Wieder im Kino: Bewusstes Lauschen
Das Sensory Ethnography Lab ist zu Gast im silent green, der talentierte Mr. Ripley treibt Open Air sein Unwesen, anderswo beherrscht man das Wetter.

B ekannt geworden sind Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel mit ihrer experimentellen Dokumentation „Leviathan“ (2012), einem Film über das Meer und die industrielle Hochseefischerei, einem Nachspüren von den Elementen der Natur in Verbindung mit entsprechenden Arbeitsprozessen. Die beiden sind studierte Anthropologen, der Brite Castaing-Taylor leitet das Sensory Ethnography Lab an der Harvard-Universität, an der die Französin Paravel ihre Ausbildung erfuhr.
Die Idee ihrer Filme liegt in der Verbindung von anthropologischen und ethnografischen Inhalten mit audiovisuellen Medien; neue Wege zu beschreiten, spielt dabei ebenso eine Rolle wie der „Respekt vor dem Publikum“, das sich in ihren kommentarlosen Filmen stets selbst orientieren muss. „Schlechte“ Anthropologen seien sie, kokettiert Castaing-Taylor und verweist darauf, dass Leute dieses Berufsstands normalerweise Bücher im Wissenschaftsjargon verfassen, „die niemand liest“.
Das silent green präsentiert in seiner Betonhalle jetzt bis zum 24. August die Ausstellung „Breathing Matter(s)“ – Querschnitt, Retrospektive und Gegenwart des Schaffens von Castaing-Taylor und Paravel in Form von mit ihren Filmen assoziierten Installationen. Für die digitalen Transparenzdrucke „Spirit Stills“ (2013) haben die beiden Standbilder aus „Leviathan“ ausgewählt, in denen sie eine übernatürliche Präsenz zu erspüren meinten – man muss dieser Idee ja nicht unbedingt folgen, es wirkt trotzdem gut im ehemaligen Krematorium der Betonhalle.
„Hell Roaring Creek“ (2010) verweist mit einer 20-minütigen Sequenz, in der eine Schafherde einen Bach überquert, auf „Sweetgrass“, einen Film über mittlerweile eingestellte Schaftrecks in Montana, den Castaing-Taylor 2009 mit Ilisa Barbash realisierte. Der größte Raum der Ausstellung enthält sieben Leinwände, die Ausschnitte aus „De Humani Corporis Fabrica“ (2022) zeigen, auf je drei gegenüberliegenden sieht man – direkt, blutig und mit endoskopischen Kameras gefilmt entsprechend invasiv – Operationen an menschlichen Körpern, während die zentrale Leinwand das Geschehen mit Krankenhauspersonal bei einer Party kommentiert.
Begleitet wird die Ausstellung mit einem umfangreichen Programm aus Filmen (aus dem Umfeld des Sensory Ethnography Lab) und Gesprächen; am Samstag ist Véréna Paravel mit einer „Listening Session“ zu Gast in der Kuppelhalle, in der sie unter anderem Klangmaterialien ihrer aktuellen Arbeit vorstellt („Breathing Matter(s)“, Ausstellung bis 24.8. Betonhalle im silent green).
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Einen der besten französischen Krimis der 1950er Jahre schuf René Clément mit „Plein soleil“, seiner Verfilmung von Patricia Highsmiths Roman „The Talented Mr. Ripley“, in dem Alain Delon in der Hauptrolle des vollkommen amoralischen Tom Ripley eine tatsächlich sehr attraktive negative Energie auf der Leinwand bringt. Ripley ermordet einen reichen Bekannten, übernimmt seine Identität und sein Leben – und scheint mit seinen Schurkereien immer wieder durchzukommen. Im Roman klappt das übrigens, der Film wählt eine überraschende Schlusspointe. Zu sehen im Filmrauschpalast als Open-Air-Vorstellung im Hinterhof (26.7., 21.30 Uhr, Filmrauschpalast).
Immer wieder sehenswert: Der Film „Weathering with You“ (2019) des japanischen Anime-Regisseurs Makoto Shinkai mit seiner kunstvollen Verknüpfung von realistischem Alltag und Fantasy-Elementen in einem komplexen Paralleluniversum. Zu sehen gibt es die Geschichte um ein „Sonnenschein-Mädchen“, das in der Lage ist, das Wetter zu beeinflussen, in der achten Ausgabe des Festivals Anime Berlin (26.7., 17.45 Uhr, Babylon Mitte).
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