Wie die Uefa JournalistInnen erzieht: Der erste Akteneintrag

Ständig muss man als Journalistin bei einer EM an alles denken, an Reisepass, Schlüssel, Portemonnaie, Akkreditierung. Und wehe, man vergisst etwas.

Uefa-Schalter für Journalisten im Stadion

Fußballbürokratie: Uefa-Bedienstete kontrollieren hier beispielsweise Akkreditierungsausweise Foto: ActionPictures/imago

Ich bin kürzlich von der Uefa verwarnt worden. Straffällig in Fußballland. Das kam so: Als Pressevertreterin muss ich vorher angeben, welche Spiele ich besuchen will. Das heißt, man bittet bei jedem Spiel gnädigst, berichten zu dürfen. Die Uefa hebt oder senkt den Daumen. Eine Erlaubnis hatte ich für Ungarn-Frankreich. Ich bin aber noch gar nicht in Budapest, und ich hatte, weil diese Prozedur Monate her ist, völlig vergessen, abzusagen. Eine verächtliche Mail schreibt die Uefa. Dass sich das nicht gehöre „als Profi und aus Respekt vor den Kollegen“. Dass es „negative Auswirkungen“ haben werde für meine Akkreditierungen und weitere Events.

Was genau für Auswirkungen, das steht da natürlich nicht. Nur noch dieser Satz: „Das Nicht-Auftauchen wurde in Ihre Akte eingetragen.“ Besser hätte es die Stasi nicht formulieren können. Weist man mich nun beim Finale triumphierend vor der Tür ab? Ist man verdammt in alle Ewigkeit? Es tut mir wirklich furchtbar leid, das vergessen zu haben.

Solche Turniere sind, muss man wissen, für chaotische Menschen schwer. Die Uefa weiß ja gar nicht, wie schwer. Ständig muss man an alles denken, an Reisepass, Schlüssel, Portemonnaie, Akkreditierung. Wie ein tibetischer Mönch wiederhole ich bei jedem Ortswechsel im Kopf diese Unerlässlichkeiten. Deadlines, Buchungen, Akkreditierungen sind tägliche Stolperfallen.

Bei dieser Covid-EM ist es aber damit nicht getan. Jedes Land verlangt eine unübersichtliche Liste an Formularen, Einreiseanfragen, PCR-Test. All das muss man schon Tage vor jedem Flug organisieren, ich teste quasi in Dauerschleife. Wer denkt sich so was aus? Die Tatsache, dass ich in zig Städten mit hustenden MitbürgerInnen in Testzentren stehe, ist wahrscheinlich der sicherste Weg, Covid überhaupt erst zu kriegen, aber was weiß denn ich.

Den meisten Teil des Alltags versuchen wir Chaosprinzen und Chaosprinzessinnen, nicht aufzufallen. So wie NichtschwimmerInnen im Pool, man legt sich lässig auf die Luftmatratze. Großturniere sind aber Titanic, nicht Pool. Schwimm oder finde die Holzplanke. Es ist schon vorher völlig klar, dass es unmöglich wird, nichts zu vergessen. Also versuche ich gezielt, Unwichtiges zu vergessen. Bei der letzten Frauen-WM habe ich drei Mal mein Badezimmerzeugs verloren. Ich habe es nachgekauft und das Nachgekaufte wieder verloren. Das funktionierte super, alles Wichtige überstand das Turnier in meinen schützenden Armen.

Ich überlege, ob ich all das der Uefa erzählen soll. Ob da wohl ein Chaosprinz am anderen Ende sitzt, der wissend nickt, solidarisch lächelt und meinen Aktenvermerk streicht. Ich entscheide mich dagegen. Ich schreibe in unterwürfigstem Ton, dass es mir furchtbar leid tue, dass es mein erstes großes Männerturnier sei, und das komme – versprochen – nie wieder vor. Ich bin eigentlich recht zufrieden. Eine Minute später kommt eine automatisierte Mail zurück. Dieser Kanal sei nicht besetzt. Und nochmal für Blöde: Meine Nachricht lese niemand.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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