wie abstoßend beobachten.
Wenn die Grünen aber wie geplant im kommenden Jahr einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerinnenkandidatin aufstellen, muss klar sein, dass sie auch den nächsten Kanzler oder die Kanzlerin stellen wollen. Das wird für ihren Wahlkampf weitaus entscheidender sein als die Frage, ob sie nun Habeck oder Baerbock nominieren. Denn Mobilisierungskraft kann das demonstrativ große grüne Selbstbewusstsein nur dann entfalten, wenn es glaubwürdig erscheint. Das ist es jedoch nur mit einer Machtoption jenseits der Union. Nur dann besteht die Chance auf jene Aufbruchstimmung, die die Grünen für ein Wahlergebnis brauchen, das ihren hohen Erwartungen entspricht.
Noch müssen die Grünen nicht Farbe bekennen. Bis zur Bundestagswahl kann noch viel passieren. Die Relevanz der derzeitigen rhetorischen Scharmützel ist daher begrenzt. Das gilt auch für die Kretschmanns Einlassungen. Wesentlich wichtiger ist, ob es ihm gelingt, die baden-württembergische Landtagswahl im März zu gewinnen. Sonst sieht es für die grünen Aussichten auf Bundesebene ohnehin nicht gut aus.
Die Grünen sollten dennoch nicht dem Glauben anhängen, bis zum Wahlabend offen lassen zu können, ob sie eine Koalition mit SPD und Linkspartei anführen oder lieber Steigbügelhalterin für einen Kanzler der Union sein wollen. Ihre Enttäuschung darüber, wie die Wählerinnen und Wähler auf eine solche Unentschlossenheit reagieren, dürfte sonst groß sein.
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