Wilbert Olinde über Sport-Gastarbeit: „Basketball ist eine Randerscheinung“
Wilbert Olinde wurde mit dem SSC Göttingen dreimal deutscher Basketballmeister. Eigentlich wollte er nur für eine Saison aus den USA kommen.
taz: Herr Olinde, Sie kamen im Herbst 1977 aus den USA nach Deutschland, um Basketball zu spielen. Was war das für ein Land, in das Sie da kamen?
Wilbert Olinde: Ich kam von Los Angeles in dieses kleine Städtchen, nach Göttingen. Und das war schon ein riesiger Kontrast. Es gab keine endlosen Staus auf den Straßen, es gab sogar eine Fußgängerzone, in der sich Menschen getroffen haben. Das kannte ich nicht, fand es aber sehr schön, weil ich merkte, dass sich die Leute hier wirklich Zeit füreinander nehmen.
Wo haben Sie gewohnt?
Mir wurde eine Wohnung zur Verfügung gestellt, es war in der ersten Etage eines alten Fachwerkhauses. Da dachte ich mir: Das ist Deutschland. Das Haus sollte schon damals abgerissen werden, aber ich war vor Kurzem erst wieder da, es steht immer noch. Von dem, was in meiner Anfangszeit politisch in Deutschland geschah, also vom Deutschen Herbst, habe ich ehrlich gesagt nicht viel mitbekommen. Mein Deutsch war noch ziemlich schlecht.
Sie wollten ja eigentlich auch nicht lange bleiben.
Genau. Von Anfang an stand fest, dass ich nach zehn Monaten wieder zurückkehre, also wirklich nur für eine Saison in Deutschland spielen werde. Aber schon nach ein paar Spielen für den SSC Göttingen bahnte sich an, dass es noch eine weitere Saison werden würde. Und dann noch eine und noch eine und noch eine.
Damals gab es noch die Regel: nur ein Ausländer pro Mannschaft. Das waren dann Sie. Wie war diese exponierte Stellung für Sie?
Wir hatten noch einen Deutsch-Amerikaner im Team und unser Coach hat darauf geachtet, dass wir beide viel gemeinsam mit dem restlichen Team unternehmen. Gemeinsame Abende beim „Altdeutschen“, das war eine Kneipe, gab es unzählige. Das hat es einfach gemacht.
In den USA haben Sie ihr letztes Spiel vor dem Wechsel nach Deutschland vor 20.000 Zuschauern gemacht. In Göttingen wollten damals im Schnitt 2.000 Menschen die Bundesliga-Spiele sehen. War es eine harte Umstellung?
Ja, selbst bei manchem Training haben in Los Angeles mehr Leute zugeschaut als hier bei den Spielen. Der Sport war hier damals eine völlige Randerscheinung und ist es heute ja auch noch weitgehend. Hier wurde damals noch mit Gummibällen gespielt, das kannte ich gar nicht mehr in den USA. Da hatten wir längst Lederbälle. Und als ich das erste Mal die Halle betrat, habe ich mich gefragt, was diese ganzen Linien auf dem Boden bedeuten sollen für lauter Sportarten, die ich gar nicht kannte. Wenn die NBA damals bei zehn von zehn Punkten lag und die College-Liga bei acht, dann war die Bundesliga bei vier oder fünf Punkten. Heute ist sie sicher mit der College-Liga in den USA gleichauf.
Sie sind 1955 im von Rassismus geprägten Louisiana geboren. Wie waren Ihre Erfahrungen als Schwarzer im Deutschland der 1970er-Jahre?
Ganz ehrlich, hier fühlte ich mich von Anfang an sicherer als in den USA. Gerade Göttingen war damals schon durch die Universität eine weltoffene Stadt, es gab viele internationale Studierende. Aber natürlich habe ich im Laufe der Jahre auch hier immer mal wieder Rassismus zu spüren bekommen.
In welchen Situationen erlebten Sie das?
Einmal traf ich einen Makler, weil ich eine Wohnung mieten wollte. Er sagte mir dann, sie sei schon vergeben. Ich bat eine Freundin, den Kerl auch mal wegen der Wohnung anzurufen und siehe da: Die Wohnung war noch frei. Dass ich sie nicht bekam lag sicher nicht daran, dass ich vor dem Termin nicht geduscht hatte.
In Deutschland gab man Ihnen sofort den Spitznamen „Schwarze Perle“. Wie fanden Sie das?
Das hat mir gefallen. Wissen Sie, wie selten und wertvoll so eine Perle ist? Schauen Sie sich Kobe Bryant an, er hat sich selber den Spitznamen „Black Mamba“ gegeben. Solche Namen sind kein Problem, man kann damit ja selbstbewusst umgehen.
Ihr 19-jähriger Sohn spielt auch Basketball und wurde dieses Jahr mit Bamberg deutscher Meister. Es scheint, als tritt er in Ihre Fußstapfen.
Er ist aber deutlich besser, als ich es mit 19 Jahren war, auch weil er ehrgeiziger ist. Mal sehen, ob er das ganze Talent, was er hat, aus sich herausholen kann. Aber er ist auf einem guten Weg.
Biographie: Christoph Ribbat: „Deutschland für eine Saison. Die wahre Geschichte des Wilbert Olinde Jr.“, Suhrkamp, 272 Seiten, 24 Euro
Lesungen: 2. November, 19.30 Uhr, Bücher & Co, Winterhuder Marktplatz 6, Hamburg; 16. November, 20 Uhr, Felix-Klein-Gymnasium, Böttingerstraße 17, Göttingen
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