Wiederaufbau Garnisonkirche: Der Traum von Potsdam
Vor allem Hinzugezogene engagieren sich für den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Mit dem Potsdam der Gegenwart hat dies wenig zu tun.
POTSDAM taz | Als die Lesung zu Ende ist, da geht eine sehr kleine, sehr alte Frau auf Burkhart Franck zu. Sie bittet ihn, sich ein wenig zu ihr herunterzubeugen. Und dann flüstert sie ihm zu, es hätte ihr besser gefallen, wenn er ein paar Worte gesagt hätte, eben, bei der Lesung. Burkhart Franck, ein großer, hagerer Mann mit Bürstenschnitt, legt den Kopf schief und lächelt zufrieden.
Ihm hat die Lesung auch nicht so gut gefallen. Nicht, dass er etwas dagegen hätte, dass hier, in seinem neuen Zuhause, der Bücherverbrennung gedacht wird. Er mag auch die Pfarrerin Juliane Rumpel, die hier wöchentlich predigt und Lesungen wie diese organisiert. Aber die Texte von Anna Seghers, die gerade mit musikalischer Untermalung vorgetragen wurden, die sind ihm dann doch zu trocken.
Das neue Zuhause von Oberst a. D. Burkhart Franck, Jahrgang 1942: Es ist eine provisorische Kapelle aus Containern, mit viel roh zusammengezimmertem Holz. Es ist der Ort in Potsdam, an dem originalgetreu die Garnisonkirche wiedererrichtet werden soll. Burkhart Franck ist Vorsitzender des Vorstands der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam e. V. Wenn es nach ihm und seinen Freunden ginge, dann sollte der Kirchturm zum 500. Jahrestag der Reformation im Oktober 2017 eingeweiht werden, damit anschließend das Kirchenschiff gebaut würde.
Nun jährt sich der „Tag von Potsdam“ zum achtzigsten Mal. An diesem Tag trafen sich Abgeordnete der NSDAP und andere Vertreter rechter und bürgerlicher Parteien in der Potsdamer Garnisonkirche - und zwar zur konstituierenden Sitzung des am 5. März gewählten Reichstages. Die Wahlergebnisse der NSDAP waren aufgrund des Reichstagsbrands in der Nacht auf den 28. Februar 1933 gestärkt worden.
Der „Tag von Potsdam“ an der Garnisonkirche, einer Verehrungsstätte der preußischen Monarchie, ist zum Symbol der Vermählung des national-konservativen Lagers in Gestalt von Reichspräsident Hindenburg mit der Partei Adolf Hitlers geworden. (sm)
Von den 100 Millionen, die dafür benötigt werden, haben Francks Fördergesellschaft sowie die kirchliche Stiftung Garnisonkirche bisher fünf gesammelt. Burkhart Franck sagt, sie werden die Gelder schon noch irgendwie zusammenbekommen. Wolfgang Huber, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Kuratoriums der Stiftung Garnisonkirche, sagte kürzlich in einem Interview, man hoffe auf Unterstützung vom Bund.
Aber warum eine neue Kirche in einem Land, in dem die Kirchen leer stehen und verfallen? Warum ausgerechnet die Garnisonkirche? Die Tafeln der Ausstellung in der Kapelle berichten doch von dem, was hier geschah und was jeder weiß, der im Geschichtsunterricht aufgepasst hat. Morgen vor 80 Jahren, am 21. März 1933, da ging die Garnisonkirche in die Geschichte ein.
Später ein Rechenzentrum
Die Potsdamer Garnisonkirche war der Ort, an dem Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler die Hand reichte und ihn zum Reichskanzler kürte. Sie ist das Symbol schlechthin für die Vermählung der preußischen Eliten mit der braunen Revolution. Als Walter Ulbricht die Ruinen der im Zweiten Weltkrieg bombardierten Kirche im Mai 1968 sprengen ließ, da sahen große Teile der DDR-Bevölkerung dies als Akt der Giftmüllbeseitigung. Den rationalen Bau des Rechenzentrums mit seinen futuristischen Mosaiken, der stattdessen dort entstand, empfand man als quadratisch, praktisch, nützlich und richtig.
Für Burkhart Franck ist die Garnisonkirche das Gegenteil von Giftmüll, sie sei viel mehr als das, was dort am „Tag von Potsdam“ geschah. „Für mich war Potsdam eine Art Traumvorstellung, das Mekka überhaupt“, sagt er bei einem Glas Saft in der rohen Kapelle. Er kam 1995 in die Stadt – mit dem Umzug des Verteidigungsministeriums aus Bonn. Nach seiner Pensionierung wurde er Geschäftsführer der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel, initiiert von einem gewissen Max Klaar – einem Jahrgangskameraden, wie Franck sagt, mit dem er „locker befreundet“ gewesen sei.
Klaar stieg aus
Max Klaar ließ schon mit seinem Fallschirmjägerbataillon in Iserlohn Geld für das Glockenspiel der Garnisonkirche sammeln, als noch niemand an die Wiedervereinigung dachte. Im Jahr 1987 ließ er es neu gießen, 1991 übergab er es der Stadt Potsdam. Aber dann begann die anfangs skeptische Kirche, sich mit den Wiederaufbauplänen anzufreunden. Als sie für ein Versöhnungszentrum plädierte, da stieg Max Klaar aus. Er konnte sich nicht vorstellen, dass in seiner Kirche Schwule getraut werden und Kriegsdienstverweigerer beraten. Viele trennten sich von ihm – darunter Burkhart Franck.
Burkhart Franck ist Preußennarr, wie er selbst sagt – bis vor Kurzem wollte er sogar in Potsdam ein preußisches Militärmuseum aufbauen. Mit der scharfen Linie eines Max Klaar hat er trotzdem nichts am Hut.
Klaar ist Vorsitzender des Verbands deutscher Soldaten, in dessen Organ, in der Zeitschrift Soldat im Volk, leugnet er den deutschen Überfall auf Polen und die UdSSR.
Schwäche für preußische Tugenden
Franck dagegen, ein freundlicher, sanfter Mann, spricht lieber von den preußischen Tugenden, die derzeit eine Renaissance erleben, zum Beispiel auch durch die Reden des brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, der neben Wolfgang Huber, Jörg Schönbohm, Manfred Stolpe und Richard von Weizsäcker im Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche sitzt.
Es hat beinahe etwas Rührendes, wie Burkhart Franck den Kopf wieder schräg legt, als er von diesem preußischen Geist spricht, der ihn berührt, der nicht nur Härte und blinden Gehorsam einschließt, sondern auch Bescheidenheit, Gerechtigkeitssinn, Unbestechlichkeit. Oder auch vom preußischen Patriotismus, der weit mehr war als bloße Heimatliebe. Entstanden in einem Zeitalter, das nicht nur militaristisch war, sondern auch das der Empfindsamkeit. Damals galt die Fähigkeit zur Empathie als Merkmal eines überlegenen Charakters. Burkhart Franck weiß: Das Vorbild des preußischen Soldaten war der Ritter.
Männlich und über 60
Trotzdem sagt Burkhart Franck auch: „Ich wollte schon Soldat werden, als es die Bundeswehr noch gar nicht gab.“ Und da drängt sie sich doch auf, diese Frage, wie einer so etwas sagen kann, dessen Großvater und Vater Marineoffiziere waren. Dessen Großvater und Vater gefallen sind. Der eine im Ersten, der zweite im Zweiten Weltkrieg.
Nach dem Willen der Mutter, erzählt Burkhart Franck, hätte er Jura studieren sollen. Was wäre aus ihm geworden, wenn er in den Sechzigern studiert hätte? Das spielt heute keine Rolle mehr, denn Burkhart Franck ist Soldat geworden – und Potsdam seine neue Heimat, seine „letzte Heimat“, wie er sagt. Zu dieser Heimat passt, dass viele Förderer der Garnisonkirche wie er Neupotsdamer sind, männlich und über sechzig – und dass viele von ihnen einen ähnlichen militärischen Hintergrund haben wie er.
Lärmendes Glockenspiel
Zu dieser Heimat gehört aber auch, dass sie nicht ganz von dieser Welt ist, „eine Traumvorstellung“, wie Burkhart Franck selbst sagt – und dass diese Traumvorstellung sehr wenig davon zur Kenntnis nimmt, wie es um das Potsdam der Gegenwart wirklich bestellt ist.
Wo aber ist es, dieses Potsdam der Gegenwart?
Hier muss es irgendwo sein.
Ein kleiner Junge steht auf einem Spielplatz neben dem Glockenspiel von Max Klaar. Als es gerade anfängt mit seinem Lied von der „Treu und Redlichkeit“, da hält sich der Junge die Ohren zu und lacht. Lutz Boede, ein kleiner Mann mit sportlicher Windjacke, nimmt Blickkontakt mit dem Jungen auf und lacht auch. „Die Anwohner beschweren sich seit Jahr und Tag über den Lärm“, grinst er aufmüpfig, als man sich endlich wieder unterhalten kann. „Immerhin darf jetzt nicht mehr nachts geläutet werden“, freut er sich.
Militaristische Aufmärsche
Es war am 14. April 1991, als Lutz Boede an diesem Ort jenen Kulturschock erlitt, der ihn bis heute gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche kämpfen lässt: in der Bürgerinitiative Für ein Potsdam Ohne Garnisonkirche. „Der ganze Platz war voller Burschenschafter und Leute in Uniformen, die ich noch nie gesehen hatte“, sagt er. „Ich war ein normaler DDR-sozialisierter Mensch. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas noch gibt.“
Lutz Boede, Jahrgang 1965, verweigerte den Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee der DDR und kam wegen „öffentlicher Herabwürdigung“ acht Monate ins Gefängnis. Gleich nach der Wende wurde er Geschäftsführer des Landesverbands der Grünen und machte bei der Kampagne gegen Wehrpflicht mit. Aus dieser entstand die Fraktion Die Andere, für die Boede bis heute arbeitet. Wie für Burkhart Franck ist auch für Lutz Boede Potsdam eine Wahlheimat – aber sie ist eine ganz andere.
WG-Zimmer oft zu teuer
Einen Augenblick setzt sich Lutz Boede auf die Parkbank beim Glockenspiel. Es gibt viel darüber zu berichten, was Projekte wie die Garnisonkirche machen „aus unserer kleinen Stadt“, wie er sagt. Da sind zum einen die Alten, die Ossis, die häufiger in den ärmeren Vierteln leben. Und da sind zum anderen die Neuen, die oft viel Geld zu verschenken haben, die Günther Jauchs, Wolfgang Joops. In diesen Kreisen engagiert man sich außerdem gern auch in der Initiative „Mitteschön“. Man ist Fan vom Potsdamer Landtagsschloss, das 2014 eröffnet werden soll. Oder man engagiert sich für originalgetreue Rekonstruktionen einer Reihe historischer Gebäude am Alten Markt.
Was Potsdam sonst umtreibt, das wissen Leute wie diese oft nicht, sagt Lutz Boede. Inzwischen ist er schnellen Schritts auf dem Weg durch die Stadt ins Büro. Es geht vorbei am H & M, am Rossmann, am Starbucks. Lutz Boede erzählt: Da ist diese öde Fußgängerzone, die sich inzwischen kaum mehr unterscheidet von Fußgängerzonen westdeutscher Kleinstädte wie Münster oder Marburg. Da sind die Studenten, die sich in Potsdam oft kein WG-Zimmer mehr leisten können. Und da sind die Kneipen. Mit denen kennt sich Lutz Boede aus. Es ist noch nicht lange her, dass er selbst eine betrieb. „Es gibt hier keine einzige mehr, die seit zwanzig Jahren vom selben Wirt betrieben wird.“
Vor einiger Zeit wurde Lutz Boede übrigens noch einmal verknackt, und zwar zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Nach der Räumung eines alternativen Wohnprojekts in Babelsberg hatte er Polizisten beleidigt.
Auch dies ist eine der vielen Wirklichkeiten in Potsdam.
Auch dies ist eine der Wirklichkeiten, von denen der Soldat Burkhart Franck keine Ahnung haben dürfte.
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