Wieder Demonstration gegen "Stuttgart 21": Gegner beweisen Durchhaltefähigkeit

Neuer Teilnehmerekord: Laut Veranstaltern gingen am Freitag in Stuttgart 65.000 Bürger auf die Straße, um gegen den milliardenschweren Umbau der Hauptbahnhofs zu demonstrieren.

"Wir kommen immer wieder": In Stuttgart protestierten am Freitagabend zehntausende Demonstranten gegen das umstrittene Bahnprojekt "Stuttgart 21". Bild: reuters

STUTTGART taz | Die Demonstrationen gegen das umstrittene Milliardenprojekt Stuttgart 21 reißen nicht ab - im Gegenteil: Nachdem die Veranstalter Freitag vor einer Woche 50.000 Menschen bei ihrem Protest durch die Innenstadt zählten, sprachen sie am Freitagabend von 65.000.

Sollte diese Zahl stimmen, die zumindest realistischer erscheint als die 30.000, von der die Polizei sprach, hätte das Aktionsbündnis erstmals fast die Masse mobilisiert, die einst mit 67.000 Unterschriften einen Bürgerentscheid über den neuen Tiefbahn gefordert hatte. "Herr Mappus und Herr Grube, unterschätzen Sie unsere Durchhaltefähigkeit nicht. Wir kommen immer wieder!", sagte die Grünen Stadträtin Clarissa Seitz in Richtung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten und des Bahnchefs, bevor sich der Protestzug in Bewegung setzte.

Es dauerte fast eine Stunde, bis das Ende des Zuges den Schlossgarten verlassen hatte. Am Anfang des Zuges unterstützte dieses Mal der Langstreckenläufer Dieter Baumann den Protest. Das Bild hinter ihm war bestimmt von tausenden grünen Luftballons, die die Veranstalter zugunsten einer Rechtshilfe für Aktivisten verkauft hatten. Als die Dämmerung einsetzte, zündeten zudem viele ihre mitgebrachten Lampions, Laternen und Windlichter an. "Lieber Rente mit 65 als Stuttgart mit 21", stand auf der Laterne einer älteren Frau. Ein Mann trug ein am Besen befestigtes Plakat mit der Aufschrift: "Kehren ist unsere Stärke. S21 ist umkehrbar".

Die Kosten für die im Zusammenhang mit dem Großprojekt "Stuttgart 21" geplante ICE-Trasse Wendlingen-Ulm werden nach Angaben der Grünen noch weiter explodieren. Nach einem Bericht des Spiegels könnte die Neubaustrecke um mindestens 2 Milliarden Euro teurer werden als von der Deutschen Bahn berechnet. "Ich gehe davon aus, dass die Strecke am Ende mehr als 5 Milliarden Euro kosten wird", sagte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Bundestags, Winfried Hermann (Grüne), dem Magazin. Am Mittwoch wollen die Grünen ein entsprechendes Verkehrsgutachten in Stuttgart vorstellen. Die Bahn widersprach diesen Zahlen und verwies auf das Ende Juli vorgelegte Gutachten. Darin hatte das Unternehmen und die Landesregierung die Kostenschätzung um 865 Millionen nach oben geschraubt. Statt 2 Milliarden Euro werde die Strecke 2,9 Milliarden Euro kosten.

Auf der abschließenden Kundgebung im Schlossgarten sprach der Sprecher der Initiative "Bahn für alle", Winfired Wolf, und erklärte, man werde sich nicht über den runden Tisch ziehen lassen. Zu diesem hatten Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und der Chef der Grünen Landtagsfraktion, Winfried Kretschmann, gemeinsam eingeladen. Am Freitag soll es ein erstes Sondierungsgespräch zwischen den Projektträgern und Vertretern der Gegner geben. Darunter auch Gangolf Stocker von der Initiative "Leben in Stuttgart". Er betonte auf der Kundgebung allerdings: "Ab Montag möchte ich keine Abrissarbeiten oder sonstwelche Arbeiten auf der Baustelle sehen. Sonst wird das nichts mit Sondierungsgesprächen."

Angesichts des bereits weit abgerissenen Nordflügels sagte Stocker auch: "Wenn der Nordflügel abgerissen ist, ist der neue Bahnhof mitnichten gebaut. Wir werden diesen Park und den Südflügel verbissen schützen." Dafür hatten bereits vor der Demonstration Aktivisten der Umweltgruppe Robin Wood zwei Bäume im Schlossgarten besetzt, die wegen des Projekts gefällt werden sollen, und ein "Widerstandsbaumhaus" gebaut. "Die Bäume des Schlossgartens sind, genauso wie der Nordflügel des Bahnhofs, zum Symbol geworden für alles, was durch Stuttgart 21 zerstört werden soll", sagte ein Baumbesetzer.

Unterdessen hat die Landesvorsitzende der baden-württembergischen Grünen, Silke Krebs, angekündigt, ihre Partei werde nicht mit dem Versprechen in den Landtagswahlkampf im März nächsten Jahres gehen, Stuttgart 21 noch zu stoppen. "Ich sage ganz offen: Das können und werden wir auch nicht versprechen", erklärte Krebs am Freitag im Südwestrundfunk. Die Grünen seien nach wie vor gegen das Projekt. Man könne lediglich nicht versprechen, dass ein Stopp auch nach der Landtagswahl gelinge.

Für das vorgesehene Sondierungsgespräch am Freitag haben indes beide Seiten ihre Teilnehmer benannt. Die Befürworter werden vertreten durch Ministerpräsident Mappus, Landesverkehrsministerin Tanja Gönner (CDU), Bahnchef Rüdiger Grube, Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) sowie Projektsprecher Wolfgang Drexler und Städtetagpräsident Ivo Gönner (beide SPD). Die Gegner nannten die Grünen Kretschmann und die verkehrspolitischen Sprecher Werner Wölfle (Landtagsfraktion) und Winfried Hermann (Bundestagsfraktion). Zudem nehmen für das Aktionsbündnis neben Stocker auch Gerhard Pfeifer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) teil, Klaus Arnoldi vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), Sabine Lacher vom Fahrgastverband Pro Bahn und ein noch nicht bestimmter Vertreter der so genannten Parkschützer.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.