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■ Wider den rheinischen Frohsinn?Die Funktionen des Karnevals

Es ist wieder soweit: Die letzten tollen Tage stehen vor der Tür. Von Rosenmontag bis Aschermittwoch wird vor allem am Rhein gefeiert, was die Magenwände halten. Die sozialen Schranken werden tiefer gehängt, alles drängelt sich in Kamelle- und Strüssje-Seligkeit auf der Straße. Wie Ruud Lubbers, diesjähriger Träger des Ordens wider den tierischen Ernst, meint: Alle sind gleich im Karneval, und das ist das Schöne daran.

Lubbers schießt glatt daneben. Karneval ist eine Ventilsitte und erfüllt offensichtlich menschliche Grundbedürfnisse. Allerdings nicht solche der Gleichheit, sondern der Amüsierlust. Wie kaum ein anderes Brauchtum hat er eine Überlebenskraft bewiesen, die fast allen Widrigkeiten trotzte. Heidnische und abergläubische Praktiken vermischten sich mit christlichen Umzügen des Mittelalters, die der Fastenzeit vorausgingen. Auch soziale und politische Emanzipationsbestrebungen verbanden sich stets mühelos mit dem Treiben der „fünften Jahreszeit“. Heute stehen dementsprechend zeitgemäße, marktwirtschaftliche Elemente im Vordergrund. Die schwäbisch-alemannische Fastnacht gerät mehr und mehr zur folkloristischen Brauchtumsvorführung in den Händen des Fremdenverkehrsvereins. Und der Fernsehgenuß des großstädtischen Karnevals im Rheinland ist ein Ereignis, dem sich auch Wohlmeinende kaum noch aussetzen mögen.

Die tiefe Verwurzelung der ländlichen Fastnacht in der Volkskultur stammt aus seiner Vermischung mit den vorchristlichen Frühlingsritualen. Mündlich überlieferte Bräuche sollten eine gute Ernte garantieren. Allgemein galt: Was man in der Fastnachtszeit sät, geht besonders gut auf. Viele Gewohnheiten trifft man heute noch an: Mit großen Feuern werden die bösen Mächte vertrieben, das eigene Haus wird gründlich gereinigt, wobei die Magd den Kehrricht heimlich beim Nachbarn ablädt. Auch die Tiere wurden bedacht: Rindern schüttete man Branntwein ins Ohr, um Mißbildungen der Hufe vorzubeugen. Die Hühner fraßen Fastnachtskraut, damit sie dem Geier nicht schmeckten. – Übermäßiges Essen war geradezu Pflicht. Im Odenwald reichte man Menus von sieben bis neun Gängen. Unter allen Umständen mußte Fleisch, bevorzugt Schweinernes, dabei sein. Aß man dagegen Suppe, troff einem das ganze Jahr die Nase. Nach dem Essen ging's in den Wald Zähne blecken, gab es Buchnüsse. –Trotz dieser hartnäckigen abergläubischen Überbleibsel erfüllte der Karneval auch in der christlich- mittelalterlichen Welt eine wichtige Funktion. Die Kirche unterstützte, ja organisierte und finanzierte das tolle Treiben. In der „verkehrten Welt“ konnte sich jeder für eine begrenzte Zeit austoben. Den Erschöpften wurden anschließend in der beginnenden Fastenzeit die Vorteile der normalen, göttlichen Ordnung wie von selbst klar. Wie sehr man sich von fleischlichen Lastern gereinigt hat, erfährt man meist nur im nachhinein. Getragen von den Handwerkerzünften, konnten die Umzüge mitunter auch in sozialrevolutionäre Unruhen umschlagen. Oft verboten die Magistrate, es im nächsten Jahr wieder so schlimm zu treiben.

Die Entstehung der Konfessionen war bis jetzt der einzige Vorgang, der der Verbreitung des Karnevals ernsthaften Schaden zufügte. Im Norden der deutschen Lande verschwand er weitgehend unter der protestantischen Kirchenzucht. Sie gestattete nicht, daß die Fastnacht weiterhin eine Faßnacht war und das Leiden Christi verspottete. Heute ist sie nur noch in katholischen Landschaften vertreten.

Aber auch der rheinisch-großstädtische Sitzungskarneval, wie er erst im 19. Jahrhundert entstand, integrierte mühelos moderne Bewegungen. Die Määnzer Fassenacht weist schon äußerlich auf ihren politischen Ursprung hin. Die Narrenkappen des Elferrats, kaum zu glauben aber wahr, sind stilisierte Jakobinermützen. Unter dem Schutz der Narretei traten hier im Vormärz beleibte Männer – Körperfülle war Beitrittsvoraussetzung – für eine konstitutionelle Monarchie ein. Der Narrenstaat, geführt vom Elferrat unter dem Vorsitz von Prinz Carneval, spiegelte in idealer Weise die Verfassungswünsche der Freiheitskämpfer wider.

Karneval wurde schnell auch zu einem farbenfrohen Ausdruck bürgerlichen Selbstbewußtseins. Das Kölner Dreigestirn zeigt dies deutlich: Seine Deftigkeit der Bauer und Ihre Lieblichkeit die Jungfrau (stets dargestellt von einem Mann) sind Figuren des alten Wappens der Freien Reichsstadt Köln, die heute in den Büttensitzungen zusammen mit Seiner Tollität Prinz Carneval auf die Schenkel klopfen. Der Rat der Stadt und die führenden Persönlichkeiten Kölns sorgen gemeinsam für die Fortsetzung des Spektakels. Die Propaganda der Nationalsozialisten ließ ein solch gelenkiges Instrument, als das sich der Karneval erweist, ebenfalls nicht aus. Unermüdlich betonte sie die heidnisch- germanischen Ursprünge der Festlichkeiten, um die Identitätsfindung der „nordischen Rasse“ zu inszenieren.

Von politischer Brisanz ist dem heutigen Karneval nur wenig geblieben. Er ist das Betätigungsfeld konsensbewußter „Narren“, die harmlose Witzchen über ihresgleichen reißen. Das schlägt leider zumeist auch auf die Qualität des Humors. In Köln werden sie Rosenmontag wieder Kohls mit Saumägen und Genschers mit riesigen Ohren durch die Straßen fahren. Wie limitiert hierbei das Humorverständnis ist, wurde dieses Jahr sogar gerichtlich festgelegt: auf der alternativen Kölner „Stunksitzung“ wurde eine Darstellung des Gekreuzigten mit der Betitelung „Tünnes“ konfisziert (die Wahrheit berichtete am 11.2.). Es sind also wirklich nicht alle gleich, wie Ruud Lubbers ordensträchtig verspricht. Gleich sind nur die mit gleichem Humor. Aber egal: Man sollte den Karneval nicht einfach abschreiben, sondern sich mehr seiner Vergangenheit erinnern. Teilhaben, „Stunk“ machen, kann nur die Losung sein. Nehmt den Leuten die schlechten Witze weg! Bevor es andere tun. Ulrich Hinz

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