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Wie sich die SPD „kümmert“Hausaufgaben für Arme

Schulsenator Ties Rabe (SPD) fordert, dass bildungsferne Schüler mehr Aufgaben für den Nachmittag bekommen. Der Vorstoß beißt sich mit der Ganztagsschule.

Viel SchülerInnen sitzen nach der Schule nach zwei Stunden an den Hausaufgaben Foto: dpa

Hamburg taz | Schulsenator Ties Rabe (SPD) liebt Überraschungen. So wie nun zum Schulstart. „Senator: Lehrer sollen Schülern mehr Hausaufgaben aufgeben“, titelte jüngst das Hamburger Abendblatt. Wörtlich sagte Rabe: „Mich wundert, dass Hausaufgaben aus der Mode gekommen sein sollen. Wir haben das doch früher auch gemacht.“ Seine Behörde arbeite an einer klaren Regelung dazu.

Böse Zungen sagen, der Senator widerspreche sich. Es ist kaum vier Jahre her, da verfügte Rabe selbst eine „Richtlinie“ zur Hausaufgabenbegrenzung am Gymnasium. Die Aufgaben sollten täglich nur eine Stunde dauern. Diese Obergrenze für Hausaufgaben habe es in Hamburg viele Jahre gegeben. „An diese vernünftige Tradition knüpfen wir an“, sagte er im Juni 2014.

Damals gab es große Kritik am Schulstress und die Volks­iniative „G 9 jetzt!“ zur Abschaffung des Turbo-Abiturs saß Rabe im Nacken. Die taz fragte aktuell nach, ob Rabe diese Richtlinie wieder kippen will. Als Antwort gab es nur ein allgemeines Statement. Zur Frage, ob und welche Richtlinie verändert wird, „können wir noch nichts sagen“, sagt Rabes Sprecher Michael Reichmann.

Aber die Gymnasialeltern brauchen sich nicht aufzuregen. Sie werden von Rabe gelobt. „Bildungsnahe Eltern kümmern sich am Nachmittag sehr wohl darum, wie der Bildungsverlauf ihrer Sprösslinge ist. Mal über die Schulter gucken, sich Hefte zeigen lassen und mit den Kindern darüber reden. Auch ohne Hausaufgaben sorgen diese Eltern dafür, dass ihre Kinder auf den richtigen Weg kommen.“

Im Visier hat Rabe die sogenannten Bildungsfernen. „30 bis 40 Prozent der Schüler haben solche Elternhäuser nicht. Wenn eine Schule keine Schulaufgaben aufgibt, dann machen diese Kinder am Nachmittag nichts für die Schule“, sagte er dem Abendblatt. Und der taz diktierte er: „Ich sehe mit Sorge, dass immer mehr Schulen die Schulaufgaben einschränken oder komplett abschaffen. Ich finde das nicht richtig.“ Er sei überzeugt, dass Schüler besser lernen, wenn sie am Nachmittag das Gelernte wiederholen und üben „oder Literatur lesen und dabei zugleich selbstständiges Arbeiten lernen“. Das sei gerade für Kinder aus bildungsfernen Familien wichtig.

Ganztagsschulen sollten Hausaufgaben überflüssig machen

Was der Schulsenator zunächst außer Acht ließ, ist die Tatsache, dass Hamburg ab der 5. Klasse quasi flächendeckend auch an den Stadtteilschulen die Ganztagsschule eingeführt hat. Und die sieht von der Theorie her vor, dass die Schule zwar länger geht, dafür aber die Hausaufgaben entfallen, weil Übungsphasen in den Schultag integriert sind. Denn Hausaufgaben gelten als einer der Gründe sozialer Benachteiligung schlechthin.

Der Senator hat keine Ahnung. Die Kinder kommen um 16.30 Uhr nach Hause und müssen bis 19 Uhr büffeln

Maik Findeisen, Vater

Dazu gefragt, erklärt Rabe, die „Schulaufgaben“ könnten auch im Rahmen der Ganztagsschule erledigt werden. Er wünscht sich eine Diskussion über Ober- und Untergrenzen. Rabe: „Ich finde für Grundschüler 20 Minuten und für Jugendliche 30 Minuten am Tag ein vernünftiges Maß.“

Maik Findeisen ist Vater eines Stadtteilschülers und empört. „Der Senator hat keine Ahnung, wie die Realität aussieht.“ Schon heute müssten die Kinder nicht 30 Minuten, sondern über zwei Stunden zu Hause büffeln. „Die Kinder stehen um 6.30 Uhr auf, gehen um 8 Uhr in die Schule, kommen um 16.30 Uhr nach Hause und müssen trotzdem noch bis 19 Uhr Schulaufgaben machen und für Klassenarbeiten üben.“ Freizeit bleibe da keine, „nur noch kurz Daddeln auf dem Smartphone. Das ist heute das Leben der Kinder.“

Nachhilfe-Angebote der Schulen nicht effektiv

An der Grundschule sei es „noch okay“, ergänzt Jeff Wehde. Doch auch an der Stadtteilschule müssten die Eltern jetzt schon ran, notfalls privat Lernhilfe bezahlen, sagt der dreifache Vater. „Wenn die Kinder sich nicht nach der Schule hinsetzen, kommen sie nicht mit.“ Die Nachhilfe, die die Ganztagsschule biete, sei nicht effektiv. „Die Gruppen sind viel zu groß.“ Wenn Rabe noch mehr Druck mache, sei das falsch. „Er hat nicht im Blick, wie der Tag eines Kindes aussieht“, sagt Wehde.

„Wer den Druck erhöht, produziert Kinder, die völlig überfordert sind“, sagt auch der Schulforscher Ulrich Vieluf. An einer guten Ganztagsschule würden „unterrichtsergänzende Lernaufgaben“ in den Alltag integriert. „Die Schüler, um die es hier geht, brauchen eher mehr Begleitung, um die Sachen zu verstehen“, gibt auch die GEW-Chefin Anja Bensinger-Stolze zu bedenken. Mehr Druck führe eher dazu, „dass sie keine Lust mehr haben“. Ihre Vorgängerin Sigrid Strauß warnt vor einer „Pädagogik für die Armen“.

„Der Senator kritisiert im Prinzip sein eigenes Programm“, folgert Schulpolitikerin Sabine Boeddingaus (Die Linke). Für sie sind Hausaufgaben einen „Angriff auf den häuslichen Frieden“ und Rabes Obergrenze von 30 Minuten ein Witz. „Ein Kind, das kaputt aus der Schule kommt, guckt erst mal 30 Minuten in die Luft.“

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2 Kommentare

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  • Die Schüler und Schülerinnen sollen theoretisch in den Lernzeiten üben und ihre Aufgaben machen. Wer schon mal in einer Lernzeit hospitiert hat, weiß dass es nicht geht.

    Hausaufgaben erscheinen da natürlich logisch, aber: Viele Kinder sind nach den langen Tagen in der Schule KO. Dazu kommen noch Termine bei Sportvereinen und Ähnliches.

    Außerdem müssen viele Schüler und Schülerinnen für Arbeiten lernen, Vokabeln lernen und solche Dinge. Die späten Nachmittage und Wochenenden sind also oftmals gar nicht frei.

    Ties Rabe macht einen Fehler, überhaupt solche Statements abzusondern.

    Und wenn es wirklich schon 30 bis 40 Prozent der Eltern sind, die bildungsfern sind, was ich bezweifele, dann müsste den Kindern ganz anders geholfen werdne und zwar zuerst in der Schule durch die Lehrer.

    So wie Rabe das hier vorgetragen hat, würde er die Auslese, die Beurteilungen massiv verstärken - zu Lasten dieser Kinder aus vermeidlichen bildungsfernen Elternhäusern.

    Der Punkt ist doch, dass dort die Ressourcen fehlen. Diese Kinder sind noch frustrierter, wenn sie alleine zuhause lernen müssen. Und wenn sie nicht wollen, wenn sie sich verweigern, ändern Hausaufgaben daran sowieso nichts, außer dass es dann noch konfliktreicher wird.

    = Viel Gerede um Nix.

    Aber es geht mal wieder gegen die 'bildungsfernen' Eltern. Wahrscheinlich sollen die als schuldige benannt werden, wenn neue PISA-Ergebnisse belegen, dass Stadtteilschüler in der 8. Klasse null Physik und Chemie gelernt haben. Rabe ist dann eben nicht zuständig.

  • Wenn ich da zurück denke: gelernt habe ich immer nur dann, wenn mich ein Thema interessiert hat und zwar freiwillig und das auch stundenlang. Wenn es mich nicht interessiert hat und auch die Lehrer nicht in der Lage waren das Interesse zu wecken, haben auch Hausaufgaben daran "nichts" geändert.

    Tatsächlich habe ich Hausaufgaben immer als Zeitverschwendung empfunden, boten doch diese Aufgaben nur sehr starre Möglichkeiten, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen. Viele haben dann einfach nur kurz vor knapp alles auswendig gelernt und nach der Klausur direkt alles vergessen.

    Dabei ist es ja durchaus richtig, dass Wiederholung beim Lernen nutzt, nur dann muss auch grundlegend irgendeine Form von Motivation da sein, und Angst vor einer schlechten Note ist eben einfach mal kein Motivator irgendetwas zu behalten, sondern wirkt sich nachhaltig aus... in meinem Fall mit langfristigen schweren Depressionen..