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Wettstreit der radelnden EssenskuriereWer bleibt auf der Strecke?

Pizza war gestern, Gerichte aus Restaurants um die Ecke sind der Renner. Zwei Start-up-Unternehmen liefern sich einen harten Konkurrenzkampf.

Er bringt's brühwarm: Essenskurier in Berlin bei der Arbeit. Foto: dpa

Ein sonniger Mittwochmittag in einer Straße in Prenzlauer Berg. Links lockt eine Litfaßsäule mit dem Spruch „Mein Essen ist in guten Händen“. Rechts eine Straßenlaterne: „Wir liefern, du genießt.“ Die eine Werbung ist türkis und gehört Deliveroo, die andere ist pink und gehört Foodora. Wie auf Knopfdruck lassen sich die ersten Fahrer blicken, die ihre Räder mit türkis- und pinkfarbenen Kisten auf dem Gepäckträger abstellen und nach Klingelknöpfen suchen. Die beiden Start-up-Unternehmen liefern sich derzeit einen harten Konkurrenzkampf. Sie wollen Marktführer werden bei einem neuen Typ von Lieferdienst – in einer edlen Nische für gestresste Großstadteliten.

Wer früher in der Mittagspause zu beschäftigt war oder am Abend zu faul, der bestellte sich sein Essen meist in Form einer günstigen Pizza oder Chinapfanne – oft fettig, matschig, nur noch lau. Deliveroo und Foodora wollen alles anders machen. Sie liefern in den zentralen Bezirken der Stadt und aus den beliebten Restaurants um die Ecke. Bezirke außerhalb des S-Bahn-Rings wie Pankow oder Reinickendorf haben sie noch nicht auf dem Schirm.

Der Unterschied zu Lieferando, Lieferheld oder Pizza.de: Während diese nur die Bestellungen vermitteln und die Restaurants selbst das Essen ausliefern, stellen Deliveroo und Foodora eine Flotte von Fahrern bereit, die das Liefern übernehmen. Man bestellt das Essen per App, bezahlt mit Visa oder Paypal. Im Restaurant blinkt ein Lämpchen, ein Algorithmus ortet den besten oder nächsten Fahrer, der fährt hin, packt das Essen ein und liefert es binnen 30 Minuten. Aber klappt das wirklich? Und selbst wenn, wo schmeckt es besser?

Ein bewölkter Donnerstag in einem Büro in Prenzlauer Berg: Die taz macht die Stichprobe. Auf beiden Portalen gibt es in diesem Kiez um die 50 Restaurants zur Auswahl – von Burger bis vietnamesisch, von Veggie bis gesund. Viele Restaurants erscheinen bei beiden Anbietern. Bei Foodora kann man nach Geschmacksrichtung filtern, bei Deliveroo nach Lieferzeit. Nur bei Deliveroo kann man auch online Trinkgeld zahlen. Beide wollen 2,50 Euro Liefergebühr.

Der Test startet mit Deliveroo: Es soll „Beelitzer Spargel mit neuen Kartoffeln und Sauce Hollandaise“ sein. Kein einfaches Essen, denn die Sauce stockt oft, wenn sie aus der Fertigpackung stammt. Das Restaurant heißt Platzhirsch, setzt auf saisonale Küche und ist schon deshalb bekannt, weil es am Arkonaplatz liegt, wo sonntags Flohmarkt ist. Zu Fuß wäre das Restaurant in 11 Minuten zu erreichen.

Nach 30 Minuten ist der Spargel da. Die Sauce ist cremig, sicher selbst gemacht, der Spargel saftig, an den Kartoffeln verbrennt man sich die Finger. Kostenpunkt: 15,50 Euro – ein stolzer Preis, aber auch ein stolzes Mahl, nach dem man kaum mehr papp sagen kann. Der Müll, der am Ende übrig bleibt, hält sich in Grenzen.

Am nächsten Tag folgt Foodora: Diesmal koreanisch, „Bimbimbob Stop mit Rind“ und „White on Rice mit Hühnchen“ von Fräulein Kimchi, einem angesagten Restaurant aus der Streetfoodszene, das in 13 Minuten zu Fuß zu erreichen ist – aber es regnet.

Emma aus Oslo, seit einem halben Jahr in Berlin, bekommt am Monatsende selten mehr als 700 € raus

Nach 25 Minuten ist das Essen da, der Reis ist heiß, das Gemüse knackig, das Rind zart, das Hühnchen knusprig. Kostenpunkt: Günstige 8,50 für Rind, für Huhn. Man hätte etwas satter werden dürfen. Dafür lassen sich die Kartons, in denen das Essen appetitlich angerichtet war, am Ende so flach wie eine Untertasse falten.

So weit, so wunderbar – aber was ist mit den Fahrern? Entsteht da wie in der Versandbranche ein weiteres Beschäftigungsfeld für Geringverdiener ohne soziale Absicherung?

Die Recherchen der taz ergeben: Die Fahrer von Deliveroo und Foodora sind jung, sie kommen aus aller Herren Länder, und sie sehen ihren Job meist als lustiges, oft auch lästiges Provisorium.

Die Lieferdienste machen ungern genaue Angaben, aber zahlreiche Gespräche mit Fahrern legen nahe: Deliveroo begann vor etwa einem Jahr in Berlin mit weniger als 10 Fahrern, jetzt sind etwa 300 in den Stoßzeiten unterwegs. Bei Foodora sind es schon 450, wie die Pressesprecherin bestätigt.

Ein Klick, und schon wird gekocht. Foto: dpa

Stundenlohn mal so, mal so

Doch auch wenn beide Lieferdienste eine ähnlich große Flotte von Fahrern am Start haben: Die Fahrer bei Deliveroo arbeiten selbstständig, bekommen 7,50 Euro die Stunde und je nach Erfahrung 1, 2 oder 3 Euro pro Lieferung. Hinzu kommt ein Bonus am Abend und am Wochenende – sie können damit bis zu 14 Euro pro Stunde verdienen, so Deliveroo. Die Fahrer bei Foodora sind fest angestellt, bekommen 9 Euro die Stunde plus Bonus am Wochenende. Ein Fahrer berichtet, dass bei Deliveroo häufig Migranten aus Europa landen, während all jene lieber zu Foodora gehen, die einen Arbeitsvertrag brauchen, um ein Visum zu bekommen.

Nehmen wir ein Beispiel: Jack, der Mann, der den Spargel brachte und nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung auftauchen will, steigt alles andere als hektisch von seinem Rad. Der Ire ist 26, lebt seit zwei Jahren in Berlin und arbeitet seit vier Monaten bei Deliveroo. Bald will er Jura studieren, verrät er ein bisschen schüchtern, aber doch bestimmt – per Fernstudium in London.

Unterschiedliche Strategien fürs Essen per Mausklick

Der Handel mit E-Food hat sich in Deutschland noch nicht so durchgesetzt wie anderswo, trotzdem führt das rapide Wachstum von etwa 30 Prozent jährlich dazu, dass Handelsexperten einen Boom der Onlineumsätze mit Lebensmitteln voraussagen. Heute liegt der Marktanteil bei etwa 1 Prozent – 2020, so die Prognosen, bei 10 Prozent.

Marktführer unter den Onlinesupermärkten sind im Augenblick Edeka24, Kaiser’s Tengelmanns Bringmeister und Rewe Online. Spätestens wenn Amazon seinen in Amerika erprobten Lebensmitteldienst Amazon Fresh nach Deutschland bringt, wird die Branche stärker unter Druck geraten – ein konkreter Termin steht allerdings noch nicht fest.

Ein weiterer heiß umkämpfter Markt sind die Kochboxen, also Pappkartons oder Papiertüten, die man abonnieren kann und die mit Zutaten für in der Regel zwei bis drei Gerichte gefüllt sind und Rezepte mitliefern. Der bekannteste Anbieter ist derzeit Hello Fresh, der ebenso zu Rocket Internet gehört wie der Lieferdienst Foodora. (sm)

Das Problem: Im Moment arbeitet er 30 Stunden die Woche. Die Schichten sind von Woche zu Woche verschieden, und auch wenn er am liebsten tagsüber arbeitet, wo er manchmal in fünf Stunden nur zwei Lieferungen hat und in der übrigen Zeit zu Hause liest, ist er doch immer auf Abruf. „Na ja“, wischt er das Thema beiseite, als sei es ihm ein wenig peinlich, „zu Hause wäre ich nie darauf gekommen, Essen auszufahren. Aber in Berlin passt es zu meinem Leben.“ Trotzdem: „Ich brauche bald einen anderen Job.“

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Emma, die Frau, die das koreanische Essen brachte und ebenfalls nicht ihren echten Namen verraten will. Sie kam auf einem klapprigen Damenrad, das ihr zwei Nummern zu klein ist und auf dem sie unmöglich schnell fahren kann, wie sie kichernd zugeben muss.

Emma ist 19, kam vor einem halben Jahr von Norwegen nach Berlin und arbeitet seit zwei Monaten bei Foodora. Sie wird bald anfangen, Kunstgeschichte zu studieren – ebenfalls an einer Fernuni, in Oslo. Ihre Probleme: Sie will erstens nicht mehr als 20 Stunden arbeiten und bekommt am Ende des Monats selten mehr als 700 Euro raus. Davon geht mehr als die Hälfte fürs WG-Zimmer drauf, vom Rest kann sie mehr schlecht als recht leben. Zweitens findet sie absurd, dass der Algorithmus von Foodora die schnellsten Fahrer anfunkt – also nicht unbedingt jene, die dem Restaurant am nächsten sind. Emma weiß, dass manche extra langsam fahren, um nicht die langen Touren abzukriegen.

Was Emma aber am meisten nervt: Andauernd bekommt sie aufgeregte Anrufe, sie fühlt sich gescheucht. „Immer geht es ums Geld“, stöhnt sie – und meint damit den Druck, den die neuen Lieferdienste haben, weil derzeit viel Geld im Spiel ist, wenn es um Essen aus dem Internet geht – nicht nur bei ihnen, sondern auch bei Onlinesupermärkten und Kochkisten (siehe Kasten).

Denn so hyperlokal das Angebot von Deliveroo und Foodora ist: Hinter den beiden Diensten stecken finanzkräftige Investoren. Bereits 2006 kam das französische Unternehmen resto-in darauf, dass man Essen ausgewählter Lokale in Paris per Kurier zustellen könnte. Unter dem Namen bloomsburys bietet die Firma heute auch in Berlin ihre Dienste an, ist aber im Vergleich zu Foodora und Deliveroo klein geblieben.

Foodora wurde 2014 in München gegründet, im April 2015 spülte die Berliner Start-up-Fabrik Rocket Internet Geld in die Kassen des Lieferdienstes. Im Oktober 2015 wurde es an Delivery Hero weitergereicht, ein milliardenschweres Lieferdienstimperium aus Berlin, dem auch Lieferheld und Pizza.de gehört. Und Deliveroo wurde 2013 in London gegründet, inzwischen haben Investoren 200 Millionen US-Dollar Risikokapital in das Unternehmen gepumpt.

Riesenkiste, aber was ist drin? Foto: dpa

Beide Lieferdienste bespielen heute über zehn Länder. Auch in Berlin wachsen sie stark. Und trotzdem erzählt man sich unter den Fahrern, dass sie noch lange Zeit rote Zahlen schreiben werden – wegen der schlechten Margen, der regionalen und wetterbedingten Schwankungen, sodass sehr viele Fahrer Bereitschaft haben müssen. Und auch wegen der aggressiven Marketingkampagnen, die derzeit in dieser Stadt an jeder Wand leuchten.

Wie aber sehen sie die Restaurants selbst, die Chancen der neuen Lieferdienste, die derzeit angeblich in aller Munde sind?

Für kleine, aber angesagte Restaurants wie Fräulein Kimchi und Platzhirsch sind Foodora und Deliveroo eine interessante Option – denn ein eigener Lieferservice würde sich für sie nicht lohnen. Und an schönen Tagen und am Wochenende haben sie manchmal gar nicht genug Plätze für die Gäste, die bei ihnen essen wollen. Etwa ein Drittel führen sie an die Lieferdienste ab, weshalb einige ihre Preise online etwas höher ansetzen – aber das ist von Restaurant zu Restaurant verschieden, und genaue Angaben wollen Foodora und Deliveroo auch diesbezüglich nicht machen.

Geteiltes Echo

Ein sonniger Freitagmittag an der Grenze zwischen Mitte und Prenzlauer Berg – nun gilt es, sich selbst das Rad zu schnappen und eine kleine Runde zu drehen. Eine Umfrage bei den umliegenden Restaurants ergibt, dass sich die Läden in ihrer Haltung zu den neuen Lieferdiensten in drei Gruppen teilen.

Die erste Gruppe verweigert sich der Auslieferung, so etwa Markus Schädel vom kleinen Restaurant Schädels in der Oderberger Straße, das mit täglich wechselnder Mittagskarte überzeugt. „Der Ort, an dem man isst, trägt dazu bei, wie das Essen schmeckt“, so der Gastronom.

Die zweite Gruppe macht mit, aber zögerlich – häufig bieten sie ihr Essen sowohl bei Foodora als auch bei Deliveroo an und verkaufen 10 bis 20 Essen am Tag über die Lieferdienste. „Ein kleines Zubrot“, so sieht es etwa Chili Pak vom Restaurant Chilees in der Choriner Straße, wo es koreanische Burger gibt.

Und die dritte Gruppe? Für sie ist der neue Lieferservice bereits ein wirtschaftliches Standbein. So etwa für Tommi’s Burger Joint aus London, der 2015 nach Berlin kam und am Wochenende bis zu 100 Burger am Tag liefern lässt und ausschließlich mit Deliveroo arbeitet, so Geschäftsführer Kai Sproll.

Es ist 14 Uhr geworden, Tommi’s Burger Joint hat Platz für etwa 40 Gäste und ist voll belegt. Am Tresen warten zwei Fahrer von Deliveroo auf bestellte Burger. Einer von ihnen möchte in der Zeitung Toni heißen, ist 26, kommt aus Spanien, lebt seit zehn Monaten in Berlin – und arbeitet seither für Deliveroo.

Eine halbe Stunde später hat er das Essen ausgefahren, der Ansturm der Büros zur Mittagszeit ist vorbei. Wir treffen uns im Volkspark am Weinberg, mit Blick auf eine blühende Kastanie und eine Gruppe anderer Fahrer von Deliveroo – denn dort warten im Sommer viele auf den nächsten Anruf. „Ich mag den Job“, sagt Toni.

Toni ist bereits so erfahren, dass er 2 Euro pro Lieferung bekommt – ein drahtiger Typ mit Sommersprossen und schnellem Rennrad, der sich selbst „Fahrradfreak“ nennt und schon durch ganz Europa geradelt ist. In Spanien gibt es schon lang keine Jobs für solche wie ihn, sagt er, also studierte er in Tübingen Literatur, brach dann die Doktorarbeit ab. Jetzt will er das Leben genießen. 25 Stunden arbeitet er meist die Woche, mehr will er nicht, sagt er, lacht etwas und blinzelt zufrieden in die Sonne.

Zufrieden ist er auch an guten Tagen. Da schafft Toni manchmal 25 Lieferungen in zwei Stunden. Das heißt: Er kommt auf einen Stundenlohn von 40 Euro inklusive Trinkgeld. Manchmal aber kommt in fünf Stunden kein Anruf, sodass es bei 7,50 die Stunde bleibt. Im Schnitt hat er 800 Euro im Monat raus.

Trotzdem: Viele der Kollegen sind Freunde geworden. Die Kunden, die oft nicht rauswollen, weil sie betrunken sind oder frisch verknallt und es deshalb nicht aus dem Bett und dem Haus schaffen: Er findet sie amüsant. Amüsant findet er auch, dass er zu einer Gruppe von Leuten gehört, die anderswo Prekariat genannt werden. Denn eigentlich fühlt er sich nur frei.

Deliveroo ist genau das Richtige für ihn, sagt er. Zumindest für den Moment.

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