Wilder Trucker-Streik in Gräfenhausen: Hoffen auf Geld und Dominoeffekt
Rund 100 streikende Lkw-Fahrer harren in Gräfenhausen aus und warten auf ihren Lohn. Die Spedition ist nicht verhandlungsbereit. Die Solidarität hoch.
Begonnen hatten den Protest vier Trucker am 18. Juli dieses Jahres. Sie knüpften an einen ähnlichen Streik im April auf der gleichen Raststätte an. Von da an stieg die Zahl der blauen Lkws kontinuierlich auf dem Platz an. Die Fahrer arbeiten für die polnische Unternehmensgruppe Mazur, zu der die Firmen Lukmaz, Agmaz und Imperia mit einer Flotte von rund 1.000 Lkws gehören. Insgesamt sollen sie den Fahrer*innen rund eine halbe Million Euro an Lohn schulden. Viele warten auf zwei Monatslöhne, bei anderen sind es sieben oder acht – und damit Beträge in Höhe von mehreren tausend Euro. Die Unternehmen bestreiten das und verweigern Verhandlungen.
Seit dem 31. August haben die Lkw-Fahrer etwas mehr Geld in der Tasche. Das Geld kam von einer österreichischen Spedition, die auf Waren wartete, die Fahrer in Gräfenhausen geladen hatten. Als Anzahlung auf die ihnen ausstehenden Löhne händigte ein Vertreter des Unternehmens in Gräfenhausen 20.000 Euro Bargeld aus. Im Gegenzug erhielt er die Ladung eines Anhängers. Das Geld teilten die rund 100 Trucker vor Ort unter sich auf, wie Anna Weirich von der Beratungsstelle Faire Mobilität der taz sagte.
Für Weirich, die – als die taz sich bei ihr meldet – wieder einmal auf der Raststätte steht, um die Fahrer zu unterstützen, ist das ein erster Erfolg. „Wir hoffen, dass andere Unternehmen in der Lieferkette dem Beispiel folgen werden.“ Man sei mit einigen Firmen im Gespräch. Konkreter will Weirich nicht werden.
20.000 Euro in bar
Eine Woche später dann der zweite Erfolg: Am Donnerstag, 7. September, zahlt ein österreichisches Transportunternehmen erneut 20.000 Euro in bar aus und erhält dafür seine in Gräfenhausen gestrandete Ware. „Damit ist ein weiteres Unternehmen seiner Pflicht nachgekommen, die Verantwortung für Arbeitsbedingungen und Zahlungen zu übernehmen, wo Subunternehmer das versäumen“, sagt Weirich der taz.
Am 19. August hatten die Fahrer*innen Namen von Firmen und Marken öffentlich gemacht, deren Waren sie geladen haben oder die als Logistikunternehmen an der Lieferkette beteiligt sind. Darunter sind Porsche, Audi, VW, DHL, der Möbelhändler Poco, der Energydrinkhersteller Redbull und die Baumärkte Obi und Bauhaus. Auch Ikea wurde in dem Zusammenhang genannt.
Nach dem deutschen Lieferkettengesetz müssen hiesige Firmen seit Januar für den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in den Lieferketten sorgen – und zwar vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Verstöße können beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) gemeldet werden. Das Bafa teilte der taz auf Anfrage mit, dass von Januar bis Anfang August 14 Beschwerden eingegangen seien. Gegen welche Unternehmen, das wollte das Bafa nicht sagen.
Unwissenheit schützt nicht vor Verantwortung
Die beschuldigten Unternehmen wiesen gegenüber der taz eine Zusammenarbeit mit der Gruppe Mazur zurück. Ikea erklärte, sein Zulieferer habe Anfang 2023 die Zusammenarbeit mit Mazur beendet. Auch Porsche will weder in einem „Vertragsverhältnis“ mit Mazur stehen, noch gebe es „indirekte Beauftragung durch unsere Partnerunternehmen“. Ähnlich äußert sich Volkswagen auch für VW und Audi.
Obi und Bauhaus erklären, seinen Logistikdienstleistern verboten zu haben, Unteraufträge an die Mazur-Gruppe weiterzugeben. Bauhaus teilt zudem mit, es habe sein „Lieferketten-Risikomanagement überprüft und geltende Transportrichtlinien verschärft“ und wolle seine Lieferkette nun „über den Kreis unserer unmittelbaren Zulieferer hinaus überprüfen“.
Weirich überzeugen die Beteuerungen nicht. „Das sagen die Auftraggeber immer“, sagt sie der taz. Möglicherweise hätten große Unternehmen tatsächlich die Übersicht über ihre Lieferkette verloren und würden von den eigenen Vertragspartnern im Unklaren über Weitervergaben gelassen. „Spätestens mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist aber sehr klar geregelt, dass Unwissenheit nicht vor Verantwortung schützt.“
„Moderne Sklaverei“
Solidarität für die Fahrer kommt unterdessen von unterschiedlichen Seiten: Nicht nur wurden sie in den vergangenen Wochen von Politiker*innen der Grünen, Linken und der SPD besucht, die versprachen, sich für bessere Gesetze einzusetzen. Die SPD-EU-Abgeordnete Gaby Bischoff sprach unter anderem von „moderner Sklaverei“ und forderte bessere Kontrollen im Rahmen des Straßenverkehrsgesetzes ein, das dafür sorgen soll, dass Fahrer, die grenzüberschreitend unterwegs sind, anständig bezahlt werden.
Die alternative Hochschulgewerkschaft unter_bau aus Frankfurt am Main rief Anfang August zu Spenden für die Fahrer auf. Zuletzt kündigte die schwedische Gewerkschaft Solidariska Byggare an, eine Streikkasse für die Fahrer eingerichtet zu haben. Ziel sei, pro Person 1.000 Euro einzusammeln und auszuzahlen – also rund 100.000 Euro.
Beim ersten Streik im April war Firmeninhaber Łukasz Mazur mit einem Schlägertrupp angerückt, der die Streikenden bedrohte. Wegen des Vorfalls ermittelt die Staatsanwaltschaft Darmstadt unter anderem wegen besonders schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Störung einer Versammlung. Im August erstattet Mazur Anzeige gegen die Fahrer wegen Erpressung. „Ob und inwieweit die erhobenen Vorwürfe zutreffen und wie der Sachverhalt rechtlich zu bewerten sein wird, ist Gegenstand der Ermittlungen“, sagte die Staatsanwaltschaft der taz. Auch die Fahrer erwägen, Anzeige gegen Mazur zu stellen.
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