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Wichtige Leute 2025Hetzkampagne, ACAB, Wahlsieg und Knast

Die einen machen Politik, die anderen leiden unter ihr. Ein Blick auf das Jahr von Frauke Brosius-Gersdorf, Jette Nietzard, Zohran Mamdani und Maja T.

In New York wird das Jahr 2026 begrüßt, Hoffnung bringt der neuen Bürgermeister Zohran Mamdani Foto: UPI Photo/imago

Frauke Brosius-Gersdorf wurde Ziel einer Hetzkampagne

Eines schönen Tages im Juli hätte man meinen können, eine kindermordende Kommunistin stehe kurz davor, das Bundesverfassungsgericht zu übernehmen. Eine „Ultra-Linke und Abtreibungsaktivistin“ sei als Kandidatin für das höchste deutsche Gericht vorgesehen, zeigte sich etwa ein Portal der sogenannten Lebensschutzszene entsetzt. Die SPD, sonst nicht gerade Hort des Radikalismus, sei dabei, „einen links-grünen Putsch durchzuführen und aus dem Bundesverfassungsgericht eine Zelle linker Agitation zu machen“.

So und ähnlich klangen ungezählte groteske Aufrufe gegen die „Richterin des Grauens“ Frauke Brosius-Gersdorf – so nannte sie etwa das rechte Portal Nius. Begleitet wurde die Kampagne von Falschmeldungen wie der, die Rechtswissenschaftlerin der Universität Potsdam befürworte Abtreibungen bis kurz vor der Geburt.

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Was war passiert? Drei Stellen im Bundesverfassungsgericht sollten neu besetzt werden, die Koalitionsparteien hatten wie üblich das informelle Vorschlagsrecht inne. Der Richterwahlausschuss des Bundestags nominierte die 54-Jährige Verfassungsrechtlerin. Doch kurz vor der Wahl kündigten Mitglieder der Unionsfraktion an, ihr die Zustimmung zu verweigern.

Kampagnenartig waren die Mailboxen der Abgeordneten von rechten und rechtsklerikalen Kreisen geflutet worden, die gegen Brosius-Gersdorf mobil machten. Der Kulturkampf zeigte Wirkung und machte in Form einer beispiellos polarisierten Debatte klar, welchen Einfluss eine radikale rechte Szene mithilfe sozialer Medien derzeit im politischen Raum entfalten kann – und das mit bewusst gestreuten Falschinformationen.

Frauke Brosius-Gersdorf stellt den Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vor Foto: Britta Pedersen/dpa

2023 war Brosius-Gersdorf Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ gewesen. Die hatte auf ein rechtsdogmatisches Dilemma der deutschen Verfassung hingewiesen: Wenn Menschenwürde unabwägbar ist, wäre ein Schwangerschaftsabbruch in keinem Fall gerechtfertigt – auch dann nicht, wenn die Schwangere sonst stirbt. Die Expert*innen wägen also die Grundrechte der Schwangeren und die des Embryos ab – und kommen zum Schluss, dass ein Abbruch je eher zulässig sei, desto kürzer die Schwangerschaft bestehe.

Zwar stellte sich die SPD hinter ihre Kandidatin. Unterstützung kam neben Medien, die nach journalistischen Standards arbeiten, auch aus juristischen Kreisen, die den Angriff auf die „hoch angesehene Staatsrechtlerin“ als einen auf die Wissenschaftsfreiheit generell betrachteten. Der Umgang mit Brosius-Gersdorf, so die Jurist*innen, sei geeignet, „die gesamte demokratische Ordnung zu beschädigen“.

Doch die Unionsfraktion zeigte sich von alldem unbeeindruckt. Weil sie nicht mehr mit einer erfolgreichen Wahl rechnen konnte, zog Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur Anfang August zurück. Patricia Hecht

Jette Nietzard stolperte als Bundessprecherin der Grünen Jugend über ACAB

Jette Nietzard möchte es wieder tun. In einem Tiktok-Video bittet sie um Vorschläge: Für dieses Silvester brauche sie einen Tweet wie den von 2024, nur noch geiler. Der Shitstorm des letzten Jahreswechsels schreckt sie nicht ab, er spornt sie an – und diesmal kann ihr die Partei nicht in den Arm fallen. „Auch wenn ich den Tweet damals löschen musste: Bis heute stehe ich dazu“, bekannte Nietzard erst vor wenigen Wochen in einem anderen Clip.

„Männer, die ihre Hand beim Böllern verlieren, können zumindest keine Frauen mehr schlagen“, hatte Nietzard an Silvester 2024 geschrieben. Knapp drei Monate war sie damals als Bundessprecherin der Grünen Jugend im Amt. Der Spruch und die massive Kritik daran, auch aus den eigenen Reihe, brachte ihr zum ersten Mal größere Aufmerksamkeit. Mit weiteren provokanten Posts wiederholte sich das Muster. Am größten war die Aufregung, als Nietzard im Mai in einem Pullover mit dem Kürzel „ACAB“ (kurz für „All Cops Are Bastards“) posierte. Am Ende führte das zu ihrem eigenen Ende: Zur Wiederwahl stellte sich die Berlinerin im Herbst nicht, nach nur einem Jahr räumte sie den Platz an der Spitze der Parteijugend wieder.

Sie hatte zu viel Rückhalt verloren. Nicht nur im Realo-Flügel der Grünen, der ohnehin oft mit Befremden auf die Nachwuchsorganisation blickt. Auch im linken Parteiflügel und in der Grünen Jugend selbst stieß Nietzard zunehmend auf Ablehnung. Wegen ihres Stils an sich, den viele für kontraproduktiv hielten, aber auch wegen ihres Umgangs mit Kritik. Statt mit Selbstreflexion reagierte sie auf Einwände meist mit Gegenangriffen und der Unterstellung: Wer den Ton kritisiert, in dem sie Partnerschafts- oder Polizeigewalt kritisiert, habe mit diesen Problemen kein Problem. Erschwerend hinzu kamen offenbar interne Vorgänge. Der Spiegel berichtete im Oktober, Nietzard habe Andersdenkende in der Grünen Jugend „angeschrien, eingeschüchtert und diffamiert“. In einem Interview mit der Zeit wies sie selbst später Mobbingvorwürfe zurück, sagte aber: „Ich habe meine Aufgabe darin gesehen, zu führen, dem stimmten nicht alle zu.“

Unterm Strich hat Nietzard, die inzwischen für eine Bundestagsabgeordnete der Grünen arbeitet, also ziemlich viel für ihr eigenes Scheitern getan. Aber man kann ihr auch etwas zugutehalten: Erstens übernahm sie bei der Grünen Jugend im Oktober 2024 Verantwortung, nachdem die komplette vorherige Führungsriege über Nacht zurück- und ausgetreten war. Ohne viel Erfahrung und Vorlaufzeit übernahm sie mit 25 Jahren einen Laden, dem fast alle Strukturen weggebrochen waren. Gedankt haben die Grünen ihr das nicht.

Jette Nietzard bei ihrer Verabschiedung beim Bundeskongress der Grünen Jugend im November Foto: Sebastian Willnow/dpa

Zweitens unterwarf sie sich mit ihren umstrittenen Social-Media-Auftritten auch nur einer Medienlogik, die sie nicht selbst geschaffen hat und die Provokation belohnt. Nietzards „ACAB“-Pullover war im Mai tagelang in den Schlagzeilen; in mehreren Interviews bekam sie danach Raum, um ihre Kritik an Rassismus und Grenzüberschreitungen in der Polizei auszubreiten. Im November verabschiedete der Grünen-Parteitag einen Antrag zum selben Thema, der in der Sache genauso deutlich, im Ton aber viel nüchterner war. Dieser Beschluss war den meisten Medien nicht mal eine Randnotiz wert. Tobias Schulze

Zohran Mamdani kämpfte um das Bürgermeisteramt in New York. Er gewann mit populistischer Rhetorik

Ende 2024 kannte kaum jemand den Namen Zohran Mamdani. Auf der Straße erkannten ihn höchstens ein paar Leute im New Yorker Stadtteil Queens, den der damals 33-Jährige als Abgeordneter der Demokraten im Unterhaus des Bundesstaats New York vertrat. Doch Mamdani wollte mehr. Er wollte bei der Bürgermeisterwahl im November 2025 den korrupten Bürgermeister Eric Adams beerben. Doch dafür musste sich der junge Muslim mit Wurzeln in Uganda zunächst bei den Vorwahlen behaupten, und zwar gegen den mächtigen demokratischen Parteiapparat, der den früheren Gouverneur New Yorks, Andrew Cuomo, als Kandidaten auserkoren hatte.

Mamdanis Kampagne begann mit einem Video im November 2024, kurz nach den Wahlen auf Bundesebene, bei denen die Demokraten so bitter verloren hatten. Gefilmt im Stil einer Straßenumfrage, steht der Politiker dabei selbst zunächst nicht im Mittelpunkt. Vielmehr hält er das Mikrofon und lässt enttäuschte New Yorker sprechen, die sich bei den Wahlen von den Demokraten abgekehrt hatten. Die erzählen von den hohen Lebensmittelpreisen, von den steigenden Mieten, von der Unterstützung der Partei für Israels Krieg in Gaza. Erst am Ende löst Mamdani auf: Auch er ist unzufrieden mit der demokratischen Establishment-Politik, und kandidiert deswegen als Bürgermeister.

Es war die richtige Dramaturgie für den unbekannten Mamdani. Und es war die richtige politische Botschaft zum richtigen Zeitpunkt. Angesichts des Vormarschs des Trumpismus und der Ratlosigkeit der alteingesessenen Demokraten sehnten sich nicht nur die New Yorker, sondern auch die Progressiven im ganzen Land nach neuen Gesichtern und einem neuen Programm. Mit vielen Kleinspendern und charismatischen Social-Media-Auftritten gelang es Mamdani, sich auch gegen die großen Geldgeber zu behaupten, die Millionen Dollars in Cuomos Wahlkampf pumpten.

Zohran Mamdani: Auch er ist unzufrieden mit der demokratischen Establishment-Politik Foto: Ron Adar/imago

Die Angriffe, die ihn wegen seiner Palästinasolidarität als Antisemiten brandmarken und von seiner linken Wirtschaftspolitik ablenken sollten, brachten ihm nur weitere Aufmerksamkeit und legten die argumentative Leere seiner Gegner offen.

Das war also der „perfect storm“, der Mamdani den Sieg bescherte. Am 1. Januar, kurz nach Mitternacht, wird er den Eid schwören und somit zum ersten muslimischen Bürgermeister in der Geschichte New Yorks. Dann wird sich zeigen, ob der Wahlkämpfer Mamdani auch regieren kann. Ob es ihm gelingt, trotz notwendiger Kompromisse seine Koalition zusammenzuhalten. Sein viel beachtetes Treffen mit Donald Trump im Weißen Haus im November hat gezeigt: Er muss dabei nicht nur mit den Moderaten in der eigenen Partei, sondern auch mit der zersetzenden MAGA-Truppe in Washington arbeiten. Leon Holly

Die Antifaschist*in Maja T. musste bereits den zweiten Geburtstag im Budapester Gefängnis feiern

Gerade erst feierte Maja T. ihren 25. Geburtstag hinter Gittern und einer blickdichten Plexiglasscheibe im Budapester Gefängnis. Für die nonbinäre Jenaer Antifaschist*in ist es bereits der zweite Geburtstag in Gefangenschaft. Im Umfeld hieß es zuletzt, bedrückt sei T.s Stimmung derzeit. Wegen der Anspannung vor dem Urteil, das am 22. Januar in Ungarn fallen soll und nach Willen der Staatsanwaltschaft bis zu 24 Jahre Haft bedeuten kann.

Maja T. selbst übermittelte der taz einen Ausspruch Gramscis zur eigenen Lage: Solange man den eigenen Glauben und die Sitten bewahre, sei nichts verloren. Man werde Entscheidungen bereuen, ergänzte T. „Aber nicht, dass es einen Tag gab, an dem wir noch eine hatten. Vielleicht bleibt die Entscheidung unsere einzige Hoffnung.“

Im Dezember 2023 war Maja T. in Berlin festgenommen worden – wegen des Vorwurfs, mit deutschen und italienischen Linken im Februar 2023 in Budapest schwere Angriffe auf Rechtsextreme verübt zu haben. Die Neonazis hatten sich zu ihrem alljährlichen „Tag der Ehre“ versammelt, einer NS-Folklore-Veranstaltung. Im Juni 2024 wurde Maja T. nach Ungarn ausgeliefert, in einer nächtlichen Hauruckaktion – rechtswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht feststellte. Weil nicht ausreichend die Haftbedingungen für nonbinäre Menschen in Ungarn geprüft worden waren.

Maja T. während der Fortsetzung des Prozesses Foto: Daniel Alfoldi/ZUMA Press Wire/dpa

Im Februar 2025 bekam Maja T. für die Öffentlichkeit ein Gesicht: Als die Angeklagte – lange Haare, lila Pullover – in Ketten und an einer Leine von Wachleuten in das Budapester Stadtgericht geführt wurde. Es sei ein Prozess, „in dem ich bereits verurteilt bin“, sagte Maja T. dem Richter.

Schon früh in der ungarischen Haft hatte Maja T. in Briefen über Isolationshaft geklagt, über Kakerlaken, fehlendes Tageslicht, schlechtes Essen, tägliche Zellenkontrollen mit der Pflicht, sich zu entkleiden. Im Juni trat T. in einen 40-tägigen Hungerstreik, um eine Rücküberführung nach Deutschland zu erreichen oder zumindest eine Verlegung in einen Hausarrest, wie er in Ungarn möglich ist – ohne Erfolg. Die taz besuchte Maja T. als erstes und bisher einziges Medium in einem Haftkrankenhaus an der Grenze zu Rumänien – wo T. beklagte, von der deutschen Regierung alleingelassen zu werden.

Das Auswärtige Amt beteuerte, sich für bessere Haftbedingungen einzusetzen. Eine Rückholung aber erklärte es für rechtlich nicht möglich. Die könnte erst nach einer Verurteilung erfolgen. Ungarn sicherte zu, dass T. die Haftstrafe auch in Deutschland verbüßen könne.

Die Beweislage ist unklar. Die Staatsanwaltschaft stützt sich auf Bilder von Überwachungskameras, die vermummte Angreifer zeigen – eine Person soll Maja T. sein. Tatortzeugen konnten die Angreifer dagegen nicht identifizieren. An jedem Prozesstag erschienen Unterstützer*innen im Gerichtssaal und zu einer Kundgebung vor dem Gebäude. Für die nächsten Prozesstage im Januar aber untersagte laut Solidaritätskomitee die ungarische Polizei weitere Kundgebungen – weil die „Antifa Ost“ in Ungarn inzwischen als Terrorgruppe eingestuft ist und unter den Unterstützer*innen Mitglieder sein könnten. Das Bündnis kündigte an, den Protest dennoch stattfinden lassen zu wollen – auch am 22. Januar. Konrad Litschko

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