Wiederentdeckung eines Künstlers: Der Verfemte ist zurück
Der Künstler Karl Ballmer war erst von den Nazis als „entartet“ diffamiert und dann weitgehend vergessen. Eine Ausstellung rehabilitiert ihn jetzt.
Nun gibt es zum ersten Mal seit 85 Jahren hier wieder eine Einzelausstellung mit etwa 50 von dessen Arbeiten. Selbst wenn davon weniges im Besitz der Kunsthalle und der Haspa ist, dürfte der Name den meisten Norddeutschen kaum etwas sagen. Denn der als „entartet“ gebrandmarkte Künstler kehrte mit seiner jüdischen Frau 1938 in die Schweiz zurück. Die Glanzzeiten der hamburgischen Sezession der Zwanzigerjahre wurden insgesamt weitgehend vergessen gemacht.
Dabei hatte der 1891 in Aarau geborene Maler und Autor seine erfolgreichsten Jahre von 1922 bis zum erzwungenen Rückzug in Hamburg. Hier setzte sich Hildebrand Gurlitt für ihn ein, der jahrelang der Avantgardekunst verpflichtete Museumsleiter, Hamburger Kunstvereinsdirektor und spätere Kunsthändler, der in den Vierzigern tief in den Handel mit Raubkunst verstrickt war. Hier traf Ballmer seinen Förderer und Freund Max Sauerlandt, den auch Gegenwartskunst sammelnden und vermittelnden Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, hier diskutierte er tagelang mit dem jungen irischen Schriftsteller Beckett.
Der war auf seiner Deutschlandreise 1936/1937 unter anderem solange in Hamburg, da hier im Nordflügel der Kunsthalle noch Arbeiten von Expressionisten gezeigt wurden, die in anderen Staaten des Reichs bereits verboten waren. Die Kultur der Zwanzigerjahre war auch in Hamburg von einer dynamischen Moderne geprägt, die die Nationalsozialisten so hassten. Expressionistische und sezessionistische Kunstauffassungen waren dominant, der Kunstverein bezog 1930 ein Gebäude im Bauhausstil. Karl Ballmer war damals anerkannter Teil der Szene. Auch philosophierend und schreibend war er immer bestrebt, seiner abstrahierenden Kunst geistige Tiefe zu geben.
Das Transzendente erfassen
Er wollte weniger im eigentlich expressionistischen Sinne seiner Wahrnehmungsstimmung Ausdruck geben, als das transzendent Wesensmäßige mit Farbe und Linie erfassen. Seine mit farbigen Schwüngen die leere Wassermitte umströmenden Landschaftsbilder, dabei die Binnenalster oder eine nordische Bucht sehr ähnlich verbildlichend, sind wunderbar reduzierte, leichte Bildzeichen, die am Rande der reinen Abstraktion das Wesentliche fassen, Bilder, die perfekt zu Freischwingern oder anderen Stahlrohrmöbeln der Zeit passen.
Abgesehen vom Grundkontrast zwischen Fläche und Linie gibt es wenig harte Kanten in Ballmers Bildern. Das weiche, sich gegenseitig durchdringende überwiegt. Auch viele der Figuren sind innerhalb und außerhalb der Konturenlinien Teil einer Landschaft, die zugleich auf die äußere Realität weist, wie sie auch eine innere Vision sein kann. Das macht auch ovale Flächen mit zwei Strichen in der Wahrnehmung zu Köpfen und setzt sie, wie die mehrfach auftauchenden ägyptischen Sphinxe in eine unbestimmt subjektive Traumrealität.
In der raunenden Sprache der Zeit wäre das eine Malerei auf der Suche nach dem ewigen „Tiefen-Ich“, das hinter dem bloß zeitgebundenen „Oberflächen-Ich“ zu bestimmen sei. Ballmer fühlte sich der um die „spirituelle Energie“ kreisenden Philosophie des Franzosen Henri Bergson und den Ideen von Rudolph Steiner verbunden und setzte sich kritisch mit Heidegger auseinander.
Seltsam unzugänglich
Doch vielleicht gerade durch solch schwere Gedankenlast scheint die Bildkunst des ohne wesentliches Spätwerk 1958 in Lugano gestorbenen Karl Ballmer oft distanziert, mitunter rätselhaft und seltsam unzugänglich. Studiert man den umfangreichen Katalog, ohne den heute fast keine Ausstellung mehr so recht verständlich ist, kann man ins Grübeln kommen: Wie kommt es nur, dass die tiefschürfenden kulturgeschichtlichen Erörterungen zu den künstlerischen Produktionen oft und immer öfter interessanter sind als die Kunstwerke selbst?
Wahrscheinlich haben wir – obwohl im Alltag von Bildern überschwemmt – verlernt, Bilder und Artefakte zu lesen. Dann wäre die Suche Ballmers nach vorsprachlich formulierter Transzendenz, nach gemalter, wortlos hinter dem Bild stehender Geistigkeit hochaktuell. Aber genau die ist logischerweise schwer nachzuvollziehen.
Die Kirche hat für ihre komplexen Fiktionen eine sprechende Kunst über Jahrhunderte entwickelt. Der neuere Kirchenersatz hat es bisher nur zum Kunstersatz gebracht. Das bezieht sich besonders auf die Anthroposophie. Ballmer lernte Rudolf Steiner 1918 persönlich kennen und hält danach Kunstvorträge am Goetheanum in Dornach. Seine direkt von der Anthroposophie beeinflussten Bilder sind beispielsweise „seherische“ Porträts von Geistwesen mit vier leuchtenden Augen, zwei grün und zwei rot, oder in weißer Kreide hingewischte Erscheinungen, die aussehen wie Bettlaken mit tiefen Augenhöhlen.
Das ist weder Kopf noch Herz, um den Titel der Schau aufzunehmen, das ist bestenfalls dem Symbolismus des 19. Jahrhunderts nahe oder, trivialer, eine Comicversion des Weltengeistes.
Karl Ballmer wollte mehr als das Sichtbare darstellen. Doch das thematische Überschreiten der Grenze zum Übersinnlichen sollte mit auch formalen Grenzerweiterungen einhergehen. Das begrifflich nicht Fassbare, das, was sich nicht vergegenständlichen lässt, ist nicht vermittelbar. Es bleibt ein individuelles Gefühl, eine private Erleuchtung. Das macht es auch so schwer, sich über das Transzendente, aber auch das radikal Neue zu verständigen.
Ein spooky Bettlaken mit Augen ist dabei ganz gewiss keine angemessene Darstellung von transzendenten Entitäten, keine Lösung der Paradoxie, das Unsichtbare zu zeigen. Vielleicht liegt das bei Karl Ballmer nicht im einzelnen Bildzeichen, sondern im Dazwischen der Überlagerungen.
Bis 18. Juni, Ernst-Barlach-Haus Hamburg
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