piwik no script img

Wie geht es der Ostsee, Herr Greinert?

Öl, Dünger, Klimawandel – die Ostsee muss viel aushalten. Zumindest für die Tonnen an giftigem Bombenschrott auf ihrem Grund hat Meeresgeologe Jens Greinert eine Lösung

Eine Fontäne steigt auf, als vor der Ostseeinsel Rügen eine Flieger­bombe gesprengt wird Foto: Frank Hormann/ap

Interview Julia Völcker

taz: Herr Greinert, was empfinden Sie, wenn Sie in diesen Tagen über die weite Ostsee schauen?

Jens Greinert: Kürzlich war ich mit einem Team auf der Ostsee bei Rügen, nördlich von Fehmarn und noch weiter im Westen unterwegs. Zur Erforschung von Algen. Dort habe ich gesehen, wie massiv befahren die Ostsee ist. Nordöstlich der Mecklenburger Bucht befindet sich die sogenannte Kadetrinne, die ist tief. Und dann der Nördliche Fehmarnbelt, da müssen alle Schiffe durch, so ein kleines Nadelöhr. Dort fahren riesige Containerschiffe, da ist richtig viel Verkehr, so wie auf einer Autobahn. Und über Wasser werden immer mehr Windparks gebaut. Also diese verklärte Idee von der Ostsee, von Freiheit, Ruhe und einem dahin dümpelnden Segelboot, das ist leider nicht mehr so.

taz: Wenn wir von der Ostsee sprechen, müssen wir also auch über Probleme reden. Wo liegen die genau?

Greinert: Die Ostsee ist immensen, unterschiedlichen Einflussfaktoren ausgesetzt, die von außen auf sie eindringen. Dieser immense Schiffsverkehr ist das eine, der verliert ab und zu ein wenig Öl. Die Schiffe machen auch unheimlich viel Lärm. Wenn man den Kopf unter Wasser hält, hört man das Gewummer. Und dann ist da der Klimawandel – die Ostsee ist einfach zu warm geworden. Fische und Meere mögen es aber kalt. Auch der Stickstoffeintrag in die Meere durch Dünger und Gülle tut den Meeren nicht gut, da es am Boden relativ schnell an Sauerstoff fehlt. Fische, Muscheln oder Seegras können dort dann nicht mehr leben. Zusätzlich gibt es noch andere schädliche Einträge wie Medikamentenrückstände aus dem Abwasser oder Mikroplastik, eingebracht über Flüsse und die Atmosphäre, die der Ostsee zusetzen.

taz: Dabei ist das Meer für viele ein Sehnsuchtsort, der Urlaub an der See oft Höhepunkt des Jahres. Warum schützen wir nicht stärker, was wir lieben?

Greinert: Ich glaube, dass es immer noch viel Unwissenheit gibt. Die Leute haben von Mikroplastik gehört, aber können diese Umwelt­pro­ble­matik nur sehr schwer fassen. Wenn man das Problem dann erklären will, ist man nicht in drei Minuten fertig. Das sind komplexe Themen. Der Wille aber, sich damit auseinanderzusetzen, unbequeme Informationen aufzunehmen und daraus Konsequenzen für das eigene Tun zu ziehen, ist leider begrenzt. Man muss den Kopf anstrengen, der Mensch tendiert aber zu schnellen und vermeintlich einfachen Lösungen.

taz: Eines Ihrer Spezialgebiete ist das Bergen von Kriegsmunition. In der deutschen Ost- und Nordsee wurden nach 1945 circa 1,6 Millionen Tonnen Munition und Tausende Tonnen chemische Kampfstoffe versenkt. Warum muss man die bergen?

Greinert: Wenn ein Offshore-Windpark oder eine Kabeltrasse gebaut wird, muss sehr viel Sediment bewegt werden. Da möchte man sicherstellen, dass nicht aus Versehen eine Bombe explodiert.

taz: Beim Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung entwickeln Sie in Pilotprojekten Lösungen zur Munitionsbergung. Wie läuft so eine Räumung ab?

Greinert: Zunächst wird mit hydroakustischen oder auch magnetischen Systemen geschaut, ob auf und im Meeresboden metallische Objekte liegen. Im Fall von Altmunition wird untersucht, ob sie so fragil ist, dass Explosionsgefahr beim Bergen besteht. Falls dies der Fall ist, taucht jemand runter und bringt eine Sprengladung an, dann wird gezielt gesprengt. Wenn die Munition handhabbar ist, wird sie von einem Taucher an eine Leine gehängt, an Bord gehoben und an Land dem Kampfmittelräumdienst des jeweiligen Bundeslandes übergeben.

taz: Und nun testen Sie und Ihr Team eine ganz neue Technologie. Was zeichnet die aus?

Greinert: Wenn ganze Munitionsversenkungsgebiete, so wie in der Lübecker Bucht geräumt werden sollen, in denen die Munition wie beim Mikado quer durcheinander liegt, dann ist es besser, das mit einer unbemannten schwimmenden Plattform zu machen, die nach unten greift. Zuerst wird analysiert, um was für eine Munition es sich handelt, dann testen wir mit welchen Greifwerkzeugen man die Objekte am sichersten und effektivsten anfassen kann, etwa ob man sie verpacken muss, um sie zu heben. Unter Wasser wird die Munition vorsortiert und anschließend zu einer Vernichtungsplattform an Land oder auf dem Wasser transportiert. Bei dieser neuen Bergungsmethode geht es um Geschwindigkeit, so dass nicht nur eine Bombe pro Tag geborgen wird, sondern idealerweise 20. Und Kampfmittelräumfirmen erforschen derzeit auch die fließbandähnliche Zerlegung von Altmunition.

taz: Von welcher Art Kriegsschrott sprechen wir da eigentlich in der Lübecker Bucht?

Foto: Geomar

Jens Greinert arbeitet als Meeresgeologe am Helmholtz-Zen­trum für Ozeanforschung Kiel und leitet dort eine Arbeitsgruppe zur Tiefsee-Überwachung und Meeresboden-Kartierung.

Greinert: Bei der Munition handelt es sich um Sprengköpfe und fliegende Bomben vom Typ Fieseler Fi 103, der ersten von Nazideutschland entwickelten serienreifen Marschflugwaffe im Zweiten Weltkrieg. Das war die Vergeltungswaffe Nummer eins, der Vorgänger der V2-Rakete.

taz: Und diese Munition wurde dann nach 1945 im Auftrag der Briten in der Ostsee versenkt?

Greinert: Genau. Während der Demilitarisierung Deutschlands durch die Alliierten kam man zu dem Schluss, die Munition ins Meer zu schmeißen. Aus heutiger Sicht ist es natürlich einfach zu sagen, dass das eine ziemlich blöde Idee war. Aber nach Kriegsende 1945 war die Situation eine ganz andere. Die Alliierten hatten einfach keine Lust darauf, dass Deutschland noch einen Partisanenkrieg führt.

taz: Warum startet Ihr Pilotprojekt mit den ­F-103-Sprengköpfen in der Lübecker Bucht?

Greinert: Weil dieser Munitionstyp die derzeitig größte chemische Belastung für die deutsche Ostsee darstellt. Dort liegen mehrere 100 von diesen Sprengköpfen. Man muss sich die Geschosse wie ein Fass von ungefähr 1,40 Meter Höhe und 70 Zentimeter Durchmesser vorstellen, gefüllt mit bis zu einer Tonne Sprengstoff pro Fass. Diese Fässer haben, weil sie fliegen sollten, eine ganz dünne Wandstärke und rosten deswegen relativ schnell durch. Sie haben da also eine Tonne Sprengstoff im Wasser liegen, die sich wie ein Stückchen Würfelzucker im Tee langsam auflöst.

Die Alliierten hatten einfach keine Lust darauf, dass Deutschland noch einen Partisanenkrieg führt

taz: Erst 2024 hat das Bundesumweltministerium ein Sofortprogramm zur Räumung aufgelegt. Warum so spät?

Greinert: Weil niemand verantwortlich sein wollte. Auch wusste man lange nicht, wo genau auf dem Meeresboden die Munition liegt und wie eine großangelegte Räumung von Versenkungsgebieten funktionieren könnte. Um die Neunzigerjahre kam dann die Frage auf, ob die Altmunition pro­ble­ma­tisch für die Umwelt sein könnte. Wasserproben wurden analysiert, einen Handlungsbedarf sah man dennoch nicht, was auch an der Messgenauigkeit der Instrumente lag. Vor etwa zehn Jahren kam das Umweltministerium Schleswig-Holstein auf unser Institut zu, und wir begannen Wasser auf sprengstofftypische Substanzen hin zu analysieren. Toxikologen vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein analysierten zudem Muscheln und Fische und stellten fest, dass die Fauna nachweisbar TNT aufnimmt.

taz: Warum ist das ein Problem?

Greinert: Diese Sprengstoffe sind krebserregend und genschädigend. Inzwischen wissen wir, dass diese sprengstofftypischen Verbindungen auch im Ostseefisch vorkommen. Laut toxikologischen Berechnungen ist diese Konzentration an TNT für den Menschen noch unbedenklich. Das kann sich lokal aber auch ändern.

taz: Wie lange würde es dauern, bis die Ostsee geräumt ist?

Greinert: Wenn Geld keine Rolle spielt und wir die Munition rund um die Uhr wegräumen würden, dann könnten wir die auf dem Sediment sichtbar liegende Munition in der deutschen Ostsee bis 2040 bergen.

taz: Spätestens seit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine ist die Ostsee wieder im Fokus internationaler Machtinteressen. 2022 wurden die Nordstream-Pipelines vor Bornholm gesprengt. Seit fast einem Jahr liegt der Öltanker „Eventin“ der russischen Schattenflotte vor Rügen, beladen mit 100.000 Tonnen Rohöl. Wo sehen Sie aktuell die größten Gefahren?

Greinert: Ich finde Russlands und auch Chinas Provokationen, wie das Zerstören von Infrastruktur, sehr gefährlich. Das kann auf kleiner Ebene schon mal eskalieren. Etwa wenn ein Schiff wiederholt seinen Anker runterlässt, um ein Datenkabel zwischen Finnland und Estland zu stören. Vielleicht verliert dann doch mal jemand die Nerven und schießt. Dass demnächst ein großer Krieg ausbricht, glaube ich aber nicht. Aber möglich wäre auch, dass so ein grottiger Tanker der russischen Schattenflotte, der ohne AIS-Signal fährt, mit einem anderen Schiff kollidiert. Dann hat man einen dicken Ölteppich in der Ostsee. Das geht schnell.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen